Karl Lauterbach im Interview„Omikron als schmutzige Impfung ist keine Alternative“

Lesezeit 8 Minuten
Lauterbach RND Interview

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit

  • Karl Lauterbach (SPD) rechnet damit, dass Bund und Länder bei ihren Beratungen am kommenden Freitag neue Corona-Regeln vereinbaren.
  • Der Gesundheitsminister spricht im Interview unter anderem über die Verkürzung der Quarantäne, neue Kontaktbeschränkungen und das Ende der Pandemie.

Herr Lauterbach, können Sie noch gut schlafen, seitdem Sie zum Gesundheitsminister ernannt wurden? Lauterbach: Ich leide nicht an Schlaflosigkeit, schlafe aber grundsätzlich eher etwas zu wenig, weil ich nachts oft noch arbeite. An meinen Schlafgewohnheiten hat sich, seitdem ich Minister geworden bin, nichts verschlechtert aber auch nichts verbessert.

Kein Mitglied der neuen Regierung steht so sehr im Fokus wie Sie, was Bekanntheit, Zustimmung und Hass angeht. Können Sie auch noch der Privatmann Karl Lauterbach sein?

Ja. Meine Kinder und meine Freunde erden mich. Mit meiner ältesten Tochter lebe ich in einer Vater-Tochter-Wohngemeinschaft. Und auch mit meiner jüngsten Tochter verbringe ich viel Zeit. Außerdem stehe ich in regem Austausch mit Freunden, auch wenn ich sie im Moment nicht so viel sehe. Es gibt also den Privatmenschen Karl Lauterbach. Ohne diesen Ausgleich wäre die Arbeit auch nicht zu schaffen.

Alles zum Thema Karl Lauterbach

Angesichts der Bedrohungen gegen Sie - haben Sie manchmal Angst?

Nein. Ich bin kein ängstlicher Mensch. Außerdem bin ich sehr gut geschützt. Das ist allerdings auch notwendig. Für den Schutz möchte ich der Polizei und dem Bundeskriminalamt danken. Die Aggressionen gehen von einer kleinen Minderheit aus, die viel Lärm macht und zum Teil auch gewaltbereit ist. Diese Minderheit repräsentiert nicht die Bevölkerung, die unsere Corona-Politik zum großen Teil mitträgt und die Maßnahmen befolgt.

Was tun Sie, um physisch und psychisch dem Stress durch die Pandemie und durch die Bedrohungslage standzuhalten?

Meine Töchter spielen da, wie gesagt, eine große Rolle. Soweit es geht, treibe ich noch Sport. Gespräche und Zeit mit Freunden sind auch wichtig.

Was muss die Ministerpräsidentenkonferenz angesichts der zunehmenden Omikron-Infektionen am Freitag regeln?

Wir brauchen eine neue Quarantäne-Verordnung. Sie muss der Omikron-Variante Rechnung tragen, die bald dominieren wird. Sie muss auch darauf ausgerichtet sein, dass bestimmte Bereiche der kritischen Infrastruktur gefordert sein könnten - insbesondere Krankenhäuser, Altenpflege sowie Polizei, Feuerwehr und die Versorgung mit Wasser und Elektrizität. Für diese Bereiche brauchen wir neue Quarantäne- und Isolationsregeln. Auch die Bereiche Schule und Reisen müssen bedacht werden.

Die Verkürzung der Quarantäne ist doch auch eine Gefahr...

Nein. Die Verkürzung basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Studien zeigen, dass die Generationszeit - also die Phase, in der sich das Virus im Körper ausbreitet und die Phase, in der ein Mensch ansteckend ist - bei Omikron viel kürzer ist. Wir können also bis zu einem gewissen Grad die Quarantänezeit verkürzen, ohne ins Risiko zu gehen.

Die Quarantäne-Verkürzung soll aber dennoch nur für bestimmte Berufsgruppen der kritischen Infrastruktur gelten?

Da will ich nicht vorgreifen. Wir werden aber für alle genannten Sektoren Veränderungen vornehmen. Eine Rolle wird auch der Impfstatus spielen.

Wie geht es weiter bei den Kontaktbeschränkungen - wird es Verschärfungen geben?

Aus meiner Sicht ja. Ich werde dazu Vorschläge machen. Verschärfungen werden leider notwendig sein, um der schweren Welle, die auf uns zukommt, zu begegnen.

Müssen sich Ungeimpfte dauerhaft auf Kontaktbeschränkungen einstellen?

