Nach der FlutkatastropheWissenschaftler fordern „Stresstests“ für NRW-Staudämme

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Der schwer beschädigte Damm der Steinbachtalsperre am 16. Juli, aufgenommen von einer Drohne der Feuerwehr Sankt Augustin

Euskirchen – Es hätte der Katastrophe eine weitere, schreckliche Dimension verliehen. Dörfer wurden evakuiert, tagelang war die Ungewissheit groß. Als das Wasser am 14. Juli über die Steinbachtalsperre schwappte, fraßen sich regelrechte Furchen in den Damm, bis zu zwei Meter tief.

Doch die Staumauer hat gehalten, sie ist nicht gebrochen. Die Menschen konnten zurückkehren in ihr Zuhause. Und die Talsperre wird jetzt umfangreich saniert. Der Damm wird wieder aufgeschüttet. Zudem wird eine neue, größere Überlaufvorrichtung gebaut, um das Wasser im Notfall gezielter ablassen zu können.

Steinbachtalsperre liefert Brauchwasser

Vor allem aber wird über die zukünftige Verwendung der Talsperre nachgedacht. Soll sie weiterhin als Brauchwasserspeicher dienen, aus dem landwirtschaftliche Betriebe, Industriekunden sowie das Euskirchener Waldfreibad versorgt werden? Oder soll sie in erster Linie für den Hochwasserschutz verwendet werden, was erheblichen Einfluss auf die Wasserhaltung haben würde?

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Die Themen, mit denen sich die Verantwortlichen der Steinbachtalsperre derzeit beschäftigen, entsprechen dem, was Experten etwa fünf Wochen nach dem verheerenden Juli-Hochwasser für alle 65 Staumauern in NRW fordern: Einen Stresstest, bei dem die Bewirtschaftungsstrategien neu bewertet und durchgerechnet werden müssten.

Neue Berechnungen notwendig

Es gehe vor allem um die Frage, ob Talsperren mit einer ausgewiesenen Hochwasserschutzfunktion angesichts der voraussichtlichen Zunahme von Starkregenereignissen zukünftig ganzjährig, also auch im Sommer, einen Sicherheitsspeicherraum für Regenwasser freihalten müssten und ob sie dafür die Kapazitäten hätten, erläutert Professor Christoph Mudersbach von der Hochschule Bochum. Bei kleineren Talsperren, die bisher keine besonderen Aufgaben im Hochwasserschutz leisten, müsse zudem geprüft werden, ob hier ein zusätzliches Volumen für Hochwasserschutzzwecke freigehalten werden könne.

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Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) lassen Schläuche in die Steinbachtalsperre hinab, um das Wasser abzupumpen

Da die Talsperren zugleich als Speicher die ausreichende Wasserversorgung in trockenen Sommern wie 2018-2020 garantieren und dafür normalerweise im Frühjahr möglichst voll gefahren werden, könne ein solcher ganzjähriger Sicherheitspuffer möglicherweise zu Wassermangel in trockenen Jahren führen, ergänzt Professor Arnd Hartlieb von der Versuchsanstalt für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TU München.

Um beide Aufgaben - Hochwasserschutz und Schutz gegen Trockenheit - gleichzeitig zu erfüllen, könne als Ergebnis der Berechnungen die Erweiterung von Talsperren oder der Betriebseinrichtungen herauskommen, mit denen Wasser abgelassen werden kann. Wenn dies alles nicht ausreiche, sei es „natürlich eine Option, darüber nachzudenken, auch neue Talsperren zu bauen“, so Hartlieb: „Was natürlich erhebliche Eingriffe in die Umwelt bedeuten würde, die dann in der Öffentlichkeit heiß diskutiert werden.“

„Effektiver Hochwasserschutz geht nur dezentral“

Dabei denke er nicht an eine neue Großtalsperre für NRW, eher an kleinere Einheiten, erläutert Professor Mudersbach aus Bochum. „Effektiver Hochwasserschutz geht nur dezentral.“ Das habe die Juli-Flut gezeigt, bei der nicht die großen Flüsse, sondern kleine Nebenflüsse in engen Tälern übergelaufen seien.

Der jüngste Bericht des Weltklimarates jedenfalls belege, dass Wetterextreme zunähmen. Jedes Grad Lufterwärmung bringe sieben Prozent mehr Aufnahmefähigkeit für Wasser in der Atmosphäre und damit mehr Wasser bei starken Regenfällen. Darauf müsse sich das NRW-Talsperrensystem vorbereiten.

Normalerweise kommt es vor allem im Winter zu Hochwasser. Die Wasserverbände planen das ein und lassen rechtzeitig Wasser aus den Talsperren ab. Zum Sommer hin bemühen sie sich aber, die Talsperren wieder zu füllen.

Mehrere NRW-Talsperren sind übergelaufen

In diesem Jahr waren neben der Steinbachtalsperre wegen der extremen Regenfälle Mitte Juli noch weitere Talsperren in NRW wie etwa die Bever- und die Wuppertalsperre übergelaufen - sie konnten die Wassermengen nicht mehr aufnehmen. Bei der Unwetterkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz waren Mitte Juli mehr als 180 Menschen gestorben, darunter 47 in NRW. Hinzu kamen enorme Sachschäden. Die NRW-Landesregierung geht von Sachschäden in zweistelliger Milliardenhöhe aus. (mit dpa)

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