Ingenieur zur Flut in NRW„An einigen Stellen ist das Bauen künftig zu riskant“

Lesezeit 5 Minuten
Überflutete Häuser in Erftstadt-Blessem

Überflutete Häuser in Erftstadt-Blessem

  • Heinrich Bökamp ist promovierter Prüfingenieur. Im Interview erklärt er, wieso es in einigen Gebieten praktisch unmöglich ist, Häuser vor einer Flutkatastrophe wie dieser zu schützen.
  • Wenn es um „normales“ Hochwasser geht, können Städte und Privatpersonen aber Vorkehrungen treffen – zum Beispiel, in dem sie nicht auf Steinvorgärten setzen.

Köln – Herr Bökamp, die Flutkatastrophe hat zehntausende Menschen schwer getroffen, viele Häuser wurden zerstört. Was bedeutet das für die Art, wie wir künftig bauen werden?

Wir müssen von der Natur lernen. Wir werden uns anschauen müssen, wo Bereiche liegen, an denen man nicht ohne Weiteres in die Landschaft eingreifen darf – zum Beispiel dort, wo durch entfernte Böschungen Erdrutsche entstehen können. An einigen Stellen ist das Bauen künftig einfach zu riskant.

Uns Ingenieure beschäftigt außerdem diese enorme Kraft des Wassers: Wir haben erlebt, dass sie so stark wird, dass wir die Standsicherheit eines Gebäudes nicht mehr mit normalen Mitteln sichern können. Ganze Häuser wurden einfach davongeschwemmt – das haben sich viele Menschen vorher gar nicht vorstellen können.

Alles zum Thema Hochwasser, Überschwemmung und Flut

Kam das auch für Sie überraschend?

In gewisser Weise schon. Wir erleben sehr selten Hochwasserereignisse, die mit so einer Wucht daherkommen. Meist läuft Wasser in die Keller, was natürlich auch zu Problemen führt, zum Beispiel in Form von Schimmel. Aber das Gebäude in seiner Substanz wird wenig beeinträchtigt, die Standsicherheit bleibt gewährleistet. Das war dieses Mal allerdings ganz anders. Der Druck, den die Wasserwelle zum Beispiel im Ahrtal ausgelöst hat, war massiv. Es ist praktisch unmöglich, genug Vorkehrungen zu treffen, um die Zerstörung von Gebäuden in so einer Situation zu verhindern.

Welche Schlüsse muss man daraus ziehen?

Wir können nicht mehr auf einzelne Gebäude schauen. Hier sind Stadtplaner gefragt, die entscheiden: Das hier sind Gebiete, in denen nicht mehr gebaut werden darf. Und das wird jetzt auch passieren. Denn niemand wird sagen, dass so eine Welle nie wieder kommt – weil das nicht stimmt.

Zur Person

Heinrich Bökamp_ Foto_Samuel_Becker

Heinrich Bökamp

Heinrich Bökamp ist promovierter Prüfingenieur für Baustatik und staatlich anerkannter Sachverständiger unter anderem für die Prüfung der Standsicherheit und Schall- und Wärmeschutz. Seit 2009 ist er Präsident der Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen. (elb)

Wichtig ist außerdem, Auffangflächen zu schaffen. In Mailand und München gibt es beispielsweise riesige Hohlräume im Boden, die bei starkem Regen eine Menge Wasser aufnehmen. Meistens können die Flüsse dann den Rest bewältigen. Es gibt auch Orte, an denen Fußballplätze tiefergelegt werden, damit sie bei Starkregen Wasser auffangen. Solche Maßnahmen sind extrem wichtig. Aber die wirklichen topografischen Verhältnisse lassen sich natürlich nicht ändern. Wir können ja nicht einfach einen Berg abtragen.

An welchen Orten reichen selbst Auffangflächen nicht mehr aus?

Wenn die topografischen Verhältnisse dazu führen, dass große Mengen Wasser über kleine Schluchten in voller Masse unten ins Tal fließen, haben Sie keine Chance. Gefährdet sind also Orte am Ausgang solcher Schluchten, zum Beispiel in den Weinbaugebieten in NRW. Ein wichtiger Faktor ist grundsätzlich auch steiles und fallendes Gelände, denn dort kommt das Wasser überhaupt in Bewegung.

Da hilft dann auch kein gefluteter Fußballplatz mehr?

Nein. Wir haben zuletzt Regenmengen von 200 Litern pro Quadratmeter erlebt. Das ist einfach nicht mehr beherrschbar.

Eine hundertprozentige Sicherheit wird es  nie geben. Allerdings wäre sie auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht realisierbar. Eine mittelalterliche Burg würde mit diesen Wassermassen wohl zurechtkommen – aber die können wir uns heute nicht leisten. Deshalb ist es so wichtig, dass wir präventiv agieren und sagen: Der Mensch darf nicht in diese gefährdeten Gebiete ziehen.

Sie sprachen eben schon den Unterschied zwischen der Flutwelle und normalem Hochwasser an. Was können wir für letzteres lernen?

Bei einem normalen Hochwasser ist das Problem, dass alles volläuft. Jede Stadt hat ein Kanalsystem, das sie auf Schwächen untersuchen muss. Die Leitungen laufen alle auf einen Knotenpunkt zu, ab dem es dann gemeinsam weitergeht. Eine häufige Schwierigkeit ist, dass der Knoten nicht leistungsfähig genug ist. Dann staut sich das Wasser zurück und flutet eine große Fläche.

Das könnte Sie auch interessieren:

Entscheidend sind außerdem auch hier die Speicherflächen. Sie sorgen dafür, dass große Regenmengen eben nicht bis zur Kläranlage gebracht werden müssen, sondern schon vorher abgefangen werden. Dadurch lässt sich sehr viel gewinnen. Die ersten Zentimeter verkraften wir – alles, was über die Bordsteinkante läuft, wird kritisch.

Was können Privatpersonen tun?

Wer Kellerlichtschächte hat, sollte sie abdichten. Sinnvoll und günstig ist außerdem eine Rückstauklappe im Keller, die eine Absicherung gegenüber dem Kanalsystem darstellt. Wenn die Klappe merkt, dass das Wasser von der falschen Seite kommt, schließt sie. Viele Menschen besitzen eine, wichtig ist aber auch, dass sie regelmäßig gewartet und gesäubert wird. Sonst funktioniert sie nicht.

Und abseits des Kellers?

Es kann sich anbieten, eine Bordsteinkante ums Gebäude zu ziehen, die auch noch einmal ein paar Zentimeter mehr Schutz bietet. Außerdem sollten die Menschen ihre Grundstücke nicht vollständig verpflastern, denn damit erleichtern sie dem Wasser den Weg ins Gebäude. Pflanzen halten dagegen Wasser auf und durch die Verwurzelung ist der Boden besser aufgelockert, sodass er Wasser aufnimmt. So etwas geht bei Steingärten verloren, das ist versiegelte Fläche.

Was halten Sie von den derzeitigen Diskussionen um verschärfte Gesetze?

In der Politik wird gerade viel Aktionismus betrieben: Was hätte man anders machen müssen, was muss ins Gesetz, wer hat versagt. Ich glaube, das nützt uns wenig. Es ist viel wichtiger, dass die Menschen ein persönliches Bewusstsein für die Gefahren bekommen, die sie umgeben. Dass sie genauer hinschauen. Durch den Klimawandel werden wir solche Überflutungen  häufiger erleben. Darauf muss jeder von uns vorbereitet sein.

KStA abonnieren