Klimakonferenz als TribunalDer Planet gegen Jair Bolsonaro

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Jair Bolsonaro in Italien 

Rio de Janeiro – Brasiliens Präsident ist nicht der schlimmste Amazonas-Abholzer der Geschichte, er lässt auch keine oppositionellen Politiker verhaften oder verbietet Demonstrationen gegen seine Regierung. Trotzdem ist er der meist gehasste Politiker bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow. Dabei sollte der zuvor stattfindende G20-Gipfel in Rom eigentlich die Kehrtwende bringen. Schöne Bilder, die Bolsonaro inmitten der Großen dieser Welt zeigen.

Doch für Brasiliens rechtspopulistischen Präsidenten verlief das Treffen verheerend: Videos von G-20-Veranstaltungen zeigten ihn als isolierte Figur. Keine Szenen, auf die er selbst oder seine Landsleute stolz sein könnten. Auf einem Foto, das am Trevi-Brunnen mit den Staats- und Regierungschefs aufgenommen wurde, fehlte Jair Bolsonaro. Am Rande des Gipfels kam es zudem zu einer Rangelei zwischen dem Sicherheitspersonal, das Bolsonaro beschützen sollte, und einem brasilianischen Journalisten.

Peinliche Bilder von Bolsonaro

Das Treffen in Rom und die Konferenz in Glasgow offenbaren: Jair Bolsonaro ist das Schmuddelkind der internationalen Politik, niemand will sich mit dem brasilianischen Präsidenten zeigen. Fast schon flehentlich sagte Bolsonaro laut brasilianischen Medien bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, er sei eigentlich gar nicht so schlecht, wie er gemacht werde.

Alles zum Thema Klimawandel

Die Schuld an seinem katastrophalen Image trägt zunächst einmal Bolsonaro selbst. Beleidigungen wie jene vor zwei Jahren über die mangelnde Attraktivität der Ehefrau des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron kommen nicht nur in diplomatischen Gipfelkreisen gar nicht gut an. Hinzu kommt Bolsonaros Wissenschaftsfeindlichkeit. Immer wieder vertritt Bolsonaro in Medizin und Umweltfragen Positionen, die wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen oder schlicht und einfach falsch sind.

Pöbeleien und Wissenschaftsfeindlichkeit

Entscheidend aber ist: Bis heute hat es Bolsonaro an jeder Einsicht vermissen lassen, dass eine historische Kehrtwende in Amazonas-Politik dringend notwendig ist. Statt diese einmalige politische Chance zu nutzen, verspottet er Klimaschützer und erschwert sogar noch den Umweltschutz. Unter Bolsonaro sind die Abholzungszahlen sogar wieder angestiegen. Richtig ist aber auch: Sie erreichen nicht einmal annähernd die verheerenden Werte wie Ende der 1990er-Jahre oder Anfangs dieses Jahrhunderts, als die Weichen für die heutige Agrarpolitik des südamerikanischen Landes gestellt wurden – und der Rest der Welt Brasilien dafür feierte.

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Rein ökonomisch ist Brasiliens Vorzeigebranche nämlich ähnlich erfolgreich wie Europas Autoindustrie im 20. Jahrhundert: Brasiliens Agrarindustrie fährt fast jeden Monat neue Umsatzrekorde ein. Vor ein paar Jahren wäre das noch ein Jubelbild auf den Titelseiten der Wirtschaftsmagazine wert gewesen. Wie jenes legendäre „The-Economist“-Titelbild des Jahres 2009, das Brasilien wegen seiner Ölfunde, der erfolgreichen Agrarindustrie mit einer als Rakete startenden Christusstatue zeigte: „Brasil takes off“ stand da zu lesen. Doch heute gibt es Greta Thunberg, eine globale Klimaschutzbewegung und die wissenschaftliche Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann.

Willkommene Ablenkung von Verfehlungen im Rest der Welt

Bolsonaro fehlt es vor allem an der Fähigkeit; zu verstehen und zu erkennen, warum eine andere Umwelt- und Klimapolitik zwingend notwendig ist. Im Prinzip betreibt er eine Wirtschaftspolitik, die jener der europäischen Nachkriegszeit ähnlich ist: Wachstum um jeden Preis. Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es eine Zeit in Deutschland, da wurden Betriebsfeste gefeiert und die Presse eingeladen, als das Millionste Exemplar eines Autos mit Verbrennermotor vom Band lief.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Ein Stück weit nutzt der Rest der Welt Brasilien als willkommenen Prügelknaben. Einen, der davon wunderbar ablenkt, dass auch in Deutschland für Braunkohlereviere immer noch abgeholzt und dort lebende Gemeinden von ihrem Land vertrieben, weiterhin Autos mit Verbrennermotor und Agrargifte hergestellt und nach Brasilien verkauft werden. Einen Prügelknaben, der sich auch gar nicht wehren könnte, denn anders als Russland oder China hat Brasilien nicht den wirtschaftlichen oder militärischen Status, der die anderen Staats- und Regierungschefs zu einem anderen Umgang zwingen würde.

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