LandtagswahlenDer Vorteil der Regierenden Dreyer und Kretschmann

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Dreyer Studio

Malu Dreyer

Berlin – Vor den Landtagswahlen am Sonntag in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg liegen die Amtsinhaber vorn. Malu Dreyer (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) stehen als oberste Corona-Krisenmanager im Fokus – während ihre Kontrahenten im Lockdown kaum Möglichkeiten haben, sich und ihre Themen bekannt zu machen. Ein Besuch in Mainz und Stuttgart. 

Malu Dreyers Wahlkampf aus dem Wohnzimmer

Lidl-Parkplatz gegen Designer-Sofa – müssten man den Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz mit einem Gegensatzpaar beschreiben, wäre es dieses. Und anders als man erwarten würde, steht das Sofa für die SPD und der Parkplatz für die CDU - genauer für die beiden Spitzenkandidaten Malu Dreyer und Christian Baldauf.

Am Mittwochvormittag steht Baldauf auf besagtem Parkplatz in Bad Ems, einer 10.000-Einwohner-Stadt nahe Koblenz. Der CDU-Spitzenkandidat bemüht sich um Bürgerkontakt, was angesichts der geltenden Kontaktbeschränkungen kein ganz einfaches Unterfangen ist. Es fängt schon damit an, dass viele Menschen Baldauf nicht erkennen. Wie auch? Zwar hat er ein großes Plakat dabei, aber der 53-Jährige trägt wie alle anderen eine Schutzmaske. Er muss schon auf die meist vorbeieilenden Supermarktkunden zugehen und ihnen ein Fläschchen Desinfektionsmittel mit seinem Foto und Namen in die Hand drücken, bevor sie im Markt verschwinden. Manchen kommen dann nach erledigtem Einkauf auf ihn zu.

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Malu Dreyer Studio

Malu Dreyer (l.) im digitalen Wahlkampfstudio

Am Morgen war Baldauf schon bei Penny in Herschbach, am Mittag ist er noch bei Rewe in Nastätten. Von Mainz und wieder zurück sind das gut 250 Kilometer. Natürlich sei das ein mühsames Geschäft, gibt er zu, aber er sei schon froh, dass diese Form des Wahlkampfes jetzt wieder möglich sei. „Ich muss doch bekannt werden. Wenn alles nur digital läuft, ist das noch schwieriger.„

Die Sorge um den Bekanntheitsgrad hat Malu Dreyer nicht. Auch die Supermarktparkplätze bleiben der Ministerpräsidentin weitgehend erspart. Dreyer führt den Wahlkampf hauptsächlich aus „ihrem Wohnzimmer„, einem so modern wie gemütlich eingerichtetem Fernsehstudio in der SPD-Parteizentrale. In der Mitte des Raumes steht das Designer-Sofa, auf dem alle 52 Wahlkreiskandidaten der SPD für eine gute Stunde Platz nehmen. In lockerer Runde diskutieren sie dann mit Ministerpräsidentin und einer jungen Moderatorin über Wahlkreis, Politik, Gott und die Welt.

Die Wohnzimmeratmosphäre hat den großen Vorteil, dass selbst Kandidaten mit wenig Medienerfahrung locker werden. Regie, Ton und Technik im Nebenraum können Sie nicht sehen. Jeder Kandidat bringt ein Geschenk aus seiner Region mit, weshalb sich hinter Dreyer Weinflaschen regionale Lebensmittel und allerlei Kuriositäten stapeln. Selbst eine Fassdaube und eine Tüte Chips sind dabei.

Am Dienstagabend ist Landtagspräsident Hendrik Hering zu Gast. Aus dem heimatlichen Westerwald hat er eine versteinerte Maus dabei, handgemachte Schokolade und einen Pflaumenschnaps. „Der hat 38 Prozent„, sagt Hering. „In diese Richtung könnte sich das Am Wahlsonntag ruhige bewegen.„ Großes Gelächter.

