AbtreibungAbtreibung ist immer noch Tabuthema

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„Mein Bauch gehört mir“: Mütter und ihre Töchter bei einer Demonstration 1971 in Berlin. Sie forderten die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 und das Recht auf Selbstbestimmung.

„Mein Bauch gehört mir“: Mütter und ihre Töchter bei einer Demonstration 1971 in Berlin. Sie forderten die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 und das Recht auf Selbstbestimmung.

Euskirchen – „Mein Bauch gehört mir!“ und „Ob Kinder oder keine, bestimmen wir alleine!“ – so lauteten die Parolen jener Frauen, die ab den 1960er Jahren für die Streichung des § 218 in Deutschland auf die Straße gingen. „Ich war 16 Jahre alt, als in Bonn die zweite große Demonstration zu dieser Sache veranstaltet wurde. Für mich war dies die Initialzündung, politisch aktiv zu werden und mich für die Rechte von Frauen einzusetzen“, erinnert sich Karla Götze.

Sie und ihre gleichaltrige Kollegin Cornelia Vitr erlebten die heftigen Turbulenzen um den „Abtreibungsparagrafen“ und den Kampf der so genannten zweiten Frauenbewegung für dessen Abschaffung intensiv mit. Heute arbeiten die beiden als Beraterinnen für den Verein „Frauen helfen Frauen“ im Bereich Sexualität und Familienplanung sowie der Schwangerschaftskonflikte, die Frauen vor die Frage stellt, ungeborenes Leben auszutragen oder nicht.

„Wir arbeiten auf der gesetzlichen Grundlage des Paragrafen 218, ergebnisoffen eben, und wir holen die Frauen da ab, wo sie stehen“, sagen Götze und Vitr. Die seit 20 Jahren gültige Fristenregelung bliebe letztlich aber nur eine Kompromisslösung: „Die politische Forderung nach der Abschaffung des Paragrafen bleibt bestehen. Mit der Pflichtberatung, die man heutzutage für einen Abbruch nachweisen muss, sind Frauen schließlich noch immer nicht gänzlich selbstbestimmt.“

1585 wird seitens der katholischen Kirche der Catechismus Romanus Concilii Tridentini herausgegeben, bis heute Basis des katholischen Verhütungs- und Abtreibungsverbots.

1871 wird in das neue Reichsstrafgesetzbuch der Paragraf 218 aufgenommen, der Abtreibung mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Die 68er-Bewegung, die Pille und der nachlassende Einfluss der katholischen Kirche änderte bei vielen die Einstellung zur Abtreibung. 1974 beschließt der Bundestag erstmals eine Fristenregelung mit Beratungspflicht, das Bundesverfassungsgericht erklärt das Gesetz auf Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für verfassungswidrig. 1976 wird das Indikationsmodell verabschiedet.

Bis 1992 wird immer wieder um eine Reform gestritten. Nach einer 16-stündigen Marathonsitzung im Bundestag wird im Juni 1992 das Beratungsmodell beschlossen: Abtreibung soll in den ersten zwölf Wochen straffrei bleiben, wenn zuvor eine Beratung durchgeführt wurde. Wieder gibt es einen Antrag von CDU/CSU beim Bundesverfassungsgericht, 1993 wird die Reform für ungültig erklärt. Eine kurz darauf verkündete „Übergangsregelung mit Gesetzeskraft“ wird 1995 berücksichtigt, als die Fristenregelung mit vorgeschriebener Beratung absegnet wird. Im Gesetz heißt es: Ein Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar. Wird jedoch zuvor eine Beratung bescheinigt und sind seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen verstrichen, ist der „Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs nicht verwirklicht“. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, wird keiner bestraft, „die Tat ist gleichwohl rechtswidrig“.