Für Ungeimpfte gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Man kann ihnen nicht in Aussicht stellen, dass für sie die Kontaktbeschränkungen kurz- oder mittelfristig aufgehoben werden. Das ist allerdings auch in ihrem eigenen Sinne. Ich möchte es den Ungeimpften ersparen, dass sie auf die Intensivstation kommen. Deshalb ist ihr Schutz zentral. Mein Appell an die Ungeimpften ist, dass sie sich schnell zumindest einmal impfen lassen, damit sie wenigstens für den ganz schweren Krankheitsverlauf eine wichtige Schutzwirkung haben.

Ist die Omikron-Variante tatsächlich weniger gefährlich als die Delta-Variante?

Wir haben allen Grund zur Annahme, dass die Omikron-Variante bei einer Erkrankung deutlich weniger gefährlich verläuft. Das wissen wir aus internationalen Daten zumindest für diejenigen, die schon geimpft sind und sich infizieren. Das ist allerdings kein Grund zur Entwarnung. Denn zum einen stecken sich auch Geimpfte an. Auch Long-Covid kann für geimpfte Infizierte eine Rolle spielen. Und das Hauptproblem sind die Ungeimpften. Zur Wirkung der Omikron-Variante auf diese Gruppe haben wir aber noch nicht genug Daten. Ich habe das Robert-Koch-Institut gebeten zu errechnen, wie hoch die Gefährlichkeit der Omikron-Variante mathematisch liegen kann, ohne dass die Intensivkapazitäten der Krankenhäuser überlastet werden und ohne dass sehr viele Menschen sterben.

Und?

Eine Überlastung der Kliniken lässt sich unter bestimmten Annahmen nur vermeiden, wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Omikron-Erkrankten fünfmal geringer ist, auf einer Intentsivstation zu landen als für einen Delta-Infizierten. Die britischen Daten und andere internationale Daten werden uns etwa in einer Woche zeigen, ob Omikron tatsächlich so viel weniger gefährlich ist.

Noch einmal zurück in den Alltag mit Corona: Am Montag sind fünf von 16 Bundesländern in den Präsenzunterricht zurückgekehrt. Ist das richtig?

Die Länder machen ihre Schulpolitik, in die ich mich nicht einmische. Epidemiologisch sinnvoll ist es aber, in den Schulen grundsätzlich Masken zu tragen. Wegen der geringeren Viruslast bei Omikron ist die Schutzwirkung der Masken sehr hoch. Zudem sollten die Kinder immer wieder getestet werden.

Wie sieht es mit der Impstoffbeschaffung aus. Haben wir 2022 genug?

Ende vergangenen Jahres hatten wir nicht genug Impfstoff. Den habe ich nun beschafft. Wir haben nun pro Woche 10 Millionen Dosen zur Verfügung. Wenn wir den Moderna-Impfstoff nicht hätten beschaffen können, hätten wir die Booster-Kampagne so nicht machen können. Wir können in den nächsten Wochen jede Woche zehn Millionen Menschen impfen. Bei Biontech gibt es aber nach wie vor eine Knappheit. Daher appelliere ich an die Ärztinnen und Ärzte, bei den Erwachsenen, insbesondere bei den über 30-Jährigen ein Moment grundsätzlich Moderna einzusetzen. Außerdem habe ich die Stiko gebeten zu überprüfen, ob die Beschränkung des Moderna-Impfstoffs auf die über 30-Jährigen aufgehoben werden kann. Die Prüfung läuft.

Das könnte Sie auch interessieren:

Funktioniert die Impfkampagne so gut, dass sie zehn Millionen Dosen pro Woche loswerden?

Nach den Feiertagen läuft die Kampagne jetzt wieder an. Abgesehen von Großbritannien hat kein Land in Europa eine Booster-Impfkampagne, die so schnell so viele Menschen erreicht hat. Die Booster-Impfung ist bei der Omikron-Variante der beste Schutz. Sie erreicht eine Schutzwirkung von 70 bis 80 Prozent. Die Booster-Impfung ist also der schnelle Weg, die Omikron-Variante zu beherrschen.

Gibt es ein Ziel für die Booster-Kampagne?

Nach der Modellierung des Robert-Koch-Instituts sollte das Ziel sein, dass mehr als 80 Prozent der doppelt geimpften auch geboostert sind, also rechnerisch 56 Prozent der Bevölkerung. Dann hat es Omikron schwer. Unsere Kontaktbegrenzungen sind immer noch so, dass wir 50 Prozent weniger Kontakte haben als in der Zeit vor der Pandemie. Die Kontaktbeschränkungen plus die 80-Prozent-Boosterung werden den R-Wert sinken lassen.