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Gute Laune und „Malu„, das sind die beiden Dinge, auf die die SPD im Wahlkampf setzt. Die Kampagne ist komplett auf die 60-Jährige zugeschnitten, die Partei verschwindet fast komplett hinter ihr. „Wir-mit-ihr-Tour„ heißt das Wahlkampfmotto. Bislang geht das Konzept auf. Elf Prozentpunkte lag die SPD vor gut einem Jahr in Umfragen hinter der Union. Seit Anfang März liegt Dreyer zwei Prozentpunkte vorn. Es ist eine erstaunliche Aufholjagd, die der früheren Staatsanwältin gelungen ist – und das bereits zum zweiten Mal. Zu Beginn des Wahljahres 2016 lagen Julia Klöckner und die CDU scheinbar uneinholbar vorne, am hatten Dreyer und die Genossen mehr als vier Punkte Vorsprung. Es sieht so aus, als wenn sich die Geschichte gerade wiederholt.

Selbst wenn die CDU am Sonntag vor der SPD liegen sollte, wird Dreyer aller Voraussicht nach Ministerpräsidentin bleiben. Ihre Ampel-Koalition arbeitet geräuschlos, sowohl die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel als auch FDP-Landeschef Volker Wissing verlieren kein schlechtes Wort über das Bündnis. Die Grünen dürfen hoffen, ihr Wahlergebnis von 2016 zu verdoppeln, auch für die FDP sind Stimmengewinne drin. Die Ampel hat sich für alle drei Koalitionspartner ausgezahlt, Jamaika ist von Mainz weit weg – nicht nur geografisch.

Baldauf

Christian Baldauf (CDU)

Auch in Berlin haben viele ein Interesse an einer Neuauflage des Bündnisses – vor allem SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Die Ampel ist für ihn aus heutiger Sicht die einzige halbwegs realistische Machtoption, auch weil sie bürgerliche Wähler weniger verschreckt als die Aussicht auf Rot-Rot-Grün. Scholz hätte also nichts dagegen, wenn am Anfang des Wahljahres ein Ampel- Signal aus Mainz in den Rest der Republik gesendet würde.

Olaf Scholz zu Besuch auf der Loreley 

Am Dienstag steht Scholz auf der Loreley und blickt die 132 Meter von dem Felsen hinab auf den Rhein. Roger Lewentz hat ihn eingeladen, der Innenminister und Parteichef der Landes-SPD. Das Wetter an diesem Tag ist trübe, die Aussichten sind es nicht. Und Lewentz müht sich nach Kräften, sie weiter aufzuhübschen. Er referiert, wer schon alles die berühmte Aussichtsplattform besucht hat. Die Königin von England, der Kaiser von Japan, Bundeskanzler Helmut Schmidt. „Und wenn Du erst Kanzler bist, Olaf, dann kommst Du einfach auch noch mal.“

Scholz grinst über das ganze Gesicht. Die Vorstellung bereitet ihm sichtliche Freude, womöglich auch die Aufreihung: Queen, Tenno, Schmidt, Olaf.

Eine gute Stunde später wirkt der Gesichtsausdruck des Finanzministers schon nicht mehr so entspannt. Scholz besucht einen Medizintechnik-Hersteller, der Senior-Chef hält eine launige Rede, und berichtet, welche „großen Sozialdemokraten„ schon alle da waren: Rudolf Scharping, Wolfgang Clement, Kurt Beck, Sigmar Gabriel. Die Aufzählung klingt wie eine Chronologie des Niedergangs der SPD. „Ich hätte mir ja gewünscht, dass Sie Parteichef geworden wären“, sagt der Unternehmer an die Adresse von Scholz. Der sagt lieber nichts. Bloß nicht den mühsam geschlossenen Frieden in der SPD-Führung riskieren.

