"Und da drüben habe ich gearbeitet". Ellen und Gerd Weers im Schatten von St. Remigius.
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Opladen – Unter dem Pflaster der Fußgängerzone schlummern sie hier und da wohl immer noch: Schienenreste der drei Straßenbahnen, die Opladen einst mit Köln, Ohligs und Lützenkirchen verbanden. Gerd und Ellen Weers erinnern sich noch gut - und gern - an jene Zeiten, als die damalige Kreisstadt des Rhein-Wupper-Kreises in voller Blüte stand und von einer kommunalen Gebietsreform noch lange keine Rede war. Der 77-Jährige und seine Frau haben nie woanders gelebt als in Opladen, und entsprechend viel können sie über Werden und Wandel ihrer Heimatstadt erzählen - zumal sie auch dem Opladener Geschichtsverein eng verbunden sind.
Der Stadtteilspaziergang beginnt in Höhe der Remigiuskirche, deren im Zweiten Weltkrieg völlig ausgebombtes Kirchenschiff Ellen Weers noch glasklar vor Augen hat. "Und da gegenüber, wo jetzt die Bäckerei ist, war früher Lederwaren Heck. Da habe ich gearbeitet." Das Geschäft gibt es schon lange nicht mehr, ebenso wenig "Tapeten Vogel" und den Jägerhof direkt daneben. Vieles hat sich geändert im Lauf der Zeit - aber eben nicht alles, wie der Blick auf die andere Straßenseite beweist: "Schreibwaren Paffrath" steht schon seit Jahrzehnten über dem Eckhaus Kölner Straße/Gerichtsstraße.
Allein: Wenn Gerd und Ellen Weers heute durch die Fußgängerzone gehen, sehen sie vor ihrem geistigen Auge rechts und links noch eine Vielzahl einst traditionsreicher Geschäfte. Hier Stüssgen, da Otto Mess, dazwischen der Metzger Pfeiffer, von den Modehäusern Pesch und Budde ganz zu schweigen. Selbst das auch schon wieder jahrzehntealte Kaufhaus Woolworth verwandelt sich vor ihren Augen in das Hotel zur Post, in dem es Samstags und Sonntags einen Tanztee gab.
In der Bahnhofstraße residierte das Kino Capitol-Theater, weiter oben an der Ecke zum heutigen Busbahnhof stand das Hotel Moritz mit dem legendären Felsenkeller. "Da habe ich mit meinem Freund Hans Wiefel, dem Bruder des späteren Bürgermeisters und Bundestagsabgeordneten, mein erstes Bier getrunken", erinnert sich Gerd Weers, als wäre es gestern gewesen. Genauso lebhaft sind seine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, als er mit der Sammelbüchse für das Winterhilfswerk die Haushalte abklapperte. Mehr als einmal heulten die Sirenen dabei Fliegeralarm - "dann hieß es rennen, um noch rechtzeitig in den Bunker zwischen Bahnhof- und Gerichtsstraße zu kommen". Welcher Autofahrer, der heute seinen Wagen auf diesem Bunker parkt, denkt wohl daran, was sich unter seinen Reifen verbirgt?
Tresörchen
Und wer vermutet, dass es noch bis lange nach dem Krieg in Opladen gerade einmal zwei Hausärzte (Dr. Hühnermann und Dr. Billens) und zwei Apotheken (Adler-Apotheke und Neue (!) Apotheke) gab? Oder dass sich dort, wo heute die Sparkasse steht, einmal ausgerechnet das "Kommunistenheim", eine Parteizentrale, befand. Zumindest bei den etwas Älteren ist hingegen das Tresörchen noch nicht ganz vergessen, das sich im Keller des Sparkassengebäudes befand. Bis in die 80er Jahre hinein war diese Gaststätte ein beliebter Treffpunkt, vor allem samstagmittags.
Geldautomaten gab es noch nicht, also musste man sich für das Wochenende mit ausreichend Bargeld eindecken. Und einkaufen, weil die Geschäfte um 14, spätestens um 16 Uhr schlossen. Für viele Opladener war es geradezu ein Ritual: Schwer bepackt mit Einkaufstüten ging es nicht etwa nach Hause, sondern zunächst einmal ins Tresörchen, um das wohlverdiente Wochenende einzuläuten. Noch heute ist es vielen Besuchern ein Rätsel, wie damals halb Opladen in das verliesartige Räumchen passen und mitten im Gewühl noch Gäste am Nagelbock um die nächste Runde hämmern konnten.
