Köln – Zwei Wochen vor Saisonschluss sind in der Fußball-Bundesliga außer der Meister-Frage die meisten Fragen noch nicht beantwortet. Zum Beispiel: Wer erlebt aktuell die schlimmste Krise?Für eine Antwort muss man das neofaktische Adjektiv „gefühlt“ benutzen. Gefühlt erlebt der FC Bayern München die schlimmste Krise.
Haben die Bayern nicht am 31. Spieltag die zehnte Meisterschaft in Folge mit einem 3:1-Sieg über Verfolger Dortmund perfekt gemacht, die sie kommenden Samstag nach dem Heimspiel über Stuttgart mit dem Empfang der Trophäe feiern wollen?Das ist beides richtig. Dazwischen stand aber das sportlich bedeutungslos gewordene Auswärtsspiel in Mainz, das der jenseits von Gut und Böse stehende Gastgeber hochverdient mit 3:1 Toren gewann. Der Rekordmeister, der auch 1:6 hätte verlieren können, wirkte desinteressiert. Direkt nach Schlusspfiff reiste ein Großteil der Mannschaft mit Erlaubnis von Klubführung und Trainer Julian Nagelsmann zu einem Kurz-Trip nach Ibiza. Die Empörung ist groß. Hertha-Trainer Felix Magath spricht gar von Wettbewerbsverzerrung, weil er als direkter Konkurrent des VfB Stuttgart am kommenden Samstag ein unfaires Spiel befürchtet.
Ist die Empörung berechtigt?
Die von Felix Magath nicht. „Ich weiß nicht, warum eine Mannschaft sagt, wir spielen diesmal die Saison nicht zu Ende, wir machen drei Wochen vorher Schluss“, mäkelte der von Hertha BSC als Retter verpflichtete Routinier und unterstellte drohende Wettbewerbsverzerrung. Hätte sein Team am Samstag in Bielefeld nicht in der Nachspielzeit den 1:1-Ausgleich hinnehmen müssen, wäre die Hertha gerettet gewesen und nichts anderes hätte Felix Magath interessiert. Außerdem ist folgendes Szenario für kommenden Samstag wahrscheinlich: Die gescholtenen und kritisierten Bayern-Stars, an ihrer Ehre gepackt, wollen ihren Fans in der vollen Allianz-Arena zur Meisterkrönung keine Blamage gegen den Fast-Absteiger zumuten. Für Stuttgart sind das keine guten Nachrichten.
Welche Empörung ist dann berechtigt?Die der Bayern und ihres Anhangs gegen sich selbst. Denn niemand anderem hat dieser verstörende Auftritt in Mainz geschadet. Nicht einmal der klaren Dominanz in der Liga. Da Borussia Dortmund, der große Nichts-Gewinner der Saison, gleichzeitig eine 3:4-Peinlichkeit gegen den dadurch geretteten VfL Bochum vor über 80 000 Zuschauern im eigenen Stadion erlebte, trennen die Bayern weiterhin zwölf Punkte von Platz zwei. Der einzige Anspruch, den die Bayern verletzen durch Auftritte wie in Mainz, ist der eigene. Man hatte fast das Gefühl, dass Trainer Julian Nagelsmann der Rückfall in ein Verhaltensmuster, das seinen Klub in dieser Saison die Chancen im DFB-Pokal und der Champions League gekostet hatte, gerade Recht kam.
Wieso das?So konnte er wieder einmal auf die Notwendigkeit von Veränderungen hinweisen, um die er seit seinem ersten Tag beim FC Bayern gegen einige Widerstände in Klub und Kader kämpft. „Wenn es so wirkt, als ob wir irgendeinen Dienst abhalten müssen und keine Leidenschaft da ist, ist der Punkt erreicht, wo wir etwas verändern müssen. Da sind wir gerade“, sagte der 34-Jährige in der Pressekonferenz nach dem Spiel und ging in der Analyse noch tiefer: „Wenn du zehn Jahre nacheinander immer Meister wirst und in einer Saison sieben Titel gewinnst, kommt der Zeitpunkt wo du sagst, wir müssen jetzt einiges anders machen. Ich will, dass wir den Weg erfolgreich weitergehen und nicht irgendwann sagen, scheiße, wir haben den Punkt verpasst.“
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Übersetzt heißt das: Ich will neue Spieler und noch mehr Rückhalt für einen neuen Fußball, der sich von dem meines Vorgängers Hansi Flick noch deutlicher unterscheidet. Für Punkt eins muss er die Klubführung überzeugen, für Punkt zwei seinen mit Titeln und Auszeichnungen schwer behängten Kader. Beides wird nicht einfach.
Das sind allerdings sehr luxuriöse Probleme verglichen mit denen des kommenden Gegners VfB Stuttgart, dessen Restprogramm FC Bayern/1. FC Köln lautet.Das späte Ausgleichstor von Chris Führich zum 1:1 gegen den maximal sachlich spielenden VfL Wolfsburg erhielt immerhin den Zwei-Punkte-Vorsprung vor dem Tabellen-17. Bielefeld, dessen letzte Gegner Bochum - gerettet/Wettbewerbsverzerrung? – und Leipzig heißen. Vier Punkte hinter der Hertha scheint für die Schwaben und ihren neuen Klubchef Alexander Wehrle die Relegation das realistische Ziel. Damit hat Wehrle aus seiner Kölner Zeit immerhin Erfahrung.