Exklusiv

Interview mit Michael Ballack
„In der Favoritenrolle liegt die Gefahr für Leverkusen“

Lesezeit 7 Minuten
2003 in Berlin: Michael Ballack gewinnt mit dem FC Bayern gegen Kaiserslautern (3:1) erstmals den DFB-Pokal und feiert mit Uli Hoeneß.

2003 in Berlin: Michael Ballack gewinnt mit dem FC Bayern gegen Kaiserslautern (3:1) erstmals den DFB-Pokal und feiert mit Uli Hoeneß.

Michael Ballack beleuchtet Leverkusens Meisterschaft, hebt Alonsos Schlüsselrolle hervor und hinterfragt die Pleite im Europa-League-Finale.

Herr Ballack, Sie haben den Pokal drei Mal mit dem FC Bayern gewonnen. Was macht diese Faszination Pokalfinale in Berlin aus?

Der ganze Pokalwettbewerb ist faszinierend. Es ist dieses David-gegen-Goliath, dieses Kleine gegen Große - und in einem Spiel ist immer alles möglich. Das mobilisiert die Fans, vor allem die Fans des Underdogs. Diese Reise nach Berlin macht etwas mit einem - das kenne ich von meinen Freunden und Verwandten. Es ist etwas Besonderes, ein Event mit großer Tradition.

Sie sagen David gegen Goliath, das trifft am Samstag definitiv zu. Die Vorzeichen könnten klarer nicht sein. Kann Leverkusen dieses Spiel gegen Kaiserslautern überhaupt verlieren?

Die Formulierung der Frage ist gut. Ich habe das auch mit meinen Freunden diskutiert. Wie könnte ein Lautern-Sieg überhaupt funktionieren? Vielleicht hat jetzt die Niederlage gegen Bergamo im Europa-League-Finale einen Effekt. Trotzdem bedarf es vieler Dinge für so einen Ausgang. Die Favoritenrolle ist sowas von klar zugeteilt. Trotzdem ist dieses Spiel wie ein Champions-League-Finale - ich kenne diese Spiele, die müssen erst gespielt werden, weil diese Favoritenrolle macht ja auch etwas mit einem. Und genau darin liegt die Gefahr für Leverkusen. Sie haben nicht diese Erfahrung mit Endspielen, das hat man auch am Mittwoch gesehen.

Sie haben für beide Klubs gespielt, sind aber Pokal-Botschafter für Leverkusen. Ist die Sympathiefrage damit geklärt?

Ja, Bayer 04 ist der Klub, für den ich am längsten gespielt habe. Dort hatte ich eine großartige Zeit. Mein Herz schlägt für Leverkusen. Es hat ja alles ausgesagt, dass ich gegen Ende meiner Karriere noch zurückgekehrt bin. Ich habe mich aber überall wohl gefühlt, auch in Lautern. Das war eine tolle Station. Ich bin dort erstmals Meister geworden, das war etwas Unfassbares in so einem jungen Alter.

Und jetzt ist Bayer Leverkusen Meister. Es ist tatsächlich noch passiert. Welche Gefühle hat das in Ihnen ausgelöst?

Ich war im Stadion, als die Schale übergeben wurde. Als das Podest mit den Schriftzügen von Bayer Leverkusen hereingefahren wurde, habe ich erst so richtig realisiert, dass es jetzt Wirklichkeit ist. Es waren einige äußerst schmerzhafte Jahre in der Vergangenheit. Umso eindrucksvoller haben sie es dieses Jahr geschafft. Die erste Meisterschaft war dann etwas wirklich Besonderes.

Hätten Sie es überhaupt für möglich gehalten, dass eine Mannschaft in der Bundesliga ungeschlagen den Titel holt?

Ich bin mit einem Aufsteiger Deutscher Meister geworden (lacht). Von daher: Nichts ist unmöglich. Aber es ist natürlich eine außergewöhnliche Leistung, ganz klar.

