Interview mit der Links-Jugend Rhein-Erft„Die RWE-Mitarbeiter sind nicht die Bösen“

Lesezeit 7 Minuten
Linksjugend Rhein_Erft

Die Volontäre Sarah Herpertz (v.l.) und Niklas Pinner empfingen die Vertreter der Linksjugend des Rhein-Erft-Kreises Jan Schiffer, Stefan Söhngen und Sirin Seitz zum Interview. Die jungen Linken sprachen unter anderem über die vergangene Europawahl und die Klimapolitik.

  • Die Links-Jugend im Rhein-Erft-Kreis wirbt beim Kohleausstieg für staatlich geförderte Industriearbeitsplätze.
  • Mitglieder der Links-Jugend sind auch bei Fridays for Future aktiv.
  • Die Haltung der Bundespartei zum Thema Europa sehen die jungen Aktivisten der Linkspartei im Rhein-Erft-Kreis kritisch.

Rhein-Erft – Die soziale Spaltung in Deutschland wird immer größer. Eigentlich müsste die Linke davon doch profitieren...

Jan Schiffer: Es sieht regional sehr unterschiedlich aus. In Berlin bekommen wir, seit wir an der Politik beteiligt sind, immer mehr Anhänger, auch in den Umfragen. Auch im Rhein-Erft-Kreis haben wir tendenziell immer bessere Ergebnisse als in den Umfragen vorher. Wir würden uns allerdings natürlich wünschen, dass es mehr wird. Ich glaube, es liegt daran, dass viele Antworten der Linken den Leuten nicht so bewusst sind. Viele wissen zum Beispiel gar nicht, was für detaillierte Konzepte wir zum Klimaschutz haben. Es liegt wohl auch daran, dass es immer noch gewisse Berührungsängste uns gegenüber gibt. Wir arbeiten aber daran, diese abzubauen.

Was heißt das konkret?

Alles zum Thema RWE

Schiffer: Wir versuchen, mit allen zivilgesellschaftlichen und anderen Parteien regelmäßig in Kontakt zu stehen. Wir versuchen einfach, gute inhaltliche Arbeit zu leisten. Auch in den Stadträten an der Basis. Um den Leuten zu zeigen: Wir kritisieren nicht nur, wir haben auch Antworten.

Könnt ihr Beispiele nennen?

Schiffer: In Kerpen zum Beispiel haben wir beim Thema Wohnungsbau sehr viel erreicht. Mittlerweile ist auch die CDU für mehr sozialen Wohnungsbau.

Stefan Söhngen: Im Kreis haben wir uns beim Thema Hartz-IV sehr profiliert und machen da auch wirklich viel, insbesondere beim Thema Kosten der Unterkunft. Da gab es ein rechtswidriges Konzept des Kreises. Darum haben wir uns sehr gekümmert. Wir machen als Partei viel im Kreis: viel Sozialberatung, vor allen Dingen für Leute, die Hartz-IV bekommen.

In Prozentzahlen schlägt sich das allerdings nicht nieder...

Stefan Söhngen: Da muss man differenzieren. Es ist eben regional sehr unterschiedlich. Und bei der Europa-Wahl vertrat die Partei eine sehr unglückliche Position zu Europa. Die Partei konnte sich nicht wirklich darauf einigen, wie sie zu Europa steht. Ich persönlich glaube, dass das Ergebnis deutlich besser ausgefallen wäre, wäre man mit einer pro-europäischen Haltung in den Wahlkampf gegangen.

Schiffer: Das Programm hatte viele Ansätze, wie man Europa demokratischer und besser machen kann. Wir haben das Initiativ-Recht für das Parlament gefordert und Investitionen in den ökologischen Umbau. Wir müssen daran arbeiten, mehr Leute zu begeistern. Ich glaube, das gute Programm ist in der Kampagne nicht so rübergekommen.

53 Mitglieder im Kreis

Die Links-Jugend im Rhein-Erft-Kreis hat zurzeit 53 Mitglieder, aktiv davon sind etwa zehn. Gegründet hat sich die Jugendorganisation vor etwa fünf Jahren. Zwischendurch war sie nicht besonders aktiv, Anfang 2018 wurde sie wiederbelebt.

Sprecherin ist die 28-jährige Sirin Seitz aus Hürth. Zum Interview gekommen waren außerdem Stefan Söhngen (22) aus Brühl und Jan Schiffer (18) aus Kerpen. Da sich die Links-Jugend als basisdemokratisch versteht, gibt es keinen Vorstand. (nip)

Wofür steht im Rhein-Erft-Kreis die Jugend der Linken in puncto Europa?

Söhngen: Schon eher für einen pro-europäischen Ansatz. Wir sind nicht dafür, die EU abzuschaffen (lacht).

Schiffer: Das ist ja auch Parteiposition. Wir sind gegen den Ausstieg, aber wir wollen die EU auch nicht feiern wie sie gerade ist. Die EU hat Demokratie-Defizite und da haben wir ein sehr pro-europäisches Programm, das die Probleme benennt. Wir wollen nicht zurück zu den Nationalstaaten, sondern ein demokratischeres, sozialeres und ökologischeres Europa. Und dafür haben wir auch die Ansätze.

Wart ihr euch da alle einig?

