Durch die Veröffentlichungen über seine Mutter erfuhr Gabelin aus Krefeld von den Gräueln, die seine Familie während der NS-Zeit erlitt.
Thomas GabelinZeitzeuge in Kerpen zur AfD: „Sprache ist ähnlich zum Nationalsozialismus“

Der Zeitzeuge Dr. Thomas Gabelin besuchte die Willy-Brandt-Gesamtschule in Kerpen für einen Vortrag.
Copyright: Elena Pintus
Dr. Thomas Gabelin ist Psychologe aus Krefeld und Shoa-Überlebender. Geboren wurde er im Ghetto Theresienstadt vor 80 Jahren - demselben Ghetto, in das auch die kürzlich verstorbene Zeitzeugin Margot Friedländer deportiert wurde. Im Gespräch mit Elena Pintus erklärt er, warum er gegen das Vergessen kämpft und warum dies gerade heute so wichtig ist.
Herr Gabelin, Sie waren ein Jahr alt, als der Krieg endete. Was haben Sie aus der Zeit noch mitbekommen?
Thomas Gabelin: Ich selbst natürlich nichts. Alles, was ich weiß, weiß auch ich aus Erzählungen. Hinzu kam, dass es zwischen der älteren Generation und der jüngeren eine Art stillschweigendes Abkommen gab, dass darüber nicht gesprochen wird. Das war bei vielen Überlebenden so.
Erst durch die Veröffentlichungen über meine Mutter weiß auch ich davon. Es gibt in Krefeld eine NS-Dokumentationsstelle seit einigen Jahren. Die erste Leiterin, Frau Dr. Ingrid Schupetta, hat den Kontakt zu meiner Mutter gefunden und mehrere Interviews mit ihr über die Zeit geführt. Das wurde veröffentlicht unter dem Titel „Lore Gabelin - Eine biografische Skizze aus der NS-Zeit“ in den Theresienstädter Studien und Dokumenten. Das habe ich natürlich auch gelesen.
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Kerpen: Überlebensschuld oder die Frage „Warum habe ich überlebt?“
Erwuchs daraus Ihr Interesse, nun mehr darüber zu erfahren?
Ja, ich habe dann auch über Theresienstadt selbst Bücher gelesen. Darüber, wie es dort war und über die Lebensbedingungen. Bekannt ist ja das Werk von Alfred Adler über Theresienstadt.
Wie fühlt sich das an, auf das, was Ihnen und Ihrer Familie angetan wurde, zurückzublicken und auch den Vergleich zu heute zu ziehen?
Es gibt etwas, das nennt sich Überlebensschuld. Die Frage danach, warum habe ausgerechnet ich überlebt, warum nicht die anderen? Und aus diesem Gefühl heraus ist in mir die Verpflichtung entstanden, dass ich das weitergeben muss. Es darf nicht in Vergessenheit geraten. An die Menschen muss erinnert werden. Deshalb finde ich die Stolpersteine so toll. Da kann man hingehen und über die Schicksale der Menschen erzählen.
Spüren Sie manchmal auch Wut über das, was geschehen ist?
Ich habe schon Wut auf Nazis, ja. Aber nicht in dem Sinne, dass ich aggressive Gefühle oder Hass empfinde. Viele Schüler fragen mich oft, wie ich das finde, dass immer noch Leute verurteilt werden. Dann sage ich immer, ich finde den Prozess richtig. Die Leute sollen damit konfrontiert werden, dass es Unrecht war, was sie getan haben. Aber für mich muss kein 90-Jähriger noch ins Gefängnis.
Wenn Sie auf das Erstarken der AfD schauen, sehen Sie da ein Muster? Macht Ihnen das Angst?
Ja. Die Sprache ist ja ähnlich zum Nationalsozialismus. Deutsches Blut, deutsche Reinheit, Überfremdung. Das fand sich in den NS-Gesetzen wieder, um die Juden als minderwertige Rasse darzustellen. Und so wird es heute auch wieder oft von der rechten Seite dargestellt, dass Nicht-Deutsche minderwertig wären. Deshalb lege ich so viel Wert auf unser Grundgesetz. Die Würde des Menschen ist unantastbar - die Würde von allen Menschen, nicht nur die der Deutschen.

Thomas Gabelin war ein Jahr alt, als der Zweite Weltkrieg endete.
Copyright: Elena Pintus
Sprechen Sie manchmal mit Menschen, die mit der AfD sympathisieren?
Ich lebe auch in meiner Blase. Da gibt es die nicht. Die Menschen, mit denen wir stets Kontakt hatten, waren etwa die, die schon vor der Deportation meiner Mutter zu ihr hielten. Mit denen hatte meine Familie dann auch später wieder Kontakt. Dort weiß man eben, dass diese Menschen zu uns stehen.
Was denken Sie denn, was getan werden muss, damit sich die Gräuel der NS-Zeit nicht wiederholen können?
Ich wünsche euch, dass ihr aufsteht, wenn ihr ein Unrecht seht. Seht den Menschen in jedem anderen, egal ob er Jude, Christ, Muslim oder etwas anderes ist. Das sind alles Menschen. Wir haben alle dieselben Wurzeln.
Sie sind Psychologe und Psychotherapeut, hat das auch etwas mit Ihrer Familiengeschichte zu tun?
Ich weiß es nicht genau. Ich sag immer, ich habe Psychologieunterricht an einer amerikanischen Schule gehabt und das fand ich so spannend, dass ich Psychologe werden wollte. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ich unterbewusst die ganze Nazi-Geschichte besser verstehen wollte. Nur leider verstehe ich es bis heute nicht. Ich bin Therapeut und kann mich in ganz viele Menschen einfühlen. Aber in diese Menschen leider nicht.
Haben Sie das Gefühl, dass durch den Nahostkonflikt der Antisemitismus wieder erstarkt?
Natürlich. Als die ersten anti-israelischen Demonstrationen in Berlin waren, da wurde ein Spruch gesagt: Palestine will be free, from the river to the sea. Zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer liegt Israel. Dieser Spruch bedeutet, dass Israel verschwinden soll und das Land zu einem Staat wird. Aber das wissen die jungen Leute nicht, dass sie da für die Vernichtung Israels singen.