Belastungszeuge unglaubwürdigRichterin nutzt Google Maps zur Wahrheitsfindung

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Amtsgericht_Bergisch_Gladbach (1)

Schild am Eingang zum Amtsgericht in Bensberg.

Bergisch Gladbach – „Ich hab’ mal wieder Google Maps benutzt“, verrät Amtsrichterin Lisa Halm, bevor sie  das Verfahren gegen den Angeklagten einstellt. Hatte der Internet-Navigationsdienst neulich einen betrunkenen Bauunternehmer aus Oberberg vom Vorwurf des illegalen Rennens entlastet, wurde dieses Mal ein Angeklagter aus Köln dadurch entlastet, dass der einzige Zeuge der Anklage nach einer Streckenmessung reichlich unglaubwürdig dastand.

Der Vorfall liegt schon lange zurück: Zeuge Ali G. (Namen geändert) beschuldigte Autofahrer Toni D. (24),  ihn am Abend des 8. September 2019 auf der Straße Lustheide, die am Ortsrand von Refrath in Richtung Köln führt, dermaßen ausgebremst zu haben, dass sein Notbremsassistent anging und ein Unfall so gerade noch vermieden werden konnte.

Schon die dritte Richterin

Toni D. schilderte das jetzt vor Gericht ganz anders: Er sei in Refrath gewesen und  der Auspuff seines Autos ein bisschen laut, und der andere habe ihn im Bereich Burgplatz anzuhalten versucht. Er sei weitergefahren, der andere habe die Verfolgung aufgenommen, so dass er es mit der Angst zu tun bekommen  und mit der Polizei telefoniert habe. Die Beamten hätten ihn zur Autobahnwache lotsen wollen, doch dann  sei der Verfolger abgebogen.

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Nach der in Burscheid erstatteten Anzeige von Ali G. klagte die Staatsanwaltschaft Toni im Januar 2020 wegen eines „gefährliches Eingriff in den Straßenverkehr“ an. Es kam zum Prozess, mehreren sogar. „Sie sind jetzt die dritte Richterin im Verfahren“, merkte Verteidiger Klaus Becker gegenüber der Richterin an.

Plötzlich erwähnte der Zeuge seinen kleinen Bruder

Ursache: Der Belastungszeuge hatte ein eigenwilliges Verständnis von Zeugenpflichten bewiesen. Zum ersten Prozess kam er gar nicht und kassierte dafür 150 Euro Ordnungsgeld, beim zweiten belastete er Toni D. Allerdings taten sich damals Fragen auf: Was hatte Ali G.  überhaupt in Refrath gemacht? Es gab damals an, seinen kleinen Bruder Omar (8) bei dessen Kumpel Ben am Burgplatz abgeholt und ihn zurück zu Muttern nach Kerpen gefahren zu haben.

Vom kleinen Bruder war bis dahin allerdings gar nicht die Rede gewesen, weshalb der in der dritten Auflage des Prozesses ebenfalls gehört werden sollte. Jedoch erschienen zum neuen Termin weder Ali noch Omar: Omar nicht, weil die Mutter das nicht gewollt habe, und Ali meldete sich krank, Corona-Verdacht.

Strecke von Refrath über Kerpen nach Burscheid zu weit

Noch einmal vertagen? Nein. Richterin Halm erklärte, wofür sie Google Maps genutzt hatte: Sie hatte die angebliche Fahrstrecke von Ali gecheckt und dabei herausgefunden dass aus zeitlichen Gründen dessen Angabe nicht stimmen könne, wonach er von Refrath (Omar abholen) bis Kerpen (Omar bei der Mutter abliefern) und dann nach Burscheid (Anzeige bei der Polizei erstatten) gefahren sei.

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Und durch eine Anfrage des Protokollführers beim Einwohnermeldeamt kam außerdem noch raus, dass es rund um den Burgplatz zwar genau einen Ben gab, dieser aber schon 23 Jahre alt war und daher wohl nicht der Kumpel des achtjährigen Omar sein konnte.

Neues Ordnungsgeld steht im Raum

Angesichts dieser eklatanten Unregelmäßigkeiten schlug die Richterin vor, das Verfahren ohne Buße einzustellen. Toni D. und sein Verteidiger gingen kurz nach draußen, dann nahmen sie das Angebot an, und auch die Staatsanwaltschaft war einverstanden. 

Ali G. muss sich jetzt warm anziehen: Sollte Corona nur eine Ausrede für sein erneutes Nichterscheinen gewesen sein, erwartet ihn ein neues Ordnungsgeld, das  laut Richterin deutlich höher ausfallen dürfte als das erste.

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