Die katholische Kirche richtet sich bis heute mit ihrem Verhütungs- und Abtreibungsverbot nach dem Katechismus von 1585. Über die 1995 erreichte Liberalisierung des Paragrafen 218 sagte Kölns Erzbischof Joachim Kardinal Meisner noch vor einem Jahr: „Damit haben wir die Gesellschaft auf einen Weg in das Unmenschliche, in die Barbarei geführt.“

Grundsätzlich stellt das Strafgesetzbuch einen Schwangerschaftsabbruch noch immer unter Strafe, weshalb Alice Schwarzer, die wohl bekannteste Feministin, einst sagte: „Der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft ist in Deutschland für Frauen immer noch kein Recht, sondern nur eine Gnade.“

Doch auch, wenn die Feministin in ihnen nicht ganz glücklich sei und sich allenfalls mit dem Gesetz arrangiere – ihre Arbeit in der Beratungsstelle für Schwangerschaftskonflikte und Familienplanung verrichten Götze und Vitr mit viel Herzblut. „Ob damals oder heute, keine Frau macht sich die Entscheidung leicht“, so Cornelia Vitr. Viele Frauen, die in die Beratung kommen, haben bereits eine Entscheidung gefällt. Manche kommen aber auch zwei- oder dreimal, ehe sie sich für oder gegen das Kind entscheiden. „Alle jedoch sind erleichtert, wenn sie hier wieder rausgehen“, so die beiden Frauen.

Viele kämen mit einem mulmigen Gefühl zu einer „Pflichtberatung“, weil sie befürchten, dort zu etwas „überredet“ zu werden. Dann aber entpuppe sich das Gespräch mit dem neutralen Gegenüber, das nicht mit dem moralischen Zeigefinger winkt, sondern einfach hilft, die Möglichkeiten auszuloten, als große Unterstützung. „Abtreibung ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit für Frauen, für fast alle ist es ein mehr oder weniger großer Konflikt“, so Vitr.

Zu Beginn ihrer Tätigkeit als Sozialpädagogin lernte Cornelia Vitr 1977 bei Pro Familia auch noch das Vorgängermodell kennen: die Indikationsregelung. Nur medizinische, eugenische und kriminologische Gründe galten als Legitimation für eine Abtreibung sowie die Notlagenindikation. „Die ausführliche Begründung hierfür mit oftmals sehr pikanten Details aus dem Sexual- und Familienleben der Frau ging durch viele Hände, das war schon sehr würdelos.“

Drei Tage Bedenkzeit

In diesem Punkt hat sich in den letzten 20 Jahren doch viel zum Positiven geändert. So wird der Beratungsschein ohne inhaltliche Begründung ausgestellt. Bedingung ist, dass zwischen dem Gespräch und dem Abbruch drei Tage Bedenkzeit für die Frau liegen. „Wir kennen alle noch die Praktiken von vor 1992, als ungewollt Schwangere über die Grenze nach Holland fuhren, wo man den Eingriff legal vornehmen lassen konnte“, erinnert sich Karla Götze. Und sie weiß auch – stellvertretend für viele aus ihrer Generation, – wie viel Leid heimlich durchgeführte Abbrüche oder missglückte Versuche, aus denen zeitlebens ungeliebte Kinder hervorgingen, das uneingeschränkte Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen mit sich brachte. Fakt ist: Kein Gesetz, keine drohende Gefängnis- oder Geldstrafe und auch nicht die Angst um die eigene Gesundheit haben Frauen je davon abgehalten, ungewollte Schwangerschaften zu beenden.

Die Gründe, weshalb Frauen sich zu einer Abtreibung entschließen, haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten durchaus gewandelt. Aus „Schande“, weil man unverheiratet ist, bricht heutzutage wohl keine Frau aus dem hiesigen Kulturkreis mehr eine Schwangerschaft ab. „Heute sind es vielmehr wirtschaftliche Not und Sorge um Ausbildung und Beruf, die Frauen dazu bewegen“, wissen die beiden Beraterinnen.

Eins allerdings sei geblieben und habe sich in all den Jahren keinen Deut verändert: „Abtreibung ist ein ganz großes Tabuthema.“ Ein Titel, wie ihn die Zeitschrift „Stern“ 1971 veröffentlichte, würde auch heute noch für großes Aufsehen in der Republik sorgen, sind sich Götze und Vitr sicher. Damals bekannten 374 Frauen in dem Blatt: „Ich habe abgetrieben!“

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