Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Geiselnahme in VillaLandgericht verurteilt den „kleinsten Fisch“ im Kölner Drogenkrieg

5 min
Aus dieser Villa in Rodenkirchen befreite das SEK die beiden Geiseln aus Bochum.

Aus dieser Villa in Rodenkirchen befreite das SEK die beiden Geiseln aus Bochum.

Dem Angeklagten Botan I. wurde Beihilfe und Waffenbesitz vorgeworfen. Nun steht seine Strafe fest. 

Er sei der „kleinste Fisch“ der Kalker Drogenbande, eine Randfigur – so bezeichnete der Vorsitzende Richter Alexander Fühling am Mittwoch im Landgericht den Angeklagten Botan I. (33) und erklärte damit die zunächst milde klingende Haftstrafe von vier Jahren für Beihilfe zur Geiselnahme und Waffenbesitz. Es war das erste Urteil im großen Komplex „Kölner Drogenkrieg“ um Handel mit Marihuana, Raub und Folter. Zwei weitere Prozesse laufen, weitere Anklagen wurden erhoben.

Köln: Beihilfe zur Geiselnahme eines Bochumer Paares

Botan I. wurde schuldig gesprochen, die Entführung eines Paares aus Bochum im vergangenen Juli unterstützt zu haben. Auf Geheiß des mutmaßlichen Drogenbosses Sermet A. habe er Waffen in seiner Kalker Wohnung aufbewahrt, zudem wohl 250.000 Euro in bar. Die Pistolen wurden später bei der Geiselnahme genutzt, mit dem Geld sollten die beiden Opfer in eine Falle gelockt werden – die Bande verdächtigte sie, ihnen zuvor 350 Kilogramm Cannabis aus einer Lagerhalle in Hürth gestohlen zu haben.

Der Angeklagte Botan I. mit seiner Verteidigerin Julia Stab beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Der Angeklagte Botan I. mit seiner Verteidigerin Julia Stab beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Der Angeklagte sei mit Sermet A. befreundet gewesen. In den Restaurants von dessen Vater sei er Tellerwäscher gewesen und habe am Dönerspieß gestanden. Die beiden hätten sich vertraut, sagte Richter Fühling. Daher nehme er es dem Angeklagten auch nicht ab, nichts von dessen aktuellen kriminellen Tätigkeiten gewusst zu haben. Botan I. hatte beim Prozess im Landgericht über seine Verteidigerin Julia Stab erklärt, nicht in die Pläne für die Geiselnahme eingeweiht gewesen zu sein.

Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln

Köln: Waffen und Geld in Kalker Wohnung aufbewahrt

Dass er die Waffen und Geld aufbewahren sollte, habe ihm nicht gefallen. Er habe es aber als Freundschaftsdienst gemacht, da ihm Sermet A. in der Vergangenheit sehr geholfen habe, etwa bei Behördengängen. A. habe ihm versichert und „auf den Koran geschworen“, dass mit den Waffen nichts Schlimmes angestellt werde. Dass der Besitz scharfer Waffen in Deutschland illegal ist, will Botan I. nicht gewusst haben – obwohl er seit dem Jahr 2016 hier lebt. In seinem Heimatland Irak sei es üblich, dass man Waffen zu Hause habe, so hatte Botan I. argumentiert. Der Richter nahm es ihm nicht ab.

Auch von der geplanten Geiselnahme müsse Botan I. gewusst haben, sagte der Richter. So hätten sich die späteren Kidnapper nicht nur in seiner Wohnung versammelt und darüber gesprochen. Auch hätte I. den Schlüssel zur Rodenkirchener Villa übergeben, in der die Opfer später festgehalten wurden. Außerdem habe der Angeklagte während des Geschehens 35-Mal mit Sermet A. telefoniert. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass es da nicht um die Geiselnahme gegangen sei, so das Gericht.

„Das war der Versuch, uns zu verkackeiern“, sagte Richter Fühling. Er machte deutlich, die Einlassung des Angeklagten nicht als glaubhaftes Geständnis zu werten. Demnach konnte sie auch nicht strafmildernd zugrunde gelegt werden. Gleichwohl hielt das Gericht eine Strafe von vier Jahren Gefängnis für angemessen – Staatsanwältin Heike Nöldgen hatte in ihrem Plädoyer fünfeinhalb Jahre Haft gefordert. Anwältin Stab hatte ein mildes Urteil beantragt, sie dürfte zufrieden mit dem Ergebnis sein.

Köln: Methoden der niederländischen „Mocro Mafia“ angewandt

Richter Fühling sagte, im „Kölner Drogenkrieg“ sei zwar nicht die niederländische „Mocro Mafia“ involviert. Doch das aus dem Nachbarland bekannte Phänomen der außer Kontrolle ratenden Konflikte in der Drogenszene mit Entführungen, Folterungen und Explosionen sei nun auch in Köln bekannt. Auch seien mehrfach Holländer engagiert worden, um die Drecksarbeit für die Kalker Bande zu erledigen. Diese Auftragstäter würden „Shooter“ genannt und seien äußerst gewaltbereit.

Ausgangspunkt war der Drogenraub aus der Hürther Lagerhalle, dem nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wohl ein Verrat innerhalb der Kalker Gruppierung vorausgegangen war. Sermet A. habe zunächst versucht, den Verräter innerhalb seiner Bande zu enttarnen. So habe er die Mitglieder in der Lagerhalle foltern lassen. Später habe man sich nach Hinweisen auf das Bochumer Paar konzentriert. Ob der Mann und die Frau mit dem Raub etwas zu tun hatten, ist bis heute ungeklärt.

Das Paar wurde nach Rodenkirchen verschleppt und im Keller einer freistehenden Villa gefesselt. Später kursierten Videos im Netz, die einen nackten Mann zeigten, auf den brutal eingeschlagen wurde. Drogenboss Sermet A. habe per Telefon Anweisungen gegeben, so der Richter. So sei an den Bruder der Geisel eine Nachricht übermittelt worden. Sechs Stunden habe er Zeit, um die Drogen oder den Gegenwert von 1,5 Millionen Euro zu beschaffen, ansonsten wäre der Bruder tot.

Köln: Sermet A. gilt als Schlüsselfigur im „Drogenkrieg“

Die Entführer hätten die Geiseln gequält und „Scheinhinrichtungen“ durchgeführt, so der Richter. Demnach habe einer der Täter dem Mann eine ungeladene Pistole an den Kopf gehalten und abgedrückt. Eine SEK-Einheit konnte die Geiseln letztlich befreien – nach dem Hinweis eines Mittäters, der Skrupel bekommen hatte und geflüchtet war. Er gilt nun neben weiteren Komplizen als Kronzeuge und verspricht sich durch die geleistete Aufklärungshilfe offenbar einen Strafrabatt.

Die Schlüsselfigur im „Kölner Drogenkrieg“ sei laut Richter Fühling eindeutig Sermet A. aus Kalk, den man aufgrund seines aufbrausenden Charakters auch „Schizo“ genannt habe. A. habe im ganz großen Stil mit auch harten Drogen gedealt, den Erlös in Luxusautos und teure Kleidung gesteckt. Unter Decknamen wie „White Rocket“, „El Paso“ oder auch „Olaf Scholz“ habe der Kölner in Chats agiert. A. wurde vergangenen Oktober in Paris festgenommen und wartet nun auf seine Anklage.