InterviewMichaela Engelmeier blickt auf zwölf Jahre im Vorstand der Bundes-SPD zurück

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Mittendrin im Bundesvorstand war Michaela Engelmeier wie hier im Oktober 2012 bei einer Sondersitzung in Berlin. 

Oberberg – Von 2009 bis 2021 gehörte Michaela Engelmeier zum Bundesvorstand der SPD. Jetzt  ist sie dort ausgeschieden. Frank Klemmer sprach mit der 61-Jährigen darüber, wie sie in die Parteispitze kam und was sie dort erlebt hat. Nach zwölf Jahren sind Sie aus dem Bundesvorstand der SPD ausgeschieden. Das heißt: Sie kamen 2009 nach einer Wahlniederlage und gingen 2021 nach einem Wahlsieg. Fühlt sich das nicht komisch an? Michaela Engelmeier: Ganz im Gegenteil. Es waren ziemlich spannende zwölf Jahre auf Bundesebene. Aber jetzt war es aus meiner Sicht einfach an der Zeit, für den Nachwuchs Platz zu machen. Ich weiß, einige sehen das vielleicht anders, aber ich bin niemand der an so einem Amt klebt. Deshalb sehe ich das auch jetzt schon sehr entspannt.

Wie kam es dazu, dass Sie es aus Oberberg in den Bundesvorstand geschafft haben?

Es begann tatsächlich mit einer Niederlage. Nachdem ich 2005 zum ersten Mal kandidiert hatte  und als unbekannte, damals noch jüngere Frau ein  sehr beachtliches Erststimmenergebnis geholt hatte, habe ich 2009 mehr als zehn Prozent verloren. Das hat geschmerzt. Auch wenn es nicht nur meine Niederlage war, sondern die Partei als Ganzes, habe ich überlegt, ob ich überhaupt weitermache. Ich wollte aufhören.

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Was hat Sie daran gehindert und in den Bundesvorstand geführt?

Es war ein Anruf von Hannelore Kraft. Die war damals noch nicht Ministerpräsidentin, sondern SPD-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführerin im Landtag. Unser politischer Weg hatte gemeinsam begonnen. Sie sagte, die NRW-SPD suche jemanden, der anstelle der ehemaligen Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann, die ausscheiden wollte, für den Bundesvorstand kandidiert. Und Hannelore Kraft sagte zu mir: „Wir brauchen eine, die die Klappe aufmachen kann.“ (schmunzelt) Da war ich dann wohl die Richtige. Ich habe noch eine Nacht darüber geschlafen und dann habe ich Ja gesagt.

Und es hat  geklappt . . .

Das war schon erstaunlich. Ich kam ja als ehrenamtliche Politikerin in diese illustre Runde. Und immerhin habe ich es im zweiten Wahlgang geschafft. Viele andere sind damals durchgefallen. Als  der Vorstand dann gewählt war,  stand ein alter Hase – den Namen nenne ich jetzt nicht – auf der Bühne neben mir und fragte mich: „Wer bist Du eigentlich?“ (lacht)

Da war Sigmar Gabriel gerade zum SPD-Vorsitzenden gewählt worden. Ihm folgten allein in den vergangenen fünf Jahren Martin Schulz, ganz kurz Olaf Scholz, dann Andrea Nahles,  anschließend das kommissarische Trio aus Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel und schließlich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Ganz schön viele neue Namen in so kurzer Zeit . . .

Der Weg der SPD in meinen zwölf Jahren im Vorstand war ja eine Achterbahnfahrt – mit ganz vielen Tiefen. Dazu gehört vor allem das Ende von Andrea Nahles. Ich bin bis heute empört, was man damals mit ihr gemacht hat. Als sie Vorsitzende wurde, habe ich mich als Vorstandsmitglied zum ersten Mal richtig ernstgenommen gefühlt. Nach der Neuwahl vor zwei Jahren war es für mich zuerst schwierig. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans waren nicht das Team, das ich unterstützt hatte, sondern Olaf Scholz und Klara Geywitz.

