ImpulsfestivalKunst unter dem Eindruck der Katastrophe verstehen

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Knäuel aus mit roter Flüssigkeit gefüllten Schläuchen umgeben die Cellistin Valerie Fritz bei „Nuqta – The beginning“.

Knäuel aus mit roter Flüssigkeit gefüllten Schläuchen umgeben die Cellistin Valerie Fritz bei „Nuqta – The beginning“.

Dahlem-Kronenburg – Nach Bad Münstereifel und Nettersheim hatte das Transient-Impulsfestival seine dritte und letzte Station in Kronenburg. Dort waren die 26. Kronenburger Kunst- und Kulturtage (KKK) ganz dem interdisziplinären Konzept der Festival gewidmet.

„Zusammenfließen“ – so haben die Transient-Akteure um Intendant Professor Jeremias Schwarzer eine Spendenaktion für die von der Flutkatastrophe Betroffenen in Bad Münstereifel und Nettersheim genannt. Und unter dem Begriff konnte man auch versuchen zu verstehen, was sich in und um das Haus für Lehrerfortbildung ereignete.

Pandemie und Flut

In Kronenburg finden seit 26 Jahren am zweiten Septemberwochenende die KKK statt, doch in diesem von Pandemie und Hochwasser geprägten Jahr ist auch hier alles anders: Der historische Burgort war zwar im Gegensatz zum im Kylltal gelegenen Kronenburgerhütte nicht von der Flut betroffen, doch den gewohnten Besuch kleiner Kunstausstellungen und Konzerte in den alten Häusern am Burgbering oder der Pfarrkirche konnte sich das veranstaltende Freie Forum Kronenburg, so Vorstand Martin Schöddert, wie schon im Coronajahr 2020 nur schwer vorstellen.

Kulturmanager

Großes Lob für Martin Schöddert vom Freien Forum Kronenburg von Dahlems Bürgermeister Jan Lembach: „Sie sind der Kulturmanager unserer Gemeinde und halten auch in diesen schwierigen Zeiten die Kultur für unsere Gemeinde aufrecht.“

Zu begrüßen sei das Engagement Schödderts mit Blick auf den vom Land NRW finanzierten Betrieb im Haus für Lehrerfortbildung auch deshalb, „weil es uns als Gemeinde nichts kostet“. (sli)

Kunst und die Kunstschaffenden sind allerdings nicht aus der Welt, sondern reagieren eher sensibel auf sie und stellen ihre eigene Weltsicht zur Diskussion. Auch die – international allesamt renommierten – Akteure des Festivals, die seit den ersten Stationen der Trilogie im Mai in Bad Münstereifel und im Juni in Nettersheim sporadisch in der Eifel unterwegs sind, haben Pandemie und Hochwasser mitbekommen. Sie versuchen, es künstlerisch zu verarbeiten. Die Ergebnisse sollten nun ein Thema der dritten Station sein.

„Es ist so eine dunkle Wolke der Traurigkeit, die gerade über der Eifel liegt“, so Schwarzer, ein in der Szene bekannter Flötist, bei der Begrüßung der Gäste bei der Festival-Vernissage und der KKK. Er frage sich da schon, „was ich mit meiner kleinen Flöte dagegen tun kann“. Zugleich aber gebe es ein starkes Bedürfnis nach Freude und Lebendigkeit. Genau diese Spannung könne kreative Menschen beflügeln, selbst wenn es schwer sei angesichts der Wucht der Ereignisse.

Der Ausgangspunkt

In Kronenburg wurde daraus ein kreatives Zusammenfließen – das wurde mit der dreiteiligen und dreistündigen Konzert-Installation „Nuqta – the Beginning“ der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota deutlich. Der Name bezeichnet in der Kalligraphie den Ausgangspunkt, an dem die Feder auf das Papier gesetzt wird, an dem jede Kreativität ihren Anfang nimmt. Shiota hat das Werk auch in Nettersheim und Bad Münstereifel aufgeführt. Wie dort wurde es auch für Kronenburg modifiziert. Dazu gehören rote Gewebe-Skulpturen und Zeichnungen.

Das Publikum vertraute sich also Festivaldramaturgin Ilka Seifert an, die zu den Aufführungsorten leitete. Ein einleitendes Stück auf 13 kleinen Glöckchen des Komponisten Salvatore Sciarrino, aufgeführt von Percussionistin Vanessa Porter, bildete den Auftakt wie ein Initiationsgeläut.

