Kampf gegen ErderwärmungKann die USA einfach zurück in das Klimaabkommen?

Lesezeit 6 Minuten

Washington – Ganze zwei Seiten umfasst das unscheinbare Dokument 85 FR 73292 im Federal Register, dem Amtsblatt der amerikanischen Bundesregierung. Doch dahinter verbirgt sich das Schicksal eines der letzten unberührten Naturparadiese der USA.

Ganz oben im Nordosten von Alaska bieten die raue Tundra, die Salzwiesen und die Lagunen des Arctic Wildlife Refuge wandernden Herden von Porcupine-Rentieren, aber auch Hunderten Moschusochsen, Wölfen und den vom Aussterben bedrohten Eisbären einen wilden Lebensraum. Unter der Erde des Schutzgebietes von der Größe Bayerns jedoch schlummern Erdölvorkommen. Seit Jahrzehnten wird über deren Ausbeutung gestritten. Bislang hat jede Regierung drohende Eingriffe in das Biotop verhindert. Das vor wenigen Tagen veröffentlichte Schreiben der Bundesbehörde für Landbewirtschaftung aber fordert Öl- und Gasfirmen nun ausdrücklich auf, ihr Interesse an Bohrrechten im Küstenstreifen des Naturschutzgebietes anzumelden.

In den allerletzten Tagen der Amtszeit von Donald Trump ist damit ein dramatischer Kampf um die wertvolle natürliche Ressource in der Arktis entbrannt. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Eigentlich läuft die Bewerbungsfrist noch bis kurz vor Weihnachten. Dann müssten die Pachtverträge veröffentlicht werden. Doch am Donnerstag gab die US-Regierung völlig überraschend bekannt, dass sie schon am 6. Januar die Bohrrechte versteigern will – zwei Wochen vor der Vereidigung des neuen Präsidenten. Nicht nur viele Aktivisten im Land sind alarmiert. „Das wäre ein Desaster“, warnt auch Joe Biden eindringlich.

Alles zum Thema Klimawandel

Wie unter einem Brennglas illus triert der Showdown in der Arktis den politischen Klimawandel vom scheidenden zum kommenden Präsidenten. Während Trump die Erderwärmung als Hirngespinst abtut und 100 Umweltverordnungen seines Vorgängers Barack Obama einfach aufgehoben hat, hat Biden den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl zu einem Markenzeichen seiner Kampagne gemacht. „Joe Biden hat mit dem Klimathema gewonnen“, sagt die Umweltgesundheitexpertin Gina McCarthy, die zu Obamas Zeiten die Umweltbehörde EPA leitete: „Jetzt können wir eine Welt aufbauen, die wir stolz unseren Kindern und Enkeln übergeben.“

Sind die Erwartungen zu hoch?

Tatsächlich wecken Bidens mutige Versprechungen große Erwartungen. Eigentlich ist der stolze Besitzer eines dunkelgrünen Corvette-Cabrios aus dem Baujahr 1967 kein typischer Ökopolitiker. Doch unter dem Eindruck der öffentlichen Stimmung und im Bemühen, den linken Flügel seiner Partei einzubinden, hat er im Wahlkampf sein klimapolitisches Profil deutlich geschärft und sein Programm in Richtung des „Green New Deals“ der linken Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez verschoben. Der neue Chef im Weißen Haus plant nicht nur, am ersten Amtstag ins Pariser Klimaschutzabkommen zurückzukehren. Mit einem 2-Billionen-Dollar-Programm will er in vier Jahren den Umstieg auf saubere Energien vorantreiben und 1,5 Millionen nachhaltige Häuser sowie 500.000 Ladestationen für Elektroautos bauen. Bis zum Jahr 2035 soll die US-Stromversorgung ohne Kohle, Öl und Gas auskommen, die ganze Wirtschaft soll spätestens 2050 klimaneutral arbeiten.

„Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung der Menschheit. Wir haben eine moralische Verpflichtung, damit umzugehen“, mahnte Biden bei der Fernsehdebatte mit Trump im Oktober. Einen Monat später zeigte sich der 78-Jährige nach gewonnener Wahl kämpferisch. Er wisse, dass der Kampf gegen die Erderwärmung nicht einfach werde: „Aber niemand sollte meine Entschlossenheit unterschätzen, das zu tun.“

Quasi als Beweis seiner Ernsthaftigkeit präsentierte er den künftigen Klimasonderbeauftragten John Kerry. Der frühere Außenminister wird als erster Umweltpolitiker am Kabinettstisch sitzen, und er wird im Situation Room an den Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats teilnehmen. Die Personalie sei ein „starkes Signal“, urteilt der Ex-Di plomat und heutige Harvard-Professor Nicholas Burns in der „New York Times“: Ganz offensichtlich wollten die USA als weltweit zweitgrößter Treibhausgas-Verursacher im Ausland verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Als langjähriger Senator, einstiger demokratischer Präsidentschaftskandidat und Obamas Spitzendiplomat, der im April 2016 gemeinsam mit seiner Enkelin Isabelle den Pariser Klimavertrag für die USA unterschrieb, verfügt Kerry über enorme Erfahrung.

