Neugründung?Wie Sahra Wagenknecht ohne Führungsposition die Linke in Schach hält

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Sahra Wagenknecht, damals Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, steht im Bundestag am Rande eines dpa-Interviews.

Sahra Wagenknecht, damals Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, steht im Bundestag am Rande eines dpa-Interviews. Die Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht will nicht mehr für die Linke kandidieren.

Sahra Wagenknecht droht ihre Partei zu spalten - und Anhänger bei der AfD zu mobilisieren, sollte sie die Neugründung wirklich in Angriff nehmen.

Eigentlich steht die nächste große Herausforderung direkt vor der Tür: Am 14. Mai sind in Bremen Landtagswahlen, und die Linke muss dafür kämpfen, dass sie Bestandteil der rot-rot-grünen Landesregierung bleibt, die seit 2019 an der Macht ist. Damals holte die Linke in dem Stadtstaat 11,3 Prozent – daran möchte man jetzt natürlich anknüpfen. Doch wenn sich Parteichefin Janine Wissler an der Weser ins Wahlkampfgetümmel wirft, um vor Ort zu unterstützen, dann ist im Hinterkopf derzeit vor allem ein Thema präsent: Sahra Wagenknecht.

Wissler (41) ist mit der 53‑jährigen Parteigenossin Wagenknecht seit Langem schon in herzlicher Feindschaft verbunden. Spätestens als Wagenknecht Anfang März bekannt gab, nicht mehr für die Linke kandidieren zu wollen, war endgültig der Bruch zwischen ihr und der Partei vollzogen, ein Bruch, der sich eigentlich schon seit Jahren angedeutet hatte.

Spitzen gegen die Parteiführung

Nun hängt das Damoklesschwert einer Spaltung über der Linken, denn Wagenknecht kokettiert mit ihrem Parteiaustritt und einer Neugründung, die eine direkte Konkurrenz­veranstaltung wäre. Dabei lässt sie immer mal wieder auch eine Spitze in Richtung Parteiführung los: „Wenn die Linke sich völlig neu aufstellen würde, mit attraktiven Köpfen an der Parteispitze und einem vernünftigen Kurs, würde ich alle Überlegungen zu einer Neugründung sofort einstellen“, sagte Wagenknecht Anfang Mai der „Welt“ und löste damit erneut einen Entrüstungssturm in der Berliner Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus aus.

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Von „hilflosen Erpressungsversuchen“ sprach Martin Schirdewan, und fügte hinzu: „Bei uns entscheiden Parteitage und nicht Äußerungen in den Medien über eine politische Richtung.“ Schirdewan wurde im Juni 2022 gemeinsam mit Wissler auf dem Erfurter Parteitag zum neuen Parteivorsitzenden gewählt, Wagenknecht nahm am Parteitag gar nicht teil.

Bernd Riexinger ist ein alter Haudegen der Stuttgarter Gewerkschaftsbewegung und jetzt 67 Jahre alt. Von Juni 2012 bis Februar 2021 teilte er sich mit Katja Kipping (45) den Parteivorsitz. Im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagt er: „Schon während unserer Amtszeit hatten wir den Eindruck, dass es mit Sahra Wagenknecht einen Bruch gab, zum Beispiel in der Phase, als von ihr die Bewegung ‚Aufstehen‘ gegründet wurde. Das Projekt hat der Linken geschadet, nicht etwa anderen Parteien.“

Wagenknecht hatte die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ 2018 ins Leben gerufen und wollte damit Kräfte weit über die Linke hinaus mobilisieren. Das Projekt generierte rasch Zehntausende Sympathisanten im Internet, schaffte es aber nicht, feste Strukturen aufzubauen. Ein Jahr später war der Ofen aus.

Basisarbeit zählt nicht zu Wagenknechts Stärken

Wagenknecht weiß selbst, dass das Organisieren und die mühsame Basisarbeit nicht ihre Stärken sind. Sie weiß aber auch, dass man für die Neugründung einer Partei solche Fähig­keiten braucht. Wohl auch deshalb ist bislang nicht klar, wie es weitergehen soll. Anfang März sagte sie, sie werde sich womöglich nach Ablauf der Legislaturperiode aus der Politik zurück­ziehen, könne sich aber auch eine politische Neuorientierung vorstellen. Später kündigte sie dann öffentlich an, bis zum Jahresende zu entscheiden, ob sie eine eigene Partei gründen wird.

