NRW-Wirschaftsministerin Mona Neubaur verteidigt im Interview ihren Plan, den Emissionshandel auch gegen den Willen vieler Basisgrüner reformieren zu wollen.
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur„Das schnürt unserer heimischen Industrie die Luft ab“

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) beim Interview mit dem „Kölner-Stadt-Anzeiger“.
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Frau Neubaur, die NRW-Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen, viele Industriearbeitsplätze drohen verloren zu gehen. Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, um der NRW-Wirtschaft zu helfen, welche wären das?
Zuallererst würde ich mir natürlich wünschen, dass wir global wieder zu einem fairen und wettbewerbsbasierten Regelsystem zurückfinden. Das würde schon viele Probleme lindern, liegt aber außerhalb meiner Einflusssphäre. Ganz konkret im Hier und Jetzt würde ich mir wünschen, dass die Entscheidungen in Brüssel schneller fallen, die Bundesregierung es schafft, die Lohnnebenkosten spürbar zu senken, und lieber heute als morgen Maßnahmen aufs Gleis setzt, die das Investitionsklima deutlich verbessern, um Klimaschutz zum erfolgreichen Geschäftsmodell zu machen.
Der erste Wunsch bezieht sich auf den Industriestrompreis und den Emissionshandel...
Ich fordere den Industriestrompreis, also eine Unterstützung der energieintensiven Branchen, schon seit Langem. Deshalb freue ich mich jetzt erstmal, dass sich Bundesministerin Reiche dem angeschlossen und die Einführung zum kommenden Jahr angekündigt hat. Er muss kontinuierlich entlasten, damit er Wirkung erzielt. Jetzt bin ich auf die konkrete Ausgestaltung gespannt. Zum Emissionshandel: NRW ist wahnsinnig stark im Anlagen- und Maschinenbau – und in der Chemieindustrie. Das muss so bleiben. Dafür brauchen wir aber die richtigen Rahmenbedingungen, und da sind wir nun mal maßgeblich auf Brüssel und Berlin angewiesen, endlich den funktionierenden Rahmen für Klimaschutz und Wettbewerb zu setzen.
Der Emissionshandel wurde als Klimaschutzinstrument eingeführt, um einen Anreiz für CO₂-Einsparungen zu setzen. Muss es angesichts der prekären Lage in der Industrie jetzt eine Neubewertung des Emissionshandels geben?
Der Zertifikatehandel ist im Grundansatz ein funktionierendes, marktwirtschaftliches Instrument, weil er der Wirtschaft Planungssicherheit bei der klimaneutralen Transformation gibt. Es ist aber Fakt, dass sich die internationalen Rahmenbedingungen so rasant verändert haben, dass wir den Weg flexibler gestalten müssen. Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs, die Zollpolitik der USA und die Billig-Konkurrenz aus China schnüren unserer heimischen Industrie die Luft ab. Hier muss Brüssel den Unternehmen in Europa einen wirksamen Schutz bieten. Und genauso ist es auch Brüssels Verantwortung, für einen wirksamen Außenhandelsschutz im Emissionshandel zu sorgen. Solange dieser aber noch nicht da ist, werbe ich für einen pragmatischeren Umgang – auf dem Weg, nicht beim Ziel. Bis der Carbon-Leakage-Schutz tatsächlich wirkungsvoll greift, braucht es weiterhin eine zielgenaue, freie Zuteilung der Zertifikate auch über 2026 hinaus.
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Die Grünen waren immer eifrige Befürworter des Zertifikatehandels. Wie erklären Sie der Grünen Basis Ihren Sinneswandel?
Es gibt bei mir keinen Sinneswandel, weil die Ziele dieselben bleiben. Emissionszertifikate sind auch weiterhin unsere Messlatte. Ein funktionierendes Handelssystem, das auch Im- und Exporte abbilden kann, bleibt das Ziel. Aber eine dermaßen unter Druck stehende Wirtschaft kann unmöglich auch noch Schlupflöcher im Außenschutz unseres Emissionshandels abfangen. Wenn wir nicht wollen, dass Europa im globalen Wettbewerb weiter abgehängt wird, müssen wir jetzt reagieren und Abhilfe schaffen, bis die Schlupflöcher geschlossen sind. Ich trage als Ministerin in Nordrhein-Westfalen Verantwortung für 18 Millionen Menschen. Der Blick auf die Realität ist für mich handlungsleitend. Wir werden die große Menschheitsaufgabe, ein wettbewerbsfähiges und klimaneutrales Europa zu erreichen, nur in einer Veränderungspartnerschaft mit der Industrie schaffen und nicht gegen sie.
Auch beim Kohleausstieg läuft es nicht alles wie geplant. Ist das Ausstiegsdatum 2030 überhaupt noch zu halten?
