87-jährige Gladbacherin aus Zug geworfenBahn entschuldigt sich mit 50-Euro-Gutschein

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Bei Margot Bäumerich steht das Telefon nicht still. Seniorenbeiräte im Kreis reagieren ebenfalls betroffen. 

Bergisch Gladbach – Viele Menschen sind betroffen. Sie reagieren entsetzt, empört und erschrocken auf das unerbittliche Verhalten des Schaffners der Deutschen Bahn. Dies zeigen die zahlreichen Anrufe, die Margot Bäumerich und die Redaktion erreichen. Die 87 Jahre alte Gladbacherin – die Redaktion berichtete am Wochenende – musste auf der Rückfahrt vom Grab ihres Mannes in Leipzig den Zug verlassen, weil sie vergessen hatte, ihre Maske aufzuziehen. Ihren Mund-Nasenschutz habe sie auf die Schnelle einfach nicht gefunden, berichtete sie.

Ihr Telefon steht nicht mehr still. „Dass so etwas passiert ist, kann keiner verstehen“, erzählt die Seniorin. Gemeldet haben sich Freundinnen, frühere Lehrerkollegen und Freunde ihres gestorbenen Mannes. „Die meisten haben meinen Mut bewundert, dass ich das Erlebnis publik gemacht habe“, erzählt die Seniorin. Im Nachhinein sei sie froh, sich das getraut zu haben: „So etwas erfährt man ja sonst nicht.“ Ihre Hoffnung ist, dass kein Reisender in eine solche Not gerät, wie sie sie erlebt habe.

„Mir war es so wichtig, zum Grab meines Mannes zu fahren" 

Hilflos stand Margot Bäumerich mit ihrem Gepäck auf dem Bahnsteig in Leipzig. Die Fahrkarte entwertet, wusste sie nicht, wie sie nach Hause kommen sollte. Die Deutsche Bahn hat sich inzwischen in aller Form entschuldigt und der Senioren einen 50-Euro-Gutschein angeboten.

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„Seit der Beisetzung meines Mannes 2020 konnte ich wegen Corona nicht mehr ans Grab. Das war mir so wichtig“, sagt Bäumerich. Sie sei stolz auf sich gewesen, die weite Fahrt mit dem Zug nach Tschechien in den kleinen Ort Lipová an der Grenze zu Sachsen zu wagen.

„Das Mitgefühl der Polizisten ist mir ein großer Trost“

Ob sie die Reise noch einmal mit dem Zug wiederholen würde? „Ich weiß es nicht“, sagt sie. Der autoritäre Auftritt des Schaffners beschäftige sie immer noch. Aber sie halte sich fest an der guten Erfahrung, die sie gemacht habe: „Die Polizisten auf dem Bahnsteig haben Mitgefühl gezeigt mit einem alten Menschen. Das ist mir ein großer Trost“, betont Margot Bäumerich.

Wie sich die Gladbacherin fühlt, kann Elisabeth K. (Name geändert) gut nachvollziehen. Sie hat sich in der Redaktion gemeldet: „Diese Wucht, diese Macht über einen zu bestimmen“, habe die 72-Jährige erlebt, als sie nach einer Behandlung aus dem Evangelischen Krankenhaus kam: „Ein Security-Mitarbeiter hat mich angeherrscht, weil ich angeblich den falschen Ausgang benutzt habe.“

Vor Schreck habe sie am ganzen Leib gezittert: „Wie auf der Flucht bin ich zur Parkuhr gehetzt.“ Elisabeth K. wünscht sich, dass Mitarbeiter, die solche Jobs ausüben, entsprechend geschult werden – „erst recht, wenn sie für ein Krankenhaus arbeiten“, sagt sie.

Stimmen zum Vorfall

So etwas wie das prägende Gesicht der engagierten Seniorenpolitik in Rhein-Berg ist Rudolf Preuß, der Ehrenvorsitzende der Senioren-Union. Zu dem, was Margot Bäumerich im ICE in Leipzig widerfahren ist, hat er eine klare Meinung: „Es ist unfassbar und kann nicht unkommentiert bleiben.“ Eine solche Kommentierung sei die Aufgabe von Bundes- oder Landesvorstand der Senioren-Union. Preuß bricht aber auch eine Lanze für die vielen anständigen Bahnmitarbeiter und weist darauf hin, dass es sich bei dem Fall von Leipzig nach seinen Erfahrungen um einen „Ausreißer“ handele.

Die Vorsitzende des Gladbacher Seniorenbeirats Gabriele Rieband spricht von einer „Opferidentität“ der älteren Bürger. Auch sie hat die Geschichte von Margot Bäumerich sehr bewegt.

Die Vorsitzende erinnert an ein grundsätzliches Problem: Seniorinnen und Senioren seien weniger in der Gesellschaft präsent als andere Gruppen, gerade in jüngster Zeit sei ihr dies aufgefallen. Manche älteren Mitbürger seien durch Krankheit oder andere Umstände an die Wohnung gebunden, im gesellschaftlichen Leben würden Senioren zurückgedrängt.

Im Bereich der Mobilität würden die Interessen der Älteren beschnitten, gegen die Radfahrer, für die die Stadt sehr vieles unternehme. „Nicht alle Älteren können mit dem Rad fahren“, sagt Gabriele Rieband. Der Seniorenbeirat wolle laut und stark die Stimme gegen die Benachteiligung der älteren Mitbürger erheben. Leider in den Fachausschüssen der Politik nur mit beratender Stimme, ohne richtiges Stimmrecht. Eine Änderung sei wünschenswert.

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„Das war typisch, dass Polizisten und auch junge Leute der Bahnreisenden geholfen haben“, findet Martin Derda, der stellvertretende Vorsitzender des Bergisch Gladbacher Seniorenbeirats. Auch ihn hat die Bahn-Odyssee von Margot Bäumerich beschäftigt. Vor Jahren habe er so etwas ähnliches erlebt, berichtet er.

Als er mit seiner Frau zum Radeln unterwegs gewesen war, sei auf dem Bahnsteig versehentlich  sein Rad stehengeblieben. An der nächsten Haltestelle habe er aussteigen und zurückfahren wollen. „»Jetzt steigen sie beide aus«, hat der Schaffner gesagt.“ Oft falle es den Betroffenen schwer, Argumente gegen so ein Behördendenken anzuführen. In seinem Fall habe er sich doch durchgesetzt und sei alleine ausgestiegen. „Aber nicht jeder kann dagegen ankommen“, meint Derda. (sb, cbt)

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