Interview vor AbflugKevin Müller aus Bergneustadt begleitet die Paralympics

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Die Tasche ist schon gepackt, in knapp einer Woche reist Kevin Müller nach Peking.

Bergneustadt – Wenn der Bergneustädter Kevin Müller (35) am kommenden Freitag in Frankfurt ins Flugzeug nach Peking steigt, macht er sich auf zu seinen sechsten Paralympischen Spielen, die am Freitag, 4. März, beginnen.  Andrea Knitter sprach mit dem stellvertretenden Pressesprecher des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) über die speziellen  Anforderungen der  Spiele in  China.

Es ist noch knapp eine Woche, bevor es  für Sie losgeht.  Wie fühlen Sie sich?

Kevin Müller: Das ist schwer zu sagen, da die Angst, sich  durch die Omikron-Variante mit Corona anzustecken, noch viel größer ist als  bei den  Sommerspielen in Tokio. Selbst  Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier  wird nicht am Flughafen sein, um uns zu  verabschieden, was schon guter Brauch war. Das wird diesmal  online mit einer Live-Schalte   geschehen.

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Aber wie man aktuell  bei den olympischen Winterspielen sieht, sind die  Sportler und die Wettkampfstätten hermetisch abgeschlossen und seit dem Beginn  gibt es kaum Corona-Fälle.

Es sind auch nicht die Wettkämpfe, die Sorgen bereiten, sondern  vielmehr  die Anreise.  Wenn wir in Peking landen, müssen wir einen PCR-Test machen und dann im Hotel  auf das Ergebnis warten. Ist der Test negativ, werden wir ins Paralympische Dorf gebracht. Bereits seit zwei Wochen müssen wir unseren Gesundheitsstatus in eine spezielle App eingeben. Dass man in  dieser Zeit seine Kontakte auf ein Minimum reduziert, ist dabei selbstverständlich. Trotzdem: Die Anspannung ist riesig.

Wie groß ist die deutsche Delegation für Peking?

Rund 60 Leute, dazu gehören neben den 18 Athleten und sechs Guides noch die Trainer, Ärzte, Physiotherapeuten, die  Offiziellen und eben auch unser siebenköpfiges Presseteam. Leiter der Delegation ist wieder Friedhelm Julius Becher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, der  wie ich aus Bergneustadt kommt. Bei den Winterspielen ist alles ein bisschen kleiner als im Sommer, da es nur sechs paralympische Sportarten gibt und wir uns  auch nicht für alle qualifiziert haben.

In welchen Sportarten treten deutsche Athletinnen und Athleten an?

Im Para-Biathlon, Para-Langlauf, Para-Ski alpin und Para-Snowboard. Im Rollstuhl-Curling und  Para-Eishockey sind wir leider nicht vertreten.

China fährt nicht nur eine rigorose Corona-Politik, sondern auch eine rigorose Informationspolitik. Was hat das für Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Normalerweise ist man eine Woche vor dem Abflug in großer Vorfreude und mitten in der inhaltlichen Vorbereitung. Das ist diesmal nicht so, weil es einfach zu viele Fragezeichen gibt, was uns vor Ort erwartet. Darüber hinaus müssen wir unser Presseteam koordinieren, beispielsweise Redaktionspläne erarbeiten für Pressemitteilungen und die sozialen Medien oder die Einsätze der Fotografen regeln. Ich bin froh, dass wir in Peking noch eine Woche Zeit haben, ehe am 5. März die Wettkämpfe starten.

Was meinen Sie mit Fragezeichen?

Beispielsweise wie läuft die Kommunikation vor Ort? Funktionieren die sozialen Medien reibungslos? Verschicken wir die Pressemitteilungen aus China oder wickeln wir das über die Geschäftsstelle in Frechen ab? Wie gestaltet sich der Transport in China? Wir stehen zwar im engen Austausch mit den Mitarbeitern des Deutschen Olympischen Sportbundes, die jetzt vor Ort sind,  und wir haben auch schon Smartphones für den Einsatz in China bekommen. Ich weiß aber nicht, wie wir vor Ort tatsächlich arbeiten können. Es ist  schwierig zu planen, weil man sich nicht so frei wie gewohnt bewegen kann und jederzeit auch kurzfristige Corona-Ausfälle im Presseteam drohen.  Anders als sonst werden zudem außer den Agenturen und dem Fernsehen kaum deutsche Medienvertreter vor Ort sein. Daher wird es vor allem auf uns ankommen, wie die Paralympics präsentiert werden.

Peking sind für Sie die sechsten Paralympics, bei denen Sie vor Ort sind. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Meine ersten Paralympics waren 2012 in London  mit Wettkämpfen in ausverkauften  Stadien und einer unglaublichen Begeisterung.  Es folgten Sotschi, Rio, Pyeongchang, Tokio mit all den Unwägbarkeiten der Corona-Pandemie und jetzt Peking. Es ist alles viel professioneller geworden, die Leistungen der Sportler explodieren.  In kleinen Schritten haben wir immer mehr Aufmerksamkeit für den paralympischen  Sport bekommen. Es ist aber kein Selbstläufer, man muss um die Wahrnehmung weiterhin kämpfen.

Was macht Ihre Arbeit für Sie aus?

Wir sind sehr nahe an den Athleten dran, erleben die Emotionen aus nächster Nähe.Bei den Paralympics ist das ein bisschen  wie eine große Familie. Ich war in Rio im Maracana-Stadion dabei, als die Flamme entzündet wurde und bin auch in Tokio mit der deutschen Mannschaft ins Stadion  eingezogen. Das  war trotz der leeren Tribünen wieder ein unvergessliches Erlebnis. Man erlebt vor Ort so viele Momente, die die Spiele schreiben und  die man nie vergisst. Die paralympische Bewegung hat einen Riesenschritt nach vorne gemacht und wird ihn noch weiter machen, wenn die Spiele 2024 mit Paris endlich wieder in Europa stattfinden.

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Was macht den paralympischen Sport für Sie aus?

Es gibt eine große Spannbreite mit Sportangeboten für  Menschen mit verschiedenen Behinderungen. Dabei spielt nicht nur der Leistungsgedanke eine Rolle, sondern auch gesellschaftliche Werte  fließen mit ein. Unsere Athleten im Team Deutschland Paralympics sind über ihre faszinierenden Leistungen hinaus Botschafter, Mutmacher und Vorbilder für Menschen mit und ohne Behinderung. Ich bekomme auch heute noch Gänsehaut, wenn ich den Sport live sehe oder die Geschichten der Sportler erfahre. Bei den Winterspielen lohnt vor allem auch ein Blick auf Para-Ski alpin: Es ist doch unglaublich, wenn Menschen im Sitzen oder auf nur einem Bein die Piste runterrasen. Vor solchen Leistungen habe ich  größten Respekt.

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