Es ist im Kohleausstiegsgesetz festgehalten, dass 2026 überprüft wird, wie weit wir sind und dann entschieden wird. In den vergangenen Jahren wurde in Berlin leider viel Zeit verloren. Ich will nicht mit dem Finger auf andere zeigen, aber es war immer klar, dass auch der Bund seinen Teil beitragen muss – das hat er bis heute nicht in ausreichendem Maße getan. Uns liegt zum Beispiel immer noch keine Kraftwerksstrategie aus Berlin vor. Die Ergebnisse aus dem letzten Koalitionsausschuss geben da nur erste Hinweise – es fehlen die finale Einigung mit der EU-Kommission und entsprechende Gesetzesvorlagen. Die braucht es, um wasserstofffähige Gaskraftwerke hier bei uns zu bauen, die wir für die Versorgungssicherheit nach dem Kohleausstieg dringend benötigen. Um die verlorene Zeit wieder aufzuholen, sind wir dabei, die Genehmigungsverfahren für diese Kraftwerkstypen zu verkürzen. Das kann zum Aufholen reichen. Ich will aber nicht um den heißen Brei herumreden, wir müssen jetzt in den Sprint gehen. Und das bezieht die Bundesregierung ausdrücklich mit ein.
Das Rheinische Revier soll sich in einen blau-grüne Landschaft mit Seen und Landwirtschaft verwandeln. Obwohl davon bislang wenig zu bemerken ist, stehen aus dem Transformationsfonds von Bund und Land hohe Summen für Tourismusförderung zu Verfügung. Was soll das?
Es geht ja nicht darum, für Bootstouren auf Seen zu werben, die es noch gar nicht gibt. Das Rheinische Revier kann zeigen, wie man den Wandel gestaltet. Es liegt in einer Perlenkette von Metropolen im Rheinland – Aachen, Düsseldorf, Köln, Mönchengladbach– und ist daher touristisch sehr attraktiv zu vermarkten. Und wenn ich mit den Menschen im Revier spreche, dann ist spürbar, dass der Blick nach vorne geht. Die Region hat sich dazu mit einem eigenen Tourismuskonzept auch viele Gedanken gemacht. Darüber hinaus stärken wir die Beteiligung mit einem Bürgerrat. Der Aufbruch ist spürbar und dazu gehört auch das Versprechen für mehr Lebensqualität. Dafür tragen wir Verantwortung und daran arbeiten wir gemeinsam mit den Akteuren vor Ort.

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur im Gespräch mit Gerald Selch, Chefredaktuer des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Copyright: Arton Krasniqi
Auch im Revier sollen wegfallenden Industriearbeitsplätze durch Jobs im Dienstleistungssektor kompensiert werden. Glauben Sie daran, dass ein Braunkohle-Baggerführer von RWE eine Umschulung zum Arzthelfer machen möchte?
Die wichtigste Botschaft ist doch: Wir brauchen jede und jeden. Alle Potenziale, die wir heben können, müssen wir heben – und zwar für alle Qualifikationsstufen. Die Ausgangsbedingungen im Revier sind dafür gut, denn der Anteil von Fachkräften mit zwei- bis dreijähriger Berufserfahrung ist hier überdurchschnittlich. Aber ich nehme auch ausdrücklich die Arbeitgeber in die Pflicht, die ihren Teil der Verantwortung tragen müssen. Ausschließlich Anreize zu schaffen, früh in Rente zu gehen, ist da zu wenig. Qualifizierung ist eine Chance und muss raus aus Klischee und Nische.
Halten Sie Warnungen, dass NRW sich wieder an hohe Arbeitslosenzahlen gewöhnen muss, für falsch?
Der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen hält sich stabiler als im Bundesvergleich. Der Wandel in der Industrie erfordert allerdings auch zunehmend die Bereitschaft zu einer gewissen Mobilität und Flexibilität. Also, dass Arbeitnehmer, die heute von Bornheim nach Wesseling fahren, künftig vielleicht bereit sein müssen, von Bornheim nach Leverkusen zu fahren. Und dort möglicherweise einer etwas anderen Tätigkeit nachgehen. In dem Job und bei dem Arbeitgeber in Rente zu gehen, der am Anfang des Berufslebens stand, wird auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft eher die Ausnahme sein.
Der Trend, Industriejobs durch mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungsgewerbe zu ersetzen, bedeutet Einnahmeverlusten bei der Gewerbesteuer. Geraten die Kommunen in eine Abwärtsspirale?
Das würde ich so pauschal nicht behaupten. Der Dienstleistungssektor ist ja nicht automatisch als Steuerzahler für die Kommunen unattraktiver. Nehmen Sie die SMS-Group in Mönchengladbach. Das ist ein Dienstleister im Bereich von Anlagen- und Maschinenplanung mit Ingenieurskönnen. Da sind vom technischen Zeichner bis zum promovierten Elektrotechniker alle Berufsgruppen dabei.