Söhngen: Wir sind eine plurale Jugendorganisation, in der es auch verschiedene Meinungen geben kann. Ich persönlich fand die Idee der Republik Europa ganz spannend. Jan ist da kritischer. Aber es ist ja ganz normal in einer Partei, dass wir unterschiedliche Meinungen haben. Das belebt die Diskussion. Wir gehen jedenfalls immer sehr fair miteinander um.

Durch die Welt geht ein Rechtsruck. Woher kommt das?

Schiffer: Ich glaube, das hat viel mit Verunsicherung zu tun. Ich glaube, die AfD ist im Osten so stark, weil durch die meiner Meinung nach sehr schlechte Treuhand-Politik die Wirtschaft am Boden ist und es sehr viel Arbeitslosigkeit gibt. Das rechtfertigt natürlich nichts. Ein Problem ist, dass die gesellschaftliche Mitte dem nachgibt. Die Linke ist die einzige Partei, die im Bundestag alle Asylrechts-Verschärfungen abgelehnt hat. Wir waren die einzige Partei, auf die man sich in dieser Frage verlassen konnte.

Müssen dann für euch auf der anderen Seite nicht mehr Leute zu euch stoßen?

Sirin Seitz: Auf jeden Fall. Wir haben ja auch Mitglieder dazugewonnen in den vergangenen Jahren, vor allem bei den jüngeren Leuten.

Thema Fridays-for-future: Wie positioniert ihr euch da?

Schiffer: Wir sind damit vollkommen solidarisch und unterstützen das. Ich zum Beispiel organisiere FFF in Kerpen mit, und wir waren alle auf Demos und sind in unterschiedlichem Maße involviert. Wir versuchen natürlich auch, eine Programmatik einzubringen, die das Soziale und das Ökologische zusammen denkt. Für uns ist das eine logische Ergänzung des Ansatzes.

Worin unterscheidet sich euer Ansatz von dem der Grünen?

Söhngen: Die Grünen haben in der Landesregierung dem Hauptbetriebsplan von RWE zugestimmt, den Hambacher Forst abzuholzen. Im Kreistag haben wir einen Antrag gestellt, den Klimanotstand auszurufen. Das haben die Grünen zurückgewiesen mit dem Argument, dies würde die Demokratie beschädigen. Auch in Hürth haben es die Grünen nicht geschafft, den Klimanotstand auszurufen. Außerdem fordern wir eine andere Strukturwandel-Politik, mehr ins Soziale. Wir fordern auch, dass kein Arbeitsplatz verloren geht. Es soll nach dem Kohleausstieg staatlich subventionierte Industrie-Arbeitsplätze geben. Wir sind das soziale Gewissen. Ökologisch und sozial gibt es beim Thema Braunkohle nur mit den Linken.

Seid ihr also konsequenter als die Grünen?

Schiffer: Wir sind einerseits konsequenter und vergessen auch nicht die Braunkohlearbeiter. Wir glauben, dass der Braunkohleausstieg nötig ist, sind aber nicht der Meinung, dass die RWE-Mitarbeiter die Bösen sind, die das Klima zerstören wollen. Wir glauben, es ist ein strukturelles Problem. Deshalb haben wir schon seit Jahren Konzepte für einen schnellen Braunkohleausstieg, der nicht auf Kosten der Arbeiter geht. Die hatten wir auch schon, als die Grünen noch in der Landesregierung waren und gelinde gesagt gar nichts getan haben.

Wie genau sieht euer Ansatz für die Mitarbeiter aus?

Söhngen: Das Geld ist da. Deshalb muss man staatlich geförderte Arbeitsplätze schaffen. In der Solar-Energie, die in den Nullerjahren geboomt hat, ist alles von den Chinesen aufgekauft worden und vor die Hunde gegangen. Da muss man mit staatlichen Subventionen aufpassen, dass das nicht passiert. Im Sektor der erneuerbaren Energien muss es Arbeitsplätze geben, die geschützt werden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Welche Koalition wäre für euch dankbar?

Schiffer: Das hängt natürlich immer von den Inhalten ab. Einen spürbaren ökologischen und sozialen Wandel gibt es nur mit den Grünen und den Sozialdemokraten. Wir glauben, dass es da Gespräche geben muss. Berlin ist ein Beispiel, wo es gut klappt.

Auf allen Ebenen? Auch mit den Kreis-Grünen, die mit der CDU zurzeit koalieren?

Schiffer: Ich bin optimistisch, dass auch die Grünen verstehen, dass es eine vernünftige Klimaschutz-Politik nur mit den Linken geben kann.

Auch schon 2020?

Söhngen: Ich denke schon. Dann hätten sie auch mehr zu sagen in der Regierung. Man muss es aber stark von den Inhalten abhängig machen.

Mit welchen Inhalten wollt ihr punkten?

Schiffer: Ein großes Thema wird der öffentliche Personennahverkehr sein. Das ist ein Kernthema, bei dem soziale Gerechtigkeit und ökologischer Wandel sehr eng ineinander greifen. Immer ein Thema ist auch der soziale Wohnungsbau. Die Mieten steigen, da braucht es eine konsequente Wende: mehr sozialen Wohnungsbau und Mittel, um die Mietpreise zu begrenzen.

Söhngen: Auch ein öffentlich geförderter Niedriglohnsektor ist wichtig. Der Kreis muss einen Arbeitsmarkt schaffen, der Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert. Das werden wir fordern und ohne das wären wir nicht bereit für eine Regierungsbeteiligung.

KStA abonnieren