Zurück zu Christian Baldauf auf dem Supermarkt-Parkplatz. Nachdem die Desinfektionsflaschen verteilt sind, will der örtlichen Kandidaten Udo Rau noch ein kleines Video fürs Netz. „Sei schlau, wähl Rau„, muss Baldauf in die Kamera sagen und den Daumen nach oben halten. Kandidat Rau sagt: „Schorsch, denk dran, am Sonntag Erst und Zweit-Stimme CDU.“ Als das Filmchen im Kasten ist, will Baldauf wissen, wer denn eigentlich dieser „Schorsch„ sei, der im Video angesprochen wurde. „Wenn das der einzige ist, der mich wählt, habe ich ein Problem.“

Er lacht ein bisschen gequält. Wahlkampf ist ein mühsames Geschäft – in Pandemiezeiten erst Recht.

Andreas Niesmann

Keine Experimente in Stuttgart bei Winfried Kretschmann

Kretschmann

Winfried Kretschmann (Grüne)

Die Alpenveilchen sind nicht das Problem, die nehmen die Leute gern. „Bitte sehr“, sagt Susanne Eisenmann und drückt einem Mann mit Stoffbeutel ein Plastiktöpfchen mit rosafarbenen Blumen in die Hand. „Sie müssen“s nur gießen.“ Sie lacht, es ist ein sattes, lautes Lachen. Als wäre es nicht ziemlich kalt und zugig in dieser Stuttgarter Ladenpassage zwischen Schuhreparaturdienst, Apotheke und Supermarkt. Als wäre die Lage auch sonst entspannt und auf dem Kalender stünde eine andere Jahreszahl, 2006 zum Beispiel.

Dann wäre die Sache klar: Wenn am Sonntag Landtagswahl wäre in Baden-Württemberg, gewänne die CDU, so wie in den Jahrzehnten davor. Die Baden-Württemberger müssten nur wählen. Und Eisenmann, Spitzenkandidatin der CDU, würde Ministerpräsidentin.

Aber es ist ja nicht mehr so wie früher. Zwei Wahlperioden lang stellen nun bereits die Grünen den Ministerpräsidenten, erst mit Unterstützung der SPD, seit 2016 in einer Koalition mit der CDU. Das ist auch schon wieder eine so lange Zeit, dass dieser Ministerpräsident namens Winfried Kretschmann mit spöttischem Blick von den Wahlplakaten grüßt. „Sie kennen mich“ steht darauf.

Mit dieser Botschaft, die keinen Inhalt hat, außer dem Appell ans Vertrauen, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der letzten Bundestagswahl für sich Werbung gemacht. Der Grüne Kretschmann hat sich das Zitat von der CDU-Frau geliehen und auch die Botschaft: Läuft doch alles, keine Experimente.

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Am einen Ende der Ladenpassage hängt auch so ein Plakat, Eisenmann hat sich mit ihren Blumen und Flugblättern ans andere gestellt. Sie habe ein gutes Gefühl, sagt sie und lacht wieder. Aber die Umfragen sehen die Grünen deutlich vorne. Kurz vor der Wahl am Sonntag sagen die Umfragen ein historisch schlechtes Ergebnis für die CDU voraus. Zuletzt ist noch die Maskenaffäre hinzugekommen, in deren Mittelpunkt auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel aus Baden-Württemberg steht.

Es sieht ganz so aus, als würde Kretschmann ein drittes Mal Ministerpräsident. Die Grünen könnten damit in dem wirtschaftlich starken Bundesland ihren Status als stärkste politische Kraft festigen.

Im Bund warten die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dieses Signal – dass die CDU besiegbar ist. Sie wollen im Herbst versuchen, mit ihrer Partei erstmals das Kanzleramt zu erobern.

Kretschmann hat Sonderstatus in seiner Partei

Dabei ist der, von dem das Signal ausgehen soll, eine Art Sonderling in der Partei, der sich um die Parteilinie oft wenig schert. Er hat für eine Kaufprämie für moderne Dieselautos gekämpft und war damit näher an den Ministerpräsidenten anderer Länder mit Automobilindustrie, wie Markus Söder aus Bayern und Stephan Weil aus Niedersachsen, als an den Vorstellungen der Grünen-Zentrale.

