Lesung in der SpinnereiWas zu Entdeckungen antreibt

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Auch Landrat Stephan Santelmann (rechts) las zum Thema „Neugier“ vor, ebenso (in der ersten Reihe von links) Sabine Claßen, (dahinter Ruth Wehner), Claudia Sinsteden, Martin Deneke und Markus Schwering mit Wolfgang Brudes und Wicze Baun.

Auch Landrat Stephan Santelmann (rechts) las zum Thema „Neugier“ vor, ebenso (in der ersten Reihe von links) Sabine Claßen, (dahinter Ruth Wehner), Claudia Sinsteden, Martin Deneke und Markus Schwering mit Wolfgang Brudes und Wicze Baun.

Leichlingen –  Im Kamin prasselt ein Feuer. Der Tag ist trist, graue Wolken hängen schwer am Himmel. Ruth Wehner sitzt an einem großen Holztisch in der Spinnerei Braun und Brudes in Leichlingen und liest konzentriert aus einem Buch vor. Es herrscht herbstliche Gemütlichkeit. „Gibt es überhaupt noch etwas, was die Gesellschaft zusammenhält?“, liest sie fragend und schaut in die Runde. „Lesezeichen im Sinneswald: Bürger lesen für Bürger“ heißt die Veranstaltung in der Spinnerei, die am Sonntag unter dem Jahresthema „Neugier“ stand.

„Eigentlich lese ich gar nicht so viel“, sagt Wehner. Doch das Buch „Zu Fuß durch ein nervöses Land“ von Jürgen Wiebicke habe sie gefesselt. Es sind philosophische und politische Frage, denen sich der Autor stellt, als er zu Fuß und mit offenen Augen durch Deutschland geht und mit den Menschen ins Gespräch kommt. „Ich finde die Idee verrückt, einfach ohne Plan los zu gehen und fremde Leute anzusprechen. Das ist etwas, was ich selten mache, aber eigentlich toll finde“, erklärt Wehner.

Voll besetzte Stuhlreihen

Mit knapp hundert Besuchern ist der Raum der Spinnerei voll besetzt und die Zuhörenden lauschen in gespannter Wohnzimmeratmosphäre den sechs Lesenden. Zum 17. Mal findet die Lesung bereits statt und wird jedes Jahr von Wicze Braun organisiert. „Lesen ist für mich immer schon etwas Wichtiges gewesen. Das Schöne an der Veranstaltung ist, dass die sechs verschiedenen Leser völlig unterschiedliche Texte zu einem Oberthema auswählen“, sagt Braun. So unterschiedlich die Textgattungen sind, so unter-schiedlich ist auch der Lesestil. Gestikulierend und mit lebhafter Mimik liest Markus Schwering Ausschnitte aus dem Leben eines schwäbischen Philosophieprofessors, der nach seinem Tod als Geist weiterlebt, nachts die Küche Angela Merkels aufsucht und die Kanzlerin im karierten Bademantel am Küchentisch beobachtet. Eine Vorstellung, die den Zuhörenden ein Lachen entlockt.

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Doch es sind nicht nur humoristische Ausschnitte, sondern auch tiefe Fragen des Lebens, denen sich Claudia Sinsteden zuwendet. Als einzige Teilnehmende liest Sinsteden einen eigens geschriebenen Text. „Ihr Text war wirklich wunderbar und sie hat wichtige Kernpunkte herausgearbeitet. Sie ermutigt Dinge wahrzunehmen, die man sonst nicht wahrnehmen würde“, lobt Gerlinde Wilhelm, die für die Veranstaltung aus Aachen gekommen ist. Sinsteden schildert ihre eigenen Erfahrungen und was sie dazu bewegte ihr Leben zu verändern. „Manchmal verliert man durchs Funktionieren und Effektivsein die Neugier. Das ist auch Teil des Erwachsenwerdens“, sagt sie. Ihr fiel das Funktionieren immer schwerer und sie entschied, dass es Zeit für Veränderung sei. In ihrer Ausbildung als Natur- und Erlebnispädagogin lernte sie, dass Neugier kein Makel ist, sondern erwünscht.

„Wer Fakten finden will, muss immer weiterdenken“, liest auch Martin Deneke aus „Der Fall Weizsäcker“ und bringt damit eine weitere Perspektive zum Jahresoberthema in die Literaturrunde ein. „Kann Neugier eine Sünde sein?“, fragt er zu Anfang der Geschichte. Dass Neugier auch bedeutet, sich aus dem gewohnt sicheren Bereich herauszubewegen, beschäftigt viele der Lesenden und Zuhörenden. „Die Art, wie ich lebe, ist eigentlich ein ziemlicher Widerspruch zu meinem Buch. Ich lasse mich häufig vom Alltag irgendwie überrennen und finde es aber eigentlich einen schönen Gedanken einfach einmal nichts voraus zu planen“, findet Wehner.

Musikalisch wurde die Lesung vom 20-jährigen Cornelius von Daun auf dem Klavier begleitet. „Cornelius ist in eine Musikerfamilie hineingeboren. Er spielt jeden Tag und komponiert auch selber“, erklärt Braun. „Wir versuchen immer ein junges musikalisches Talent in die Veranstaltung mit einzubinden.“ Wie ein Mosaik fügen sich zum Ende der Veranstaltung die verschiedenen Perspektiven und Herangehensweisen an das Oberthema zusammen.

Neugier hat eben viele Facetten und fragt nicht nur nach offenen Augen und der Bereitschaft auch einmal Risiken einzugehen, sondern auch nach Moral und wo sich ihre Grenzen aufzeigen.

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