Bayers Ruf ist seit der Übernahme des US-Konzerns Monsanto schwer beschädigt.
Monsanto gehört zu den umstrittensten Unternehmen der Welt und färbt mit seinem Image auf die Leverkusener ab.
Bayer hat den ehemals jüngsten Bundestagsabgeordneten verpflichtet, den Ruf des Konzerns zu verbessern.
Köln – „Ich arbeite nicht bei Bayer obwohl, sondern weil ich Grüner bin“, sagt Matthias Berninger Anfang der Woche in einer Telefonschalte mit Journalisten. Dieser Satz verblüfft: Einst setzte sich Berninger als Grünen-Bundestagsabgeordneter für ökologische Landwirtschaft ein – nun ist er Chef-Lobbyist des Leverkusener Bayer-Konzerns. Und der ist seit dem Kauf von Monsanto der weltweit größte Hersteller chemischer Pestizide und auch von dagegen resistentem, weil gentechnisch manipuliertem Saatgut.
Matthias Berninger
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Während Grünen-Politiker zu den heftigsten Kritikern Monsantos, dessen Glyphosat-Produkten und der Übernahme des Konzerns durch Bayer gehören, will ein Parteifreund Bayers Ruf retten. Der ist stark angeknackst: Seinen Anfang nahm der Schaden bereits 2016, als Bayer ankündigte, mit Monsanto einen der umstrittensten Konzerne der Weltwirtschaft kaufen zu wollen. Seit der Übernahme im Jahr 2018 haben drei Geschworenen-Gerichte in den USA festgestellt, dass Monsantos Glyphosat-Unkrautvernichter zu den Krebserkrankungen der Kläger beigetragen haben. Es drohen Schadensersatzverpflichtungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Vor Gericht legen die Klägeranwälte immer wieder Belege vor, dass Monsanto versuchte, Studien zu beeinflussen oder zu schönen, Kritiker zum Schweigen zu bringen und eine Debatte um die eigenen Produkte gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Früher als geplant, trat Berninger nun auf den Plan
Bayer kündigte bei der Übernahme an, den Namen Monsanto tilgen zu wollen, denn der überaus schlechte Leumund war auch Vorstandschef Werner Baumann bekannt. Dass Bayer aber mit Monsanto ungeachtet der Pläne auch dessen schlechten Ruf und das Erbe von Monsantos perfiden Lobby-Praktiken eingekauft hat, wird dieser Tage deutlich: Am Wochenende kam heraus, dass Monsanto im Jahr 2016 eine PR-Agentur beauftragt hatte, Glyphosat-Kritiker nach der Wahrscheinlichkeit, sie für sich gewinnen zu können, zu kategorisieren.
Die Berichte französischer Zeitungen und TV-Sender veranlassten nun Matthias Berninger, erstmals öffentlich für Bayer auf den Plan zu treten, und sich in dessen Namen bei den aufgelisteten Kritikern zu entschuldigen. Dabei steht Berninger bereits seit Anfang des Jahres auf der Gehaltsliste in Leverkusen: Mitte Dezember hatte Bayer verkündet, Berninger werde ab Januar 2019 die Leitung des Bereichs „Public and Governmental Affairs“ übernehmen. Das heißt nichts anderes als: Oberster Lobbyist des Bayer-Konzerns und somit für den Ruf und politischen Dialog verantwortlich. Der Dienstsitz des heute 48-jährigen Vaters von fünf Kindern werde in der US-Hauptstadt Washington sein, hieß es. Er befindet sich damit nah am Ort der Glyphosat-Krise, die Bayer so sehr in Bedrängnis bringt, wie es zuletzt Anfang des Jahrtausends die Todesfälle um den Cholesterinsenker Lipobay schafften.
Er wollte eigentlich noch im Hintergrund bleiben
Berninger habe eigentlich noch ein wenig im Hintergrund bleiben und sich einarbeiten wollen, die Vorgänge in Frankreich und wohl auch Deutschland hätten ihn dazu bewegt, sich doch zu äußern. Und das tut er in von Bayer ungewohnt deutlicher Weise: Monsantos Umgang mit Kritikern sei „komplett unangemessen. Dieser Umgang mit Journalisten, Politikern und Aktivisten ist nicht in Ordnung und nicht mit dem vereinbar, wofür das Unternehmen Bayer steht", sagte Berninger. Monsanto habe in der Vergangenheit immer wieder „nicht den Ball gespielt, sondern ist eher auf den Mann gegangen oder die Frau“.