Kann es sich Deutschland tatsächlich leisten, 75 Millionen Impfdosen an die weltweite Impfstoff-Initiative Covax zu spenden?

Es kommt darauf an, zu welchem Zeitpunkt das erfolgt. Unser Ziel muss es sein, dass es nie wieder zu einem Impfstoffmangel in Deutschland kommen darf. Deswegen habe ich bei Biontech bereits 80 Millionen Dosen Omikron-Impfstoff geordert. Und auch bei Moderna werden wir für die zweite Hälfte des Jahres nachbestellen. Wir sind ein wohlhabendes Land und sollten dafür sorgen, dass wir genug Impfstoff haben – auch für die internationale Spende.

Glauben Sie noch daran, dass der Bundestag zeitnah eine allgemeine Impfpflicht einführen wird?

Als Abgeordneter arbeite ich an einem Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht für über 18-Jährige. Ich halte das für notwendig und richtig. Er soll unbürokratisch sein und bevorzugt ohne Impfregister auskommen. Es soll auch keine neuen Meldestrukturen geben. Die Impfpflicht muss schnell kommen. Wir können nicht darauf warten, dass eine Impfpflicht überflüssig wird, weil wir eine sehr hohe Durchseuchung der Bevölkerung haben. Omikron als schmutzige Impfung ist keine Alternative zur Impfpflicht. Das wäre sehr gefährlich.

Müssen sich die Menschen darauf einstellen, sich nach dem Boostern ein viertes Mal impfen zu lassen?

Eine vierte Impfung halte ich für sehr wahrscheinlich. Wir sehen ja, dass die Omikron-Variante durch die bestehende Impfung nur zu 70 bis 80 Prozent abgefangen wird. Und neue Varianten könnten kommen.

Wie lange müsste eine Impfpflicht gelten?

Ich gehe nicht von einer dauerhaften Impfpflicht aus. Wenn die Pandemie in eine endemische Lage übergeht, wäre auch die Impfpflicht erloschen.

Wie schätzen Sie die Chance für 2022 ein, dass die Pandemie tatsächlich zu Ende geht?

Das hängt von der Entwicklung des Virus und dem Erfolg unserer Impfkampagne ab. Wenn alles gut geht und es uns gelingt, mit einer Impfpflicht die Impflücken zu schließen, können wir in diesem Jahr in eine endemische Lage übergehen.

Wann und in welcher Höhe kommt der Pflegebonus?

Der Pflegebonus sollte vor allem an Pflegekräften bezahlt werden, die in der Corona-Pandemie besonders belastet waren. Dann kann der Bonus auch in nennenswerter Höhe angesetzt werden. Nur so kann die besondere Leistung von Pflegekräften wirklich gewürdigt werden. Sie sind teilweise bei der Pflege ihrer Patientinnen und Patienten ins persönliche Risiko gegangen.

Sie haben angekündigt, das Amt des Gesundheitsministers stärker aus Sicht der Wissenschaft zu führen. In der Vergangenheit haben Sie sich wiederholt dafür ausgesprochen, den gesetzlichen Krankenkassen zu verbieten, für Homöopathie zu zahlen. Werden Sie das jetzt umsetzen?

Meine Meinung zu dem Thema ist bekannt. Zur Zeit hat für mich die Pandemiebekämpfung oberste Priorität.

Noch eine Frage jenseits der Pandemie: Wann soll die im Koalitionsvertrag vorgesehene Cannabis-Legalisierung kommen?

Alles zu seiner Zeit. Im Moment konzentrieren wir uns auf die Bewältigung der Pandemie. Dann müssen wir für die Pflege sofort etwas tun. Gleiches gilt für den notärztlichen Bereich. Bei der Krankenhausfinanzierung ist dringender Handlungsbedarf. Das sind die großen Themen, die wir angehen müssen. Bei der Legalisierung von Cannabis, der ich positiv gegenüberstehe, sehe ich dagegen keinen Zeitdruck.

Wie stehen Sie persönlich zum Kiffen?

Ich praktiziere es nicht. Ich bin dennoch Befürworter der Legalisierung, weil gerade die illegale Beschaffung das Problem vergrößern kann.

Das Gespräch führten Eva Quadbeck und Tim Szent-Ivanyi

KStA abonnieren