Streit über Orbán und RusslandBei Merkels letztem EU-Gipfel fliegen die Fetzen

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Viktor Orbán

Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsident

Brüssel – Harmonie sieht anders aus. Beim letzten regulären EU-Gipfel von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) flogen die Fetzen. Im Zentrum der heftigen Wortgefechte stand der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der in seinem Land ein umstrittenes Gesetz zur Homosexualität eingeführt hat.

Aber auch Merkel wurde bei ihrem Abschiedsgipfel nach fast 16 Jahren im Amt nicht geschont. Ihr Vorstoß, demnächst wieder Gespräche auf höchster Ebene mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu führen, fiel in der Runde der 27 Staats- und Regierungschefs durch. EU-Gipfel diskutiert über neue Russland-Strategie und Gesetz in Ungarn

Merkel versuchte am Freitag den heftigen Streit mit Orbán mit diplomatischen Worten zu umschreiben. Eine „Diskussion in einer solchen Tiefe und Ehrlichkeit hatten wir noch nicht“, sagte sie.

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Rutte: Alle hätten „Tränen in den Augen“ gehabt

Ihr luxemburgischer Amtskollege Xavier Bettel, der mit einem Mann verheiratet ist, wurde sehr viel deutlicher. „Meine Mutter hasst es, dass ich schwul bin, damit muss ich leben. Und jetzt schreiben Sie das in ein Gesetz“, hielt Bettel dem ungarischen Regierungschef nach Angaben von Teilnehmenden vor. Danach hätten „alle Tränen in den Augen gehabt“, sagte der niederländische Regierungschef Mark Rutte am Freitag.

Das ungarische Gesetz verbietet Publikationen, die Kindern zugänglich sind und nicht heterosexuelle Beziehungen darstellen. Auch wird Werbung verboten, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil einer Normalität erscheinen.

Mit Ausnahme der Regierungen Polens und Sloweniens verurteilten alle Regierungschefs das Gesetz, weil es europäische Grundwerte verletze. Orbán dagegen verteidigte es und behauptete, es wende sich überhaupt nicht gegen Homosexuelle.

Merkel: „Wir haben ein ernstes Problem“

Der Streit war offenbar so heftig, dass Rutte Orbán empfahl, die EU zu verlassen, wenn er das Gesetz nicht zurückziehen wolle. Die deutsche Kanzlerin machte das in ihrer Pressekonferenz am Freitag ausdrücklich nicht. Merkel sagte aber unter Verweis auf das ungarische Gesetz: „Wir haben ein ernstes Problem.“ Eine Gleichmacherei krimineller Handlungen wie der Pädophilie mit sexueller Orientierung von Menschen dürfe es in der EU nicht geben.

Die EU-Kommission will nun prüfen, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleitet. Ob das jedoch zu einer Rücknahme des Gesetzes führen wird, ist fraglich. Der ungarische Regierungschef hat sich in den vergangenen Jahren selbst von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs nicht beeindruckt gezeigt.

Keine Veränderungen in Russland-Politik

Nach dem heftigen Streit mit Orbán kam es in der Nacht zu Freitag beim EU-Gipfel zu langwierigen Verhandlungen über die Russland-Politik. Dabei musste Merkel eine Niederlage hinnehmen. Zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wollte sie durchsetzen, dass es demnächst wieder ein Gipfeltreffen der EU-Spitzen mit Russlands Präsident Wladimir Putin geben sollte. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 ist das nicht mehr geschehen.

Doch dieser Vorschlag scheiterte am Widerstand Polens, der baltischen Staaten und anderer Länder. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, ein Treffen auf Chefebene sei verfrüht: „Das wäre heute eine Art Belohnung für den russischen Präsidenten für (…) aggressive Politik, die Provokation von Nachbarn und Angriffe verschiedener Art.“

Merkel enttäuscht: „Das betrübt mich etwas“

In der Gipfelerklärung ist jetzt nur noch die Rede von einer „selektiven Zusammenarbeit mit Russland“ in Themenfeldern wie dem Klimaschutz oder dem auf Eis liegenden Atomdeal mit dem Iran. Zudem droht die EU Moskau mit Wirtschaftssanktionen, sollte der Kreml nicht auf „böswillige Aktivitäten“ verzichten.

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Merkel zeigte sich enttäuscht, dass ihr Vorschlag im Kreise der Staats- und Regierungschefs durchfiel. „Das betrübt mich etwas“, sagte sie am Freitag. Zuvor hatte sie erklärt, es reiche nicht aus, wenn nur US-Präsident Joe Biden mit dem Kremlchef spreche. Die EU müsse selbstbewusster werden und ebenfalls Gesprächsformate schaffen. Selbst im Kalten Krieg seien immer Gesprächskanäle nach Moskau offen gewesen.

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