Umgang mit dem ArchivViel Lob, doch wenig Taten

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Das Historische Archiv war übervoll mit Zeugnissen aus der Vergangenheit - für die Zukunft wurde erst spät geplant. (Archivbild: Bause)

Das Historische Archiv war übervoll mit Zeugnissen aus der Vergangenheit - für die Zukunft wurde erst spät geplant. (Archivbild: Bause)

Man solle doch, so schlug es vor kurzem eine Kölner Kulturpolitikerin vor, das Stadtarchiv zukünftig auf mehrere Standorte verteilen - den Transport des Archivgutes durch die Stadt könnten schließlich Fahrradkuriere übernehmen. Das war vor dem Einsturz des Archivgebäudes. Doch es steht bezeichnend für eine Form des Umgangs mit dieser Institution, unter der das Historische Archiv in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder leiden musste. Die Zeiten, in denen die Kölner stolz auf ihr Schatzhaus waren (und dies etwa durch den stattlichen Bau am Gereonskloster, in dem das Archiv bis 1970 untergebracht war, dokumentierten), sind lange vorbei. Der Neubau des jetzt zusammengebrochenen Hauses an der Severinstraße war die letzte große Investition in das Archiv - seitdem litt das Haus unter dem Schicksal vieler öffentlicher Bauten in dieser Stadt: Es wurde schlicht nicht mehr ausreichend unterhalten.

Doch neben dem immer prekärer werdenden baulichen Zustand beschnitt man das Stadtarchiv auch personell. Als Everhard Kleinertz, der Vorgänger der heutigen Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia, 1973 als Archivar im im Stadtarchiv anfing, zählte er 67 Mitarbeiter. 2005 waren davon nach diversen Kürz- und Streichrunden noch 26 übrig geblieben. „Ich fühle mich sehr angespannt“, sagte Kleinertz denn auch kurz vor seinem Eintritt in den Ruhestand, zumal unter dem Personalabbau vor allem der „archivische Kernbestand“ gelitten habe, also Archivare und Restaurateure. Ebenfalls gespart wurde bei der Einrichtung und der technischen Ausstattung. Immerhin, Internet-Zugang hatten die Mitarbeiter im Jahr 2005 schon - allerdings genau einen.

Die völlige Preisgabe eines wesentlichen Bestandteils des Stadtarchivs blieb Everhard Kleinertz erspart. Vor gut sechs Jahren plante die Stadtverwaltung, die Abteilung „Nachlässe und Schenkungen“ - von jeher ein Schwerpunkt des Historischen Archivs - aufzugeben. Kühle Kostenrechner hatten herausgefunden, dass die Annahme und der Erwerb von Sammlungen und Nachlässen keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe eines Archivs sei, sondern lediglich freiwillige Leistung. „Eine unfassbare Groteske“, nannten Schriftsteller wie Dieter Wellershof und Jürgen Becker das Vorhaben seinerzeit. Zudem verstoße diese Maßnahme gegen Treu und Glauben, da die Stifter „ihre Archive für eine dauerhafte Präsenz und Nutzung übergeben hätten“.

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Letztendlich blieben die Nachlässe im Archiv. Und Bettina Schmidt-Czaia, die 2005 die Leitung des Hauses übernahm, konnte - auch dank der Erhöhung des Kulturetats - mehrere Stellen neu besetzen und die elektronische Ausstattung auf einen angemessenen Stand bringen. Es gab jedoch ziemlich schnell ein viel dringenderes Problem: Das Haus war schlicht voll, die 30 Regalkilometer, mit denen man schon 1971 nur 30 Jahre auskommen wollte, komplett belegt. Die Diskussion über einen Neubau aber kam erst im vergangenen Jahr in Fahrt. Der Vorschlag, das Archiv an den alten Standort am Gereonskloster zurückzubringen und das historische Haus im Zuge der Umgestaltung des Gerling-Areals durch Magazinflächen zu ergänzen, fand zunächst die Zustimmung aller Parteien, erschien der Stadt aber letztlich zu teuer.

Ein neuer Ort musste her, doch nun stand auf einmal das Konzept in Frage: Zwar waren die Kulturpolitiker voll des Lobes für das von Schmidt-Czaia seit ihrem Amtsantritt erheblich intensivierte Modell des „Bürgerarchivs“, doch müsse - so eine auch bei einem vom Kulturausschuss einberufenen Expertenhearing, das kurz vor der Katastrophe stattfand, immer wieder aufgeworfene Frage - das Archiv wirklich komplett an einem Ort untergebracht werden?

Man könne doch die „historisch nicht so prickelnden Bestände“, so ein Vorschlag, in ein „Verwaltungsarchiv“ am Stadtrand auslagern und in der Innenstadt nur die „Schätze“ unterbringen. Die Archivare lehnten eine solche Trennung allerdings entschieden ab: Aus ihrer Sicht seien alle Dokumente gleich wertvoll, immer einmalig und hochempfindlich gegen klimatische Schwankungen. Jegliche Transporte - nicht nur mit dem Fahrrad - seien daher in jedem Fall zu vermeiden.

Die Empfindlichkeit der Archivalien wird seit dem Zusammenbruch des Hauses auf eine ganz andere Probe gestellt. Dennoch, ein neues Archiv soll gebaut werden, das bekräftigte der Kulturausschuss vorgestern noch einmal. Auch als eine Art Wiedergutmachung: „Wir haben uns doch unglaublich blamiert“, so der FDP-Kulturpolitiker Ulrich Wackerhagen.

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