Kneipenkultur
Die Kellergaststätte ist dem strenger gewordenen Brandschutz zum Opfer gefallen, seine reichhaltige Kneipenkultur hat Opladen sich aber erhalten, vor allem in der Neustadt - dort, wo Gerd Weers als Sohn eines Eisenbahners an der Robert-Koch-Straße aufgewachsen ist. Der Herzogschule ist der 77-Jährige als ehemaliger Schützling noch heute verbunden, und so freut es ihn denn auch, dass das altehrwürdige Gebäude liebevoll saniert und erhalten wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Bauwerken, die Opladen einst geprägt haben. Wie das Erzbischöfliche Aloysianum am Marktplatz beispielsweise, das bis zur kommunalen Gebietsreform als Rathaus, Sitz des Kreistags und Berufsschule diente. Nach seinem Abriss klaffte dort jahrelang "Wiefels Loch" (benannt nach Bürgermeister Bruno Wiefel), bis schließlich mit dem Seniorenzentrum Haus Upladin der heutige Zustand geschaffen wurde.
Dem neuen Rathaus, das freilich nur für eine einzige Ratssitzung im Dezember 1974 genutzt wurde, fiel seinerseits der beliebte Goethepark zum Opfer, der vielen Landrat-Lucas-Gymnasiasten als schwer einsehbare Zufluchtsstätte vor ungeliebten Unterrichtsstunden gedient hatte. Die pflegten dort nämlich blau zu machen, während so etwas für die Mädchen, die das Marianum oder die Ina-Seidel-Schule an der Peter-Neuenheuser-Straße besuchten, eher nicht in Frage kam. Zu dieser Zeit, Anfang der 70er, waren Gerd und Ellen Weers allerdings längst keine Schüler mehr. Während sie bei Lederwaren Heck arbeitete, verdiente er seine Brötchen als Chemielaborant im Bayerwerk. Die Straßenbahnlinie "O", die zwischen Opladen und Köln verkehrte, war eine prima Verbindung zur Kaiser-Wilhelm-Allee, aber bei trockenem Wetter fuhr Gerd Weers auch gerne mit dem roten Bayer-Fahrrad zur Arbeit.
Schöne, ruhige Zeit
"Nachdem der Krieg und die ersten Aufbaujahre überstanden waren, ließ es sich in Opladen wirklich gut leben", sagt der 77-Jährige. Anfang, Mitte der 50er Jahre sei eine "schöne, ruhige Zeit" angebrochen. Man habe zwar nicht viel Geld gehabt, aber auch keine Angst vor Bombern und Tieffliegern mehr haben müssen, und vor allem: "Es gab Arbeit in Hülle und Fülle an jeder Ecke", so dass niemand um seinen Lebensunterhalt bangen musste.
Gleichzeitig brach auch die Blüte Opladens an, in der die Stadt einen ungeahnten Aufschwung nahm. Das Eisenbahn-Ausbesserungswerk, der Güterbahnhof, der Gleisbauhof und der Rangierbahnhof beschäftigten allein tausende Menschen, kleine und mittelständische Unternehmen entwickelten sich und gelangten teilweise zu Weltruf. Wie etwa die Firma Illbruck, die Willi Illbruck, spät aus dem Krieg heimgekehrt, in einem Schuppen an der Herzogstraße gründete. Nur wenige dieser Betriebe haben bis heute überlebt, umso tröstlicher wirken Geschäfte wie Miederwaren Christ, Stoff Göpfert, Hut Adrion oder Zweirad Esch, die allesamt an der Kölner Straße beheimatet sind.
Hoffnung Neue Bahnstadt
Wer Ellen und Gerd Weers nach der kommunalen Gebietsreform von 1975 fragt, erhält übrigens eine verblüffende Antwort - für sie begann der Niedergang von Opladen schon ein Jahr vorher mit der Einweihung der Fußgängerzone. Von da an habe ein Traditionsgeschäft nach dem anderen wegen ausbleibender Kundschaft aufgegeben. Traurig, aber nicht zu ändern. Und es gibt auch wieder Grund zur Hoffnung: Die Neue Bahnstadt wird eine ganz große Sache für Opladen, sind sich beide sicher.