Das würde zeitlich noch reichen, um zur Europawahl im Juni 2024 an den Start gehen zu können, denn dafür sind keine Landeslisten nötig und es gibt es auch keine Sperrklausel. Allerdings kann man damit allenfalls einen Achtungserfolg und Imagegewinn erzielen, denn entscheidend wäre die Bundestagswahl 2025. Dafür allerdings braucht es 16 Landesverbände, Landeslisten und einen funktionierenden Apparat, der alles organisiert.

Umfragen prognostizieren 60 Prozent AfD-Anhänger

Unterschiedliche Umfragen trauen einer solchen Wagenknecht-Partei um die 20 Prozent zu, wobei es bislang überhaupt kein politisches Programm, sondern nur eine Politikerin und ihre Ansichten gibt. Wenn es dazu käme, dürfte es sich kaum um eine zweite Linkspartei handelt, sondern eher um eine Mischung aus linker Sozial- und konservativer Gesellschaftspolitik. Laut Umfragen wäre die Anhängerschaft mit über 60 Prozent aus den Reihen der AfD am stärksten, gefolgt von über 50 Prozent von den Linken.

Nicht erst seit ihrer Bundestagsrede im September 2022, bei der sie der Bundesregierung einen „beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten“ vorwarf und „Schluss mit den fatalen Wirtschaftssanktionen gegen Russland“ forderte, erhält sie Beifall aus der rechte Ecke. Schon zuvor und auch danach trat und tritt sie mit Thesen an die Öffentlichkeit, die auch rechts anschlussfähig sind – bis hin zu ihrer „Friedensdemo“ Ende Februar in Berlin, bei der auch AfDler und Verschwörungstheoretiker anwesend waren.

Aber Wagenknecht lässt weiter offen, ob es dazu kommt, dass sie eine Art linke AfD gründet, und davon ist die Parteispitze zunehmend genervt: „Sie darf die Linke jetzt nicht noch ein Dreivierteljahr lang hinhalten und mit einem Konkurrenzprojekt kokettieren. Das ist unfair gegenüber der Partei und ihren Mitgliedern“, sagt Parteichefin Wissler gegenüber dem RND. Wenn sie sich, wie sie sagt, von der Partei nicht mehr vertreten fühlt, dann müsse sie ihre Konsequenzen ziehen.

Nur ein Projekt für Hauptstadtjournalisten?

Das ist genau der Ton, den Ex‑Parteichef Riexinger jetzt von der Parteiführung erwartet. Klare Kante. Er findet, dass Wagenknechts Stärke zum großen Teil nur noch aus der permanenten Spekulation um ihre Person resultiert. Parteiinterne Kritiker sprechen bei der Wagenknecht-Partei bereits von einem „Hauptstadtjournalistenprojekt“. „Dass die Medien sie mit Spekula­tionen immer wieder ins Boot holen; ihre permanente mediale Präsenz ist ihre Stärke“, sagte Riexinger und betont: „Sie hat eigentlich keinerlei Funktion mehr in der Partei und in der Fraktion.“

Dennoch hält die „einfache“ Bundestagsabgeordnete ihre Partei weiter in Atem, und die kann dagegen nicht viel tun. Ein angestrebtes Parteiausschlussverfahren hat Wagenknecht 2021 überstanden, ein weiteres wäre wohl schon wegen des zu befürchtenden Rummels nicht ratsam. Riexinger sagt: „Ich finde ihren Umgang mit der Partei, der sie so viel zu verdanken hat, nicht fair. Die Partei so lange im Unklaren zu lassen, das ist ein ganz unseriöses Verhalten und nicht zu akzeptieren.“

Den Vorwurf lässt Wagenknecht so nicht stehen: „Niemand würde über eine Neugründung debattieren, wenn die Linke nicht in den letzten Jahren das Vertrauen der Mehrheit ihrer Wähler verspielt hätte und dadurch eine große Leerstelle im Parteienspektrum entstanden ist“, sagt sie dem RND und fügt hinzu: „Ich halte nichts in der Schwebe, sondern habe eine Deadline gesetzt, bis zu der diese Frage entschieden sein muss.“

Die Deadline ist das Jahresende, bis dahin kann noch viel geschehen. Gregor Gysi (75), Urgestein und Gründungsvater der Linken, glaubt, Wagenknecht noch von einer Neu­gründung abhalten zu können, und hat dazu ein Papier verfasst, das eine Brücke zwischen ihr und der Parteispitze bauen und der Öffentlichkeit als eine Art Versöhnungsschrift präsentiert werden sollte. Doch dazu ist es bislang nicht gekommen. Wagenknecht sagte der „Süd­deutschen Zeitung“, es sei an der Parteispitze gescheitert.

