MissbrauchsgutachtenStadtdechant Teller: Alles sollte nun auf den Tisch

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„Die Wahrheit ist: Ich weiß von keinem Fall“, als Stadtdechant ist Heinz-Peter Teller seit 2007 Leverkusens Sprecher und Mittelsmann für die Priester. Er    kritisiert das Erzbistum. 

Leverkusen – Haben Sie eigentlich in Ihren Predigten mal über Ihren Chef, Reiner Kardinal Woelki geschimpft?

Heinz-Peter Teller: Ja schon, aber nicht so personalisiert. Unserem Kardinal gestehe ich zu, dass er versucht, die Sache ehrlich aufzuarbeiten. Es hat sich ja auch gezeigt, dass ihm im juristischen Sinne nichts vorzuwerfen ist. Was mich sauer und wütend macht, ist, wie lange das dauert und dass nicht alles auf den Tisch kommt. Es geht ja um Menschen, um Kinder und Jugendliche. Aber jetzt ist es so. Das müssen wir Seelsorger alles mit ausbaden.

Und heute, nachdem das Gutachten raus ist?

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Ich fühle mich zum Einen befreit. Jetzt ist mehr Klarheit da, es sind ja auch eine Reihe von Rücktritten da, insofern bin ich froh, dass dieser Schritt getan ist. Man ist zutiefst beschämt.

Zur Person

Pfarrer Heinz-Peter Teller, 56, wurde in Bergheim geboren. 1996 zum Priester geweiht, kam er 1998 nach Opladen. Zum Stadtdechanten wurde er 2007 gewählt, er ist also Mittler zwischen den Gemeinden Leverkusens und dem von Rainer Kardinal Woelki geleiteten Erzbistum Köln. 2011 verlieh ihm der Papst die Ehrung „Kaplan Seiner Heiligkeit“, seither darf er sich Monsignore nennen. Teller ist Mitglied im 16-köpfigen Domkapitel in Köln, das den Erzbischof wählt. (rar)

Dann bin ich erschrocken, wie konfus die Verwaltung im Erzbistum ist und wie katastrophal und mit welcher Leichtigkeit diese Aktenführung gewesen ist. Das hätte ich so nicht erwartet. Aber es gibt auch Dinge, die mich befreit stimmen, ich wusste nicht, dass das erste Gutachten, das zurückgehalten wurde, schon bei der Staatsanwaltschaft liegt. Trotzdem: Es ist bedrückend.

Bedrückend…

… ja. Es ist mir unbegreiflich, wie so was geschehen kann.

Sie meinen sexuellen Missbrauch

Wie man Vertrauen so missbrauchen kann. Das gilt für die Kirche, für die Familie, für alles. Das ist in der Kirche immer noch schlimmer, weil man da einen Vertrauensvorschuss hat. Uns werden Kinder anvertraut!

Das Gutachten spricht von etwas über 300 Fällen, ist in Leverkusen eigentlich nie etwas passiert?

Ich habe immer gesagt, wenn ich etwas weiß, werde ich damit offensiv umgehen. Die Wahrheit ist: Ich weiß von keinem Fall. Es hat mal einen finanziellen Ausgleich gegeben, weil jemand in den 50er Jahren im Kindergarten geschlagen wurde. So wie das damals üblich war; man schlug die Kinder. Das habe ich im Nachhinein erfahren. Ansonsten weiß ich von keinem Fall, wo sich ein Priester oder Seelsorger schuldig gemacht hat. Das heißt nicht, dass es das nicht gibt, mir ist aber nichts bekannt. Die Fälle gehen unter Umständen ja auch direkt ans Erzbistum.

Haben sie als Dechant mit problematischen Kollegen umgehen müsse, wo sie dachten »bei dem bin ich mir nicht sicher?«

Das habe ich in Leverkusen nicht so erlebt. Es gab aber bei einer früheren Beschäftigung einen Zivi, von dem kam heraus, dass er sich in sich in -zig Fällen an Jungen vergriffen hatte. Da bin ich aus allen Wolken gefallen und ich habe mir den Kopf zermartert: Warum hast du nichts gemerkt? Der hat dann im Knast gesessen. Aber: Es gibt mittlerweile in jeder Gemeinde, in jeder Gruppe Präventionsbeauftragte. Es gibt regelmäßige Fortbildungen, Schutzkonzepte und klare Regeln, was zu tun ist. Viele engagieren sich, jeder Ehrenamtler braucht ein Führungszeugnis.

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Rechtsanwältin Kerstin Stirner und Anwalt Björn Gercke übergeben dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki am Donnerstag in Köln ein Exemplar eines Gutachtens zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch.

In Köln soll alle 10 Minuten jemand aus der Kirche austreten. Wie ist es in Leverkusen?

Ich habe sie noch nicht gezählt, aber es sind mehr als sonst. Ich meine, wir hätten wenigstens mehr als doppelt so viele gehabt als in den Zeiten davor.

Sind auch aktive Leute ausgetreten?

Der Unterschied zu früher ist, dass jetzt Ältere austreten. Der klassische Austritt war beim Beginn des Berufslebens, da geht es oft um die Finanzen. Jetzt ist es anders, es sind auch Leute darunter, die mir persönlich nahe stehen. Das trifft mich natürlich. Für viele ist es die einzige Art, sagen zu können: »So nicht«.

Wie standen sie zu Kardinal Meisner?

Ich persönlich habe es mit dem immer gut gekonnt, weil ich Widerworte gegeben habe.

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Haben sie nicht auch zu Kardinal Woelki einen Draht, offen zu reden, dass er alles auf den Tisch legen soll?

Das geschieht. In der Konferenz der Stadt- und Kreisdechanten wird sehr offen gesprochen. Da geht es schon rund.

Da sind also klare Worte gefallen? Ohne Effekt?

Tja, Fehler passieren überall. Aber – mit dieser Brisanz… Jetzt muss Woelki es durchstehen. Das Gutachten ist ja kein Schlusspunkt. Die Frage nach der moralischen Verpflichtung muss besprochen werden.

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2017 zur Trauerfeier des verstorbenen Kardinal Joachim Meisner war auch der Leverkusener Stadtdechant und Domherr Pfarrer Heinz-Peter Teller dabei (Bildmitte links). 

Noch was anderes: Wie geht es ihnen mit dem Zölibat?

Es ist oft schwer, wenn man die Lebensform, die man gewählt hat, immer so unter Beschuss sieht. Man kommt sich so generalverdächtig vor. Ich glaube nicht, dass das am Zölibat liegt mit dem Missbrauch, denn der kommt ja auch in Familien vor. Es liegt an anderen Dingen, an der persönlichen Verfassung und dass Täter dort sind, wo sie an Kinder herankommen. Es tut mir weh, dass man so verdächtigt wird, wenn ich sage, ich bin katholischer Priester. Wobei ich das in der Gemeinde nicht so erlebe.

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2007 wurde Teller von Kardinal Meisner als Stadtdechant eingeführt.

Und ganz persönlich?

Es gibt Zeiten, wo ich mich nach Nähe und nach Intimität und nach Miteinander sehne. Aber dann überwiegt auch wieder die Freude, für die anderen da sein zu können. Man wird ja als Priester auch reich beschenkt. Was nicht heißt, dass ich nicht, wie andere auch, depressive Löcher habe und denke: »Nee, worauf hast du dich hier eingelassen?« Das muss ich ehrlicherweise auch sagen. Unterm Strich aber sage ich, ich bin froh dass ich hier bin.

Das Gespräch führte Ralf Krieger

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