Kreislauf des „Blutes“

Und dann wirkte es, als betrete man eine riesige Dialysestation. In wilden Knäueln verwobene, transparente Schläuche waren über den gesamten Boden des Galeriesaals verteilt, umschlangen Notenständer wie ein Organ, leiteten in große, gläserne Messbecher, führten hinaus. Schläuche und Becher durchfloss eine blutrote Flüssigkeit. Es pochte, wummerte und tuckerte in diesem rätselhaften Perpetuum Mobile. An dessen Spitze saß Valerie Fritz aus Österreich an ihrem Violoncello. Sie spielte ebenfalls Zeitgenössisches, die Komposition „Uffukk“ von Samir Odeh-Tamimi. Man konnte den Eindruck haben, dass sie den Kreislauf des „Blutes“ durch die Töne auslöste, es konnte aber auch anders herum sein, dass sie erst der umgebende Fluss in die Lage setzt, die Musik zu spielen.

Dazu sampelte Vincent Stange am Mischpult vom Laptop die Geräusche, seine Komposition „hear here landscapes“. Das sind Geräuschschnipsel, die er vor und nach der Flutkatastrophe in Bad Münstereifel aufgenommen hat, darunter das Brummen der Trockner in den Häusern.

Sprachlosigkeit

Danach wechselten sich Konzerte im Innenhof und im Galeriesaal ab, aufgeführt von Jeremias Schwarzer, der spanischen Pianistin Neus Estarellas Calderón, Sängerin Alexandra Vildosola, Sänger Oliver Stahn sowie von Valerie Fritz, Vanessa Porter und Vincent Stange. „The End and the Beginning“, „Erinnern und Vergessen“ und „Lebendig“ waren die Teile der Trilogie überschrieben. Zweimal wurde der Bezug zur Katastrophe bildlich aufgenommen: In „Sprachlosigkeit 1“ und „2“ hat Elke Strauch versucht, ein für sich selbst sprechendes Motiv zu finden. Das Publikum war unterdessen eingeladen, sich in den Räumen zu bewegen und sich so sein eigenes Kunst-Konzert-Erlebnis zusammenzustellen.

Lokale Akteure

So interaktiv sollte es auch außerhalb des Hauses für Lehrerfortbildung weitergehen, wo die Festivalmacher wieder auf die Einbeziehung von lokalen Akteuren setzten. In Bad Münstereifel etwa hatten Schüler des St. Michael Gymnasiums an Workshops teilgenommen. Mit der Cellistin Valerie Fritz hatten sie zwei Videos produziert und Online gestellt. Fritz sitzt dabei erst auf einer Erftbrücke, die in der Flutnacht zerstört wurde. In der Wiederholung in den Wochen danach schütten die Schüler rote Farbe aus Eimern zur Musk in den Fluss, der sie in fadigen Schlieren verdünnt und mit sich nimmt. Erinnerungen an Leid und Trauer fließen symbolisch hinweg, und sind nach und nach immer weniger zu erkennen. Rotes Wasser, rot wie das „Blut“ in den Schläuchen im Kronenburger Galeriesaal.

Musikerkette

Im Burgort war Mitmachen ebenfalls die Losung der letzten beiden Tage des Festivals, das auch hier mit Workshops in der Vorwoche begonnen hatte. Am Sonntag traten unter anderem 50 Blechblasmusiker von acht Eifeler Musikvereinen unter der Leitung von Vincent Stange zu einem einmaligen Reigen auf: Alle drei Meter hatte sich ein Musiker im Ortskern aufgestellt. Die Kette hatte der Kronenburger Jazzer und Bigband-Leader (Brazzanova) Frank Reinshagen organisiert. Bei „The Taste of Sounds“ kombinierte Pianistin Calderón Musik und Wein in der Villa Kronenburg. Der Burgberg wurde zudem mit verschiedenen musikalischen Beiträgen und Aktionen „bespielt“.

Feuer und Flamme

Tags zuvor war es zu einer bemerkenswerten Kunstaktionen gekommen. Hildegard und Peter Igelmund hatten die Idee, die Tradition der Eisenverhüttung in Kronenburgerhütte, nachgewiesen seit 1464, zu vertonen. Also hatten unter anderem Percussionistin Vanessa Porter und die Schlagzeuger Stefan Kutsch, Markus Lorse, Peter Nosbers und Julius Görres, Mitglieder der Musikvereine Kronenburg, Baasem, Hallschlag und Stadtkyll, ein Stück einstudiert, das auf der alten Kyllbrücke aufgeführt wurde. Mit Bezug auf die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde (für Erz) wurde auf altem Eisen, mit Schmirgelpapier und anderen Gegenständen die Welt der mittelalterlichen Eisenverhüttung bei „Feuer und Flamme für Kronenburgerhütte“ zum Klingen gebracht.

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So endete ein bemerkenswertes Kunstprojekt, bei dem die Hemmschwellen zwischen Kreativen und Publikum niedrig waren. Schöddert hatte zur Eröffnung festgestellt, „dass nach den KKK vor den KKK“ ist. Auf die 27. Auflage 2022 darf man nach dem inspirierenden Experiment gespannt sein.

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