Berninger lässt am Montag durchblicken, dass Bayer ihn bereits im Sommer 2018 anwarb – zu einem Zeitpunkt also, als klar wurde, dass die Monsanto-Übernahme nicht so sanft verlaufen würde, wie von Bayer-Chef Werner Baumann erhofft. Sein Arbeitgeber war im vergangenen Sommer noch der US-Konzern Mars, Hersteller von Schokoriegeln. Auch dort machte der Ex-Politiker ab 2007 Lobby-Arbeit.
Berninger wurde 1971 in Kassel geboren und studierte dort Chemie und Politikwissenschaft. 1994 zog er 23-jährig als damals jüngster Abgeordneter aller Zeiten für Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag ein. Sieben Jahre später wurde er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Auch dabei galt: Es gab nie einen Jüngeren in vergleichbarer Position. Angesichts seiner späteren Beschäftigung beim Süßwarenproduzenten Mars ist es besonders beachtlich, dass sich Berninger unter anderem mit der Frage der „globalen Übergewichtsepidemie“ beschäftigte.
Die Vorgeschichte hinderte Berninger nicht daran, vom Amt des hessischen Landesvorsitzenden der Grünen zurückzutreten und auch das Bundestagsmandat zurückzugeben, als Mars ihn lockte. Zuerst nach Brüssel zur EU, schließlich in die USA. Nach einem Jahrzehnt in dem Land besitzt Berninger neben der deutschen auch die US-amerikanische Staatbürgerschaft.
Fragwürdige Kampagne gestoppt
Und nun also Bayer, „weil“, nicht „obwohl“ Berninger Grüner ist, wie er sagt. Was er damit meine, wird er gefragt, und antwortet: „Das ist einfach: Es gibt kaum ein Unternehmen, das mit seinem Geschäft einen so starken Einfluss auf die Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele hat wie Bayer“. Berninger sagt, dass Bayers Produkte erheblich dazu beitragen könnten, die Welt zu ernähren und der Gesellschaft etwas Einzigartiges zu offerieren. „Ich bin davon überzeugt, dass es von Bayer noch sehr positive Überraschungen gibt“, sagt Berninger. „Wir werden in den nächsten Monaten wieder mehr darüber reden und unsere Arbeit stark auf operative Themen fokussieren“, fährt er fort, und weiß da noch nichts vom Zwei-Milliarden-Dollar-Urteil im Glyphosat-Prozess um das krebskranke Ehepaar. Erst rund neun Stunden später treffen die Geschworenen diese Entscheidung.
In den Monaten zuvor, noch während des Onboardings auf die neue Stelle, hat Bayers neuer Chef-Lobbyist eine Kampagne der irischen Agentur Red Flag gestoppt. Monsanto hatte die Agentur 2015 beauftragt, eine Bewegung loszutreten, bei der europaweit für die Unbedenklichkeit von Glyphosat geworben werden sollte. Berninger aber habe festgestellt, erzählt er am Montag, dass die Kampagne derart von Monsanto – er nennt den Konzern das „akquirierte Unternehmen“ – gesteuert gewesen sei, dass man nicht von einer Bewegung habe sprechen können. Die Existenz von Fake-Identitäten, mit denen online Stimmung für das Pflanzengift gemacht wurde, wollte der Bayer-Lobbyist nicht bestätigen. Aber: Die Kampagne sei „ein Paradebeispiel dafür, wie man nicht vorgeht“, sondern Schwierigkeiten erzeuge, „in öffentlichen Diskussionen mit Fakten durchzudringen“.
Wie Monsanto sich in der Vergangenheit verhalten habe, sei ein „No-Go“, wird Berninger noch einmal deutlich. Auch wenn die Zulassungsverlängerung von Glyphosat 2017 erfolgreich gewesen sei: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel“.
Wo aber ist die Linie zwischen angemessener Öffentlichkeitsarbeit und verwerflicher Lobby-Praxis? „Ich ziehe die Linie aus meiner eigenen Erfahrung“, sagt Berninger. Er habe als Politiker die EU-Tabak-Richtlinie umgesetzt „und zu spüren gekriegt, wie aggressive Taktiken aussehen können. Ich habe ein sehr gutes Gefühl dafür, was unakzeptabel ist“, sagt Berninger: „Wir müssen mit jeden Menschen so umgehen, dass wir am nächsten Morgen noch in den Spiegel gucken können. Ich suche mit jedem eine gemeinsame Position und ein Win-Win. Interessen ohne Rücksicht durchzusetzen, das macht Bayer nicht.“