Wann war Ihnen klar, dass es diese Saison für Bayer so weit sein wird?

Das war nach dem Sieg gegen die Bayern in der Rückrunde. Das war endgültig das Zeichen, dass es in diesem Jahr so weit sein wird. Es war auch wichtig, dass Leverkusen im frühen Stadium des Saisonendspurts schon die Weichen gestellt hat. Es konnte keine Nervosität mehr aufkommen, weil sie mit so großer Dominanz aufgetreten sind. Eigentlich können die Bayern immer noch mal einen Gang hochschalten, aber die Probleme in München waren eben in diesem Jahr größer und die Bayern  waren einfach schwächer als Leverkusen. Die Kräfteverhältnisse waren eindeutig, das sieht man auch an den 18 Punkten Vorsprung am Ende.

Was unterscheidet denn dieses Leverkusener Team von denen der Vergangenheit?

Der Unterschied ist, dass sie einen unheimlichen Lauf hatten, eine unheimliche Stabilität. Die hatten wir damals eigentlich auch, aber wir haben im Endspurt Nerven gezeigt. Zudem kommen natürlich ein paar Faktoren zusammen. Man braucht auch ein bisschen Glück. Diese Spiele, die sie in den letzten Minuten oder der Nachspielzeit für sich entschieden haben, waren ganz wichtig, um das Momentum aufrechtzuhalten.

Was waren die Bausteine des Erfolgs?

Sie haben gut eingekauft, sich super verstärkt, sie haben einen sehr ausgewogenen Kader. Und sie haben natürlich einen überragenden Trainer, der dann auch die Strippen so gezogen hat, dass dieses Gebilde einfach perfekt funktioniert und harmoniert.

Welchen Eindruck macht Xabi Alonso auf Sie?

Wir haben bei zwei, drei Spielen mal kurz Smalltalks geführt. Er ist sehr nett. Ich kenne ihn auch noch als Spieler auf dem Platz. Auch da war er ein angenehmer Typ. Das Wichtigste ist aber diese Akribie, mit der er arbeitet. Das ist unabdingbar.  Fußball-Sachverstand haben, für Harmonie sorgen und ein netter, empathischer Mensch sein, das reicht natürlich nicht, du musst auch hart arbeiten. Das passt bei ihm – wie auch bei Jürgen Klopp. Man spricht bei Kloppo ja auch meist über seine Art, wie er ist, wie er sich gibt. Aber dieses harte Arbeiten, auch mal eklig sein bei Niederlagen, das gehört auch dazu. Ansonsten kommst du nicht auf das Top-Level.

Sind Sie froh, dass das Wort Vizekusen nach der Meisterschaft Geschichte ist?

Für den Verein ist es top und sehr verdient. Auch wenn es nicht unbedingt zu erwarten war in dieser Saison. Der Anspruch, Meister zu werden, war zu unserer Zeit da, weil die Mannschaft auf dem Level war, um mit Bayern mitzuhalten. Dieses Denken, unbedingt gewinnen zu wollen, war dann ein bisschen abhandengekommen. Aber die Leistung und die Qualität jetzt spricht für sich. Das ist kein Zufall. Das war auch eine Top-Arbeit von Simon Rolfes und Fernando Caro. Man hat nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb des Platzes viele Dinge richtig gemacht.

2012: Michael Ballack im Trikot von Bayer Leverkusen in Aktion.

2012: Michael Ballack im Trikot von Bayer Leverkusen in Aktion.

Wenn Sie die Gemengelage beim FC Bayern sehen und im Vergleich dazu die Stabilität in Leverkusen: Wie wird die Rollenverteilung in der kommenden Saison sein?

Es wird ein Kampf auf Augenhöhe sein. Seit Alonso übernommen hat, hat sich die Mannschaft immer weiter stabilisiert. Das Team bleibt in großen Teilen zusammen. Ich glaube nicht, dass die Schlüsselspieler wegbrechen. Die Baustelle beim FC Bayern ist viel größer als die bei Bayer Leverkusen.