Gysis „letzter Rettungsversuch“

„Es ist nicht an der Parteispitze gescheitert“, sagt Wissler dem RND. Sie und Co-Parteichef Martin Schirdewan seien nicht in die Erarbeitung dieses Papiers einbezogen worden, hätten aber später Vorschläge gemacht. Während Gysi noch von seinem letzten Rettungsversuch für die Partei spricht, glaubt Riexinger nicht mehr, dass da noch etwas zu machen ist.

„Es ehrt ihn, dass er den Versuch unternimmt, mit Wagenknecht zu einer Einigung zu kommen und die Bildung einer neuen Partei zu verhindern“, sagt Riexinger, „ aber ich glaube nicht, dass das noch auf dem Wege eines gemeinsamen Papiers möglich ist.“

Für die Linke geht es auch um Status und Geld

Wenn Wagenknecht die aus 39 Mitgliedern bestehende Bundestagsfraktion verlässt und noch drei Anhänger mitnimmt, dann büßt die Fraktion ihren Status und damit Einfluss und Geld ein. Es droht dann eine sofortige Liquidation, in deren Folge rund 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem Apparat ihren Job verlieren, es droht weniger Redezeit im Bundestag, und überhaupt droht massiver Bedeutungsverlust.

Riexinger sagt dazu: „Die Situation für die Partei ist existenzgefährdend, aber ich glaube nicht, dass die Linke am Ende ist. Wir haben schon größere Krisen überstanden.“

Doch das Problem ist nicht nur eines zwischen Wagenknecht und der Parteiführung, sondern auch zwischen Parteiführung und Fraktionsspitze. Schon nach der desaströsen Bundestags­wahl 2021 mit 4,9 Prozent trat der Konflikt mit unterschiedlichen Ansichten zu Klimaschutz, Anglizismen und Gendern offen zutage. Unter der Schlagzeile „#Systemchange – für eine Erneuerung der Linken“ forderten junge Parteimitglieder im Internet ein radikales Umsteuern hin zur „ökosozialistischen Protestpartei“.

Klimaschutz spaltet Parteispitze und Fraktion

Bei den klassischen sozialen Themen gibt es wohl keine großen Differenzen zwischen Parteispitze und Fraktion. Wohl aber in der Frage, wie man es mit der Klimaschutzbewegung hält. Während Wissler und Schirdewan stark auf das Thema setzen, bleibt die Fraktionsspitze um Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali thematisch eher beim traditionellen Arbeiter­milieu, wie es auch Wagenknecht fordert.

Riexinger, der altermäßig mit Bartsch (65) eine Generation bildet, steht in der Klimafrage voll auf Modernisiererkurs: „Die Linke muss die treibende Kraft beim sozialökologischen Umbau werden“, findet er. „Da wäre noch Spielraum für uns, zumal die Grünen jetzt in der Ampel zeigen, dass sie zu faulen Kompromissen bereit sind.“

Um seine Modernisierungsvorstellungen voranzutreiben, hat Riexinger schon Ende März einen personellen Neuanfang an der Fraktionsspitze gefordert. „Wir brauchen dort neue Leute, wenn die Zusammenarbeit mit der Parteispitze funktionieren soll, wie das in anderen Parteien üblich ist“, meint der Ex‑Parteichef, ist damit aber bislang nicht durchgedrungen. Zwar wird turnusmäßig zum Ende der Sommerpause eine neue Fraktionsführung gewählt, aber bislang hat Bartsch nicht erkennen lassen, dass er nicht wieder antritt.

Und es ist davon auszugehen, dass er in der Fraktion eine klare Mehrheit hinter sich vereint, bis hin zu solchen Stimmen, die sagen: „Wenn jetzt auch noch der Dietmar hinwirft, dann bricht alles zusammen.“

Zu Wagenknechts Ambitionen möchte Bartsch nur so viel sagen: „Es hat auch etwas Befreiendes, dass ein Entscheidungspunkt gesetzt ist.“

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