„Wen würde sie wählen, wenn am Sonntag Klimawandel wäre“, plakatiert deshalb die Klimaliste mit einem Foto der Erde. Die Klimapolitik der Grünen sei zu wenig ehrgeizig, sagt ihr Sprecher, der Biochemiestudent Alexander Grevel. Ein Teil der Spitzenleute hat sich zwar Anfang des Jahres zurückgezogen, um die Grünen nicht zu schwächen, aber in fast in allen Wahlkreisen gibt es Kandidaten. Kretschmann zeigt sich unberührt: „Ich wüsste nicht, was man mit der neuen Partei schneller hinbekommen sollte“, sagt er. Schließlich müsse man ja Mehrheiten organisieren.

Die könnten erneut grün-schwarz gefärbt sein nach der Wahl. Er wolle keine Experimente, hat Kretschmann gesagt. Aber er hat schon mit der SPD regiert, die ein ganz anderes Duell bestreiten muss in dieser Wahl: Sie ringt mit der FDP um die Plätze der dritt- und viertstärksten Partei.

Die Liberalen geben sich richtiggehend aufgekratzt. Eine Ampelkoalition mit Grünen und SPD könnte ihre Rückkehr an die Regierung ermöglichen. Der liberale Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, empfahl sogar eine grün-gelbe „Zitruskoalition“ als „energetisierenden Vitamincocktail“ für Baden-Württemberg. Zudem wäre das für die FDP die Möglichkeit, kurz vor den Bundestagswahlen die Jamaika-Verweigerungsscharte im Bund etwas in Vergessenheit geraten zu lassen.

Ampel oder Zitrone – die CDU fände sich dann als Oppositionspartei wieder, neben der AfD, die in Baden-Württemberg bisher ihre besten westdeutschen Ergebnisse erzielt hat. Ob dies so bleibt, ist offen: Der Landesverband gilt als zerstritten, auch zwei der Hauptkontrahenten auf Bundesebene – Fraktionschefin Alice Weidel und Parteichef Jörg Meuthen – gehören ihm an.

Und auch in der CDU könnte der nächste Grabenkampf bevorstehen. In der Fehleranalyse, die bei manchen schon vor dem Wahltag begonnen hat, kommt Eisenmann nicht gut weg. Sie hat mal das Büro des damaligen Ministerpräsidenten Günther Oettinger geleitet, sie tritt robust auf und hat im Rennen um die Spitzenkandidatur CDU-Chef Thomas Strobl geschickt ausgebootet. Aber als Kultusministerin ist die 56-Jährige Teil des Kretschmann-Kabinetts, verantwortlich für die Schulpolitik, die in Corona-Zeiten noch schwieriger ist als sonst.

Eisenmann

Susanne Eisenmann (CDU)

Um Weihnachten herum sprach sie sich für Öffnungen ohne Rücksicht auf den Inzidenzwert aus. In der CDU verweisen manche darauf, dass danach die CDU-Umfragewerte zurückgegangen seien. Es könnte für Eisenmann sogar schwierig werden, in den Landtag einzuziehen. Ihren Stuttgarter Wahlkreis hat bisher der grüne Verkehrsminister Winfried Herrmann gewonnen.

Ihr Hauptvorwurf an Kretschmann ist: Er rede zu viel und entscheide zu wenig. Man brauche sowohl Mut als auch Besonnenheit, entgegnet der 72-Jährige auf solche Vorhaltungen und hat gleich mehrere Denker von Platon bis Max Weber als Zeugen parat. Dass er wegen einer Erkrankung seiner Frau seine Wahlkampfauftritte reduziert hat, spielt keine Rolle. Es findet ohnehin viel im Internet statt.

In Umfragen schneidet Kretschmann auch bei CDU-Anhängern besser ab als Eisenmann. Anfang der Woche hat er indirekt nicht Eisenmann, sondern Baerbock und Habeck abserviert. Die hatten die Maskenaffäre als Beleg für „schwarzen Filz“ bezeichnet. Es gehe um das Fehlverhalten Einzelner, befand Kretschmann. „Das sollte man erst mal auch so benennen und nicht rumspekulieren.“ Da war Kretschmann plötzlich sogar eine Art Schutzengel der CDU.

Daniela Vates

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