Das ist erstaunlich, denn Sie werden ja eher zum linken Flügel gerechnet, der für Esken und Walter-Borjans war.

Für mich war das keine Frage von Flügeln, sondern von Personen. Ich bin jetzt mit Olaf Scholz nie dicke Freundin gewesen, aber wer kann das schon von sich behaupten! Aber Olaf war schon immer ein Guter. Und Klara Geywitz schätze ich persönlich wirklich sehr.

Zurück auf die Achterbahn: In Ihren zwölf Jahren im Vorstand gab es für die Bundes-SPD ganz, ganz viele Niederlagen und am Ende einen völlig überraschenden Sieg. Wie haben Sie das erlebt?

Es war ein schwieriger Weg. Da gab es viele Entscheidungen, von denen ich im Nachhinein gedacht habe, dass wir darüber vielleicht noch einmal hätten nachdenken sollen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Kür von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten, ohne die Basis zu fragen. Natürlich habe ich auch gejubelt und dieses Grinsen gehabt, als die Umfragen uns zunächst über die 30-Prozent-Marke getragen haben. Aber wir haben wieder einmal den Fehler gemacht, den Martin einfach mal machen zu lassen, anstatt uns gemeinsam auf ein Programm festzulegen und ihn inhaltlich zu unterstützen.

2021 lief es dann völlig anders. Was hätten Sie gemacht, wenn Ihnen  im Mai jemand gesagt hätte: Olaf Scholz wird Kanzler?

(schmunzelt) Ich hätte gelacht, mehr nicht.

Haben Sie eine Erklärung dafür, was da passiert ist?

Sicher gab es die Probleme der anderen Spitzenkandidaten. Ich glaube aber auch, dass die Menschen in einer Phase wie jetzt, wo alles von der Corona-Krise überdeckt wird, einfach einen Typen wie Olaf Scholz gewollt haben, auch wenn er immer etwas  stoisch wirkt. Ich habe ihn einmal nach einem Wahlsieg in Hamburg im Willy-Brandt-Haus gesehen: Er hatte gerade die absolute Mehrheit geholt. (lacht)

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Ich dachte nur: Olaf, lach doch mal! Keine Chance! Aber er verkörpert etwas, was die Leute jetzt einfach gewollt haben: einen verlässlichen, ruhigen und besonnenen Kanzler.

Da stellt sich die Frage, wie nachhaltig der Erfolg ist. Ist er nicht genauso schnell wieder weg, wie er gekommen ist?

Ich glaube, Olaf Scholz hat eine Chance, mit seiner Regierung die Menschen zu überzeugen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Genauso wie er es in Hamburg als Regierender Bürgermeister gemacht hat, als auch nicht jeder damit gerechnet hat.

Sie werden es in Zukunft mit Abstand erleben. Im Rückblick: Wie sehen Sie die Berliner Blase rund um die Bundespolitik? Ist die Einigkeit dort nicht andererseits auch ein Grund für den Vertrauensverlust, den man im Land abseits der Hauptstadt zu spüren glaubt?

Ich sehe das heute durchaus kritisch. Andererseits kann es für mich auch keine Alternative sein, wie die AfD alles angreift, was dort im großen Konsens beschlossen wird. Im Konsens, weil es richtig ist – von der Ehe für Alle über die Flüchtlingspolitik bis hin zu den Corona-Maßnahmen.

Spüren Sie aber nicht auch, dass der Riss in der Gesellschaft auch in Oberberg längst über irgendwelche neuen Nazis hinausgeht?

Natürlich. Ich habe gute Freunde, die ich seit Jahrzehnten kenne, die nicht mehr mit mir reden und mich blockiert haben, weil ich ihren Verschwörungstheorien nicht recht gebe. Auch ich kenne Menschen, die montags in Gummersbach mit demonstrieren. Trotzdem bleibe ich bei meinem Standpunkt: Spätestens wenn ich sehe, dass neben mir Nazis laufen – von der AfD, von der NPD, vom Dritten Weg oder was alles so an Rechtsextremen gibt –, spätestens dann verstehe ich die Menschen nicht mehr, die da mitlaufen.

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