Ist es für Sie persönlich auch angenehm, jetzt nicht mehr so oft mit dem Unterhaching-Trauma aus dem Jahr 2000 konfrontiert zu werden?

Ich hatte ja das Glück, auch mit Bayern München und in England mit dem FC Chelsea Meister zu werden. Von daher war das für mich persönlich kein Thema. Ich fand es nur für Leverkusen schade, weil sie es verdient hatten, schon früher Meister zu werden. Ich war eben in der Zeit dabei, in der wir es zwei-, dreimal nicht geschafft haben. Deshalb freue ich mich auch so. Sie haben mit dieser Meisterschaft einiges zurechtgerückt. Die Vorurteile und die Häme, die sich vor allem in diesem Wort  Vizekusen wiedergefunden haben, sind jetzt weggewischt worden.

Haben Sie einen Lieblingsspieler im Kader?

Am liebsten schaue ich Florian Wirtz zu. Es gibt viele Spieler, denen ich bei Bayer gerne zuschaue. Das sind ein Grimaldo, oder ein Frimpong. Das ist das Spiel von Xhaka, der das perfekt vor der Abwehr dirigiert. Auch Kossounou, der diese Halbposition richtig gut löst. Es gibt auf jeder Position immer wieder Spieler, die das richtig gut machen. Man sieht einfach auch die Handschrift des Trainers. Bei Frimpong sieht man, dass er wirbeln darf, kreativ sein darf, rennen darf, aber trotzdem immer wieder in seine Rolle taktisch zurückkommt und nicht ausschert. Das ist das perfekte Spiel eines Spielers. Wenn man zuschaut, sieht man, da wird gut gecoacht. Und dann gibt es natürlich einen Unterschiedsspieler wie Wirtz. Wie er auch gegen den Ball arbeitet, das finde ich beeindruckend. Er hat als junger Spieler schon eine riesige Akzeptanz, weil seine Kollegen wissen: Der Florian gibt uns so viel. Und Xhaka macht den Unterschied in der Mentalität, in der Ansprache, in seinem Auftreten. An ihm orientieren sich alle, er ist ein absoluter Stabilisator.

Wirtz könnte auch einer der großen Stars der EM werden. Wie bewerten Sie den deutschen Kader?

Der Kader stellt sich immer zu 80 Prozent aufgrund der Leistung der Jungs von selbst auf. Dann gibt es ein paar Positionen, über die man diskutieren kann, bei denen der Trainer gewisse Überlegungen hat. Meine Meinung ist, dass bei Mats Hummels und Leon Goretzka auf besondere Qualität verzichtet wurde - aus welchem Grund auch immer. Man hatte beim DFB wohl das Gefühl, die Nominierungen wären ein Risikofaktor, es gebe vielleicht ein bisschen Explosionsgefahr. Das wollte Julian Nagelsmann wohl vermeiden. Das finde ich ein bisschen schade. Vor allem Hummels hat ein Top-Momentum. Er hat einen großen Anteil am Finaleinzug in der Champions League. Das zeigt, dass er auf diesem hohen Niveau spielen kann. Ansonsten ist die Nationalmannschaft, so wie sie besetzt ist, qualitativ sehr stark aufgestellt. Und jetzt liegt es am Trainer, die Balance zu finden.

Noch eine persönliche Frage: Haben Sie Pläne, selbst mit ihrem Know-how in einem Klub tätig zu werden?

Ich bin jetzt mehr als zehn Jahre raus aus dem Geschäft und bis heute bin ich nie gefragt worden. Es ist auch nichts, was ich aktiv angehen werde. Ich bleibe durch meine TV-Arbeit in vielen verschiedenen Sprachen dem Fußball verbunden. Ob sich mal etwas bei einem Klub ergibt, weiß ich nicht. Ich will aber nichts ausschließen, wenn sich eine interessante Aufgabe ergeben sollte.

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