„Ich bin hier für Joe Biden“, stellt er sich im vergangenen Januar im Schankraum einer Brauerei irgendwo in Iowa bescheiden vor. Im Vorwahlkampf der Demokraten tingelt der einstige Weltdiplomat mit einem Unterstützerbus zu kleineren Terminen übers verschneite Land. Gerade mal 40 Leute sind gekommen. Ein Bierfass dient Kerry als Rednerpult. Nur die Goldknöpfe am dunkelblauen Jackett des Multimillionärs wirken in der rustikalen Umgebung deplatziert. Kerry redet von Stürmen und Überflutungen, die den Mittleren Westen heimsuchen. „Die Evidenz schlägt schneller zu, als irgendein Krisentreffen vorhergesagt hat“, mahnt er. Doch er schließt optimistisch: „Ich bin kein Untergangsprophet. Wir können das lösen. Wir müssen uns von den kohlenstoffhaltigen Energieträgern verabschieden. Es ist machbar.“ Die Zuhörer im Saal wirken überzeugt. Viele möchten ein Selfie mit dem Klimabotschafter.

Ganz so einfach wird die Energiewende in Washington nicht durchzuboxen sein. Dem Paris-Abkommen kann Biden mit einer einzigen Unterschrift wieder beitreten. Aber ohne massive Veränderungen im eigenen Land wird sein Emissär Kerry auf internationaler Bühne kaum Fortschritte erreichen. Und an der Heimatfront droht dem neuen Präsidenten heftiger Gegenwind: Bei den Wahlen ist die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus auf wahrscheinlich nur noch fünf Stimmen geschrumpft. Wenn die Demokraten bei den Nachwahlen in Georgia im Januar nicht beide Mandate holen, bleibt der Senat in republikanischer Hand. Vor allem droht jede umweltpolitische Maßnahme im vergifteten politischen Klima vor dem Supreme Court zu landen – und den hat Trump stramm konservativ eingenordet.

Kerry wie Biden dürften sich noch an den ambitionierten American Clean Energy and Security Act erinnern, den sie zu Beginn der Obama-Regierung mitverhandelten. Das eindrucksvolle Emissionshandelsgesetz, das den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 42 Prozent senken sollte, wurde im Juni 2009 vom Repräsentantenhaus verabschiedet. Im Senat wurde es gleichwohl mangels Mehrheit gar nicht erst aufgerufen. Heute kann man das 1428-seitige Paragrafenwerk im Archiv des Parlaments bestaunen.

Die Angst vor dem Klimawandel wächst

Manche Beobachter fürchten, dass Bidens hochfliegenden Klimaplänen ein ähnliches Schicksal droht. Andere, wie Ex-EPA-Chefin McCarthy, sind optimistischer: „Der Klimawandel ist inzwischen viel relevanter und persönlicher geworden. Das kann Biden nutzen.“ Tatsächlich führen Waldbrände, immer wildere Hurrikans und katastrophale Überflutungen den Amerikanern die Folgen der Erderwärmung zunehmend existenziell vor Augen. Bei einer Umfrage des Pew-Instituts bezeichneten 60 Prozent den Klimawandel als Bedrohung.

Viel hängt nun vom Senat ab. Selbst bei einer hauchdünnen demokratischen Mehrheit wird er kein verlässlicher Partner sein, weil auch demokratische Senatoren aus Kohlestaaten bremsen. Ohne die zweite Kammer aber kann Biden weder eine CO2-Steuer noch ein Emissionshandelssystem durchsetzen.

Machtlos aber wäre Biden auch ohne den Senat nicht. Er müsste sich dann auf eine Vielzahl regulatorischer Eingriffe verlegen. So könnte er Umweltverträglichkeitsprüfungen verschärfen und neue Grenzwerte für Energieeffizienz, Abgaswerte oder den Methanausstoß bei der Ölproduktion festlegen. Das wird von zahlreichen Bundesstaaten und sogar von Teilen der Indus trie unterstützt. Biden hat zudem versprochen, kein Fracking mehr auf öffentlichem Land zu erlauben. Auch die Fertigstellung der umstrittenen Keystone-Pipeline will er verhindern. Eine Trump-Verordnung, mit der die Offshore-Ölsuche vor den Küsten erlaubt wurde, dürfte er zurücknehmen. All das ginge mit präsidialen Erlassen. Es würde freilich bald vor den Gerichten landen.

Dort würden aber auch die Bohrrechte im Arctic Wildlife Refuge landen, falls Trump die Last-minute-Auktion nun durchzieht. „Die Sache wird man sich vom ersten Tag an genau ansehen“, kündigt der demokratische Senator Tom Uldall an, der als ein Ministerkandidat für das zuständige Innenressort gilt. Noch besteht eine Rest-Hoffnung, dass es so weit gar nicht kommt. Nicht nur dürften die niedrigen Ölpreise das Interesse der Konzerne an dem Investment bremsen. Vor allem könnte es an Geld mangeln: Sämtliche US-Banken haben inzwischen erklärt, dass sie das schmutzige Projekt nicht finanzieren würden.

KStA abonnieren