Vom Hochwasser verschlammtGoldschmied in Swisttal rettet Flutjuwelen

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Den alten Glanz lockt Ralph Retterath an der Maschine wieder hervor.

Swisttal – Als der Goldschmied Ralph Retterath in der Werkstatt seines Fachwerkhauses an der Morenhovener Hauptstraße wenige Wochen nach der Starkregenkatastrophe wertvollen Schmuck aus schlammverkrusteten Etuis klaubte, band sich seine Auszubildende Maja Wingertszahn schnell eine Maske vor die Nase. Nicht weil der Schmuck, den eine Bank zur Rettung vorbeigebracht hatte, sie mit Corona hätte infizieren können, sondern wegen des Gestanks.

„Der Schmutz roch auch Wochen nach der Flut noch nach Hochwasser“, erinnert sich die junge Frau, die inzwischen – mit Bravour, wie der stolze Meister betont – nach dreieinhalb Ausbildungsjahren den Gesellenbrief erhalten hat. Den schauderlichen, nicht genau zu definierenden Geruch von Mineralöl, Fäkalien und Zersetzung wird die 20 Jahre junge Goldschmiedegesellin der Fachrichtung Schmuck ihr Leben lang nicht vergessen, ebenso wenig die zusätzliche Erfahrung bei der Rettung wertvoller Schmuckstücke – eine Erfahrung, die selbst für ihren Lehrmeister nach 38 Berufsjahren völliges Neuland bedeutete.

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Ralph Retterath setzt eine rotierende Bürste an.

Tausende Ketten, Ringe, Anhänger, Broschen, Münzen oder andere wertvollen Dinge, die von der Flut umspült und bis in die allerkleinsten Ritzen voll  Schlamm gepresst worden waren, kamen bei Retterath auf den Tisch. Die meisten davon vertrauten ihm Banken aus Euskirchen, Rheinbach und von der Ahr an. Wie viel davon von der Versicherung geregelt wurde, blieb dem Juwelier dabei verborgen. Er erfüllte fantasievoll und mit all seiner bisherigen Erfahrung sein Handwerk – die meiste Zeit bei geöffnetem Fenster, um es in der Werkstatt aushalten zu können.

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Die „Erstaufnahme“ leistete dabei nach der Erfassung per Foto und Beschreibung meist Maja Wingertszahn mit Maske und Handschuhen sowie mit Bürste und Wasser. Dann kam fast jedes Schmuckstück ins erste Ultraschall-Bad. „Das Wasser war sofort braun-schwarz. Das war heftig. Auch wegen der Menge habe ich für einen zweiten Reinigungsgang ein weiteres Ultraschallgerät angeschafft“, berichtet Retterath. Politur, Dampfstrahler, Tauchbäder – einige Prozeduren standen jedem noch so wertvollen Stück bevor. Ein schnell geordertes Großpaket voller Tabletts, Schachteln und Briefchen half beim Ordnung halten.

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Goldschmiedegesellin Maja Wingertszahn reinigte die Schmuckstücke mehrfach auch im Ultraschallbad und nass mit einer Bürste - wegen des Gestanks mit Maske.

Perlen verkrafteten das Wasser am besten, stellte Retterath fest, bei Korallen war kaum Hilfe möglich: „Egal welche Technik wir ausprobiert haben, das  verunreinigte Wasser hat sie unwiederbringlich matt gemacht. In einigen Fällen haben wir in Rücksprache mit dem Kunden die Korallen gegen neue ausgetauscht“, berichtet der Meister.

Auch bei vielen Münzen aus der Flut war jeder Rettungsversuch vergeblich: „Ich kann ja nicht mit der Feile rangehen und einfach Material abtragen. Vor allem Geldstücke mit Kupferanteil waren stark korrodiert oder hatten Löcher, so dass wir lieber die Finger davon gelassen haben“, sagt Retterath.

Dass Corona die üblichen Aufträge für Umarbeiten, Reparieren oder Anfertigen von Schmuck sowie die Herstellung von Trauringen deutlich drosselte, merkte er nach der Flut kaum noch. Die Rettung des geborgenen Schmucks – der Flutjuwelen – nahm netto zweieinhalb Monate in Anspruch. „Als wir eingespielt waren, haben wir zeitweise nur noch zehn Minuten je Stück für die Reinigung benötigt“, stellte Retterath im Rückblick fest. Allerdings gehörte auch der Inhalt eines Tresors von einer „untergegangenen Kollegin“ dazu, der Tausende Einzelstücke enthielt. „Als wir die Döschen ausgepackt haben, lief noch das Schlammwasser raus.“

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Die stinkenden Verpackungen, in denen der Schmuck bei ihm im Atelier ankam, liegen derzeit fest verklebt in einem Gartenschuppen. „Doch trotzdem ist der Geruch kaum zu ertragen, wenn man die Schuppentür öffnet“, findet Retterath.

Kurz vor Ostern hatte der Goldschmiedemeister noch eine ganze Ladung des „Flutschmucks“ abholbereit in der Werkstatt. Mit der Lupe kontrolliert er ein letztes Mal einen alten Damen-Goldring mit grünem Stein, der glänzt, als wäre er gerade erst eingefasst worden. „Es war einfach schade, den Schmuck so verdreckt zu sehen“, sagt er und bewundert den Edelstein im Altschliff: „Ein wunderbar facettierter Turmalin.“

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