Bergisch Gladbach – Jünger und weiblicher: Das Bensberger Jugendgericht hat sich in den vergangenen Wochen stark verändert. Nach Jahrzehnten unter der Ägide der Juristen Berthold Sellmann (25 Jahre Jugendrichter) und Günter Mischke (14 Jahre) haben im Februar die Richterinnen Britta Epbinder und Milena Zippelius-Rönz und ihr Kollege Ertan Güven die Aufgaben im Februar übernommen - und damit den Altersdurchschnitt der Abteilung von 61 auf 42 Jahre gesenkt.
Alle drei sind nicht ausschließlich als Jugendrichter tätig, sondern haben weitere Aufgaben. Während die beiden Richterinnen erstmals im Jugendbereich tätig werden, hat Güven bereits an seinem früheren Amtsgericht in der Clan-Hochburg Essen Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen (14 bis 18 Jahre) und Heranwachsenden (19 bis 21) gesammelt.
Ein Lob für die Altvorderen
Im Gespräch mit der Redaktion loben alle drei Juristen die Strukturen im Rheinisch-Bergischen Kreis. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Vertreter der Jugendgerichtshilfe, also Experten vom Jugendamt, an ihren Verhandlungen teilnehmen und mit ihren Berichten über die familiären Verhältnisse wichtige Beiträge dazu leisten, dass ein gutes Urteil gefunden wird, wie Epbinder erläutert.
Das sind die Richterinnen und Richter
Zu den Personen
Die Verjüngung am Jugendgericht und die Verabschiedung des dienstältesten Strafrichters Reinhard Bohn vor wenigen Wochen, am 1. Juni, sind nur zwei Aspekte des derzeit laufenden Generationswechsels am Amtsgericht. Jugendrichter Sellmann wechselte zum Betreuungsgericht, sein Kollege Mischke wird in wenigen Wochen pensioniert. Auch Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg und ihre Stellvertreterin Birgit Brandes gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Die neuen Richter:
Britta Epbinder ist 43 Jahre alt und seit Anfang 2019 in Bergisch Gladbach. Angefangen hat sie im Bereich des Landgerichts Essen und war dort zuletzt an einer Großen Strafkammer tätig, wechselte aber aus familiären Gründen in den Kölner Raum. Sie ist im Bereitschaftsdienst tätig, den sie auch koordiniert, und als Jugendrichterin.
Ertan Güven ist 44 Jahre alt, lebt in Köln und arbeitet seit 2020 in Bergisch Gladbach, zunächst im Bereitschaftsdienst und für Betreuungsangelegenheiten, jetzt zu 70 Prozent als Jugend- und Jugendschöffenrichter und zu 30 Prozent für Erwachsenenstrafrecht. In Essen hatte er Strafsachen bearbeitet und war zwei Jahre lang als Ermittlungsrichter tätig.
Milena Zippelius-Rönz ist 38 Jahre alt und lebt in Bergisch Gladbach. Sie wechselte nach ihrer Elternzeit vom Kölner Amtsgericht, wo sie zuletzt als Strafrichterin tätig war, nach Bergisch Gladbach, wo sie mit halber Stelle im Bereitschaftsdienst tätig ist und mit der anderen Hälfte als Jugend- und Jugendschöffenrichterin.
Das hätten die neuen Richter ihren Vorgängern zu verdanken, die sich da große Mühe gegeben haben, würdigt Kollegin Zippelius-Rönz die Arbeit der Altvorderen. Alle drei Monate findet in Rhein-Berg ein „Runder Tisch“ statt. Daran sitzen Vertreter der Jugendgerichtshilfe, der für Rhein-Berg zuständige Jugendstaatsanwalt und Vertreter der Polizei, berichtet Güven: „Alle Beteiligten sind gut erreichbar und ziehen am selben Strang.“
Ziemlich friedlicher Landkreis
Ist der Rheinisch-Bergische Kreis, ländlich, wie er zumindest in seinem östlichen Teil geprägt ist, strafrechtlich eine Insel der Glückseligkeit? „Im Erwachsenenstrafrecht finde ich schon“, sagt Zippelius-Rönz, denn da gebe es einen „großen qualitativen unterscheid, was die Straftaten angeht“. So gebe es in Köln mit seiner großen Club-Szene deutlich mehr Körperverletzungsdelikte. Solche Verfahren kosteten viel Zeit, es gebe viele Zeugen zu hören und sie seien schwer aufzuklären.
Andererseits haben die drei Richterinnen und Richter im Jugendbereich ebenfalls viel mit Körperverletzungsdelikten zu tun. Das liegt an einer Spezialität des Jugendstrafrechts: „Das Delikt findet in Köln statt, wird aber hier angeklagt, weil es bei Minderjährigen nach dem Wohnort geht“, sagt Güven.
Besinnungsaufsätze und Trainingskurse
„Insel der Glückseligkeit“ wäre aus seiner Sicht übertrieben, aber: „Man merkt schon einen Unterschied in Deliktqualität und -intensität.“ Es gebe hier eine „nennenswerte Zahl von Angeklagten, die nicht mehr wiederkommen“ und bei denen man merke, dass es wirklich eine „typische Jugendverfehlung“ war.
Der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht wird auch daran deutlich, dass den Richterinnen und Richtern mehr Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen als Geld- oder Freiheitsstrafen. Sanftestes Mittel ist die „Ermahnung“, es folgen Sozialstunden, die gerne deliktbezogen verhängt werden. Güven: „Wenn Jugendliche anfangen zu kiffen, gibt es ganz tolle Bücher. Mann kann ihnen auferlegen, sie zu lesen und handschriftliche Aufsatz darüber zu schreiben, damit man weiß, dass sie sie gelesen haben.“
Justiz bei Bedarf auch mit Biss
Epbinder nennt als weitere Beispiele soziale Trainingskurse oder Antiaggressionstrainings. Zippelius-Rönz hat beobachtet: „Mit einem Aufsatz stößt man viele in ein tiefes Tal. Sie müssen sich dann mit der Thematik auseinandersetzen. Für viele ist das eine Herausforderung.“
Die Justiz kann aber auch die Zähne zeigen: Das beginnt beim Wochenendarrest und steigert sich auf bis zu vier Wochen Dauerarrest. Letzte Eskalationsstufe ist die Jugendstrafe.
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Selbst schon mal testweise in Haft gesessen haben die drei Richter nicht. Aber sie haben sich schon mal in Zellen aufgehalten und das beklemmende Gefühl gespürt, dass die Tür jetzt zugehen könnte und sie nicht mehr hinaus könnten. Und dass sie sich Zelle und mitsamt Toilette mit mindestens einer zweiten Person teilen müssten, die sie sich nicht vorher aussuchen könnten - Gedanken, die sich die meisten rechtstreuen Bürgerinnen und Bürger vermutlich gar nicht machen.