Ausstellung in KölnWas Sie über Picasso noch nicht wussten

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Köln – Frau Friedrich, im Jahr 1944 trat Pablo Picasso der Kommunistischen Partei in Frankreich bei. Trotzdem galt er stets als herausragender Vertreter künstlerischer Freiheit und westlicher Werte. Hat sich der Westen seinen Picasso in die Tasche gelogen?

Julia Friedrich: Man kann jedenfalls feststellen, dass das Wissen über seine Mitgliedschaft im Westen nicht sehr verbreitet war - und weiterhin nicht ist. Wenn es damals wahrgenommen wurde, hat man es belächelt. Sein politisches Engagement ist nicht ernst genommen worden.

Wie ernst war es Picasso denn mit dem Engagement für den Kommunismus? Er hat sich an vielen Kampagnen beteiligt und praktisch alle Aufträge angenommen, die an ihn herangetragen wurden. Er hat Stalin zu dessen Geburtstag porträtiert, die Rosenbergs und Yuri Gagarin gezeichnet, er hat Plakate für die kommunistischen Friedenskongresse geschaffen und diese Kongresse besucht, obwohl er höchst ungern reiste. Außerdem hat er aus eigenem Antrieb wichtige politische Werke geschaffen, etwa das „Massaker in Korea“, das wir in unserer Ausstellung zeigen, oder das monumentale Doppelgemälde „Krieg und Frieden“, mit dem er die Kapelle von Vallauris in einen Tempel des Friedens verwandeln wollte.

Allerdings geht ein Tempel des Friedens nicht unbedingt mit einem Stalin-Porträt zusammen. In der Nachkriegswelt schon, für Picasso und andere Kommunisten. Picasso hat sich in diesen Jahren vor allem mit der sozialistischen Friedensbewegung identifiziert und dafür mit der Friedenstaube das Symbol schlechthin geschaffen. Das Motiv wählte zwar der Dichter Louis Aragon aus, aber Picasso war damit einverstanden und hat die Friedenstaube danach immer wieder und für alle erdenklichen Anlässe variiert. Er hatte übrigens einen eigenen Taubenschlag auf dem Balkon.

In der Ausstellung untersuchen sie, wie Picasso in der DDR und in der BRD wahrgenommen wurde. Wo lagen die Unterschiede? Zunächst kann man sagen, dass Picasso für beide Seiten eine unglaublich große Bedeutung hatte. In der DDR wurde um das Picasso-Bild gerungen, etwa in der Formalismus-Debatte. Die Frage, welche Aufgabe Kunst in der sozialistischen Gesellschaft haben soll, wurde maßgeblich an seinem Werk diskutiert. Dabei ging man vom Publikum aus, seinen vermeintlichen Bedürfnissen. Ein Vorwurf war, die Betrachter könnten Picassos ungegenständliche Werke nicht auf sich beziehen. Im Westen hingegen fragte man nach dem Künstler. Was will Picasso ausdrücken? Was schafft, was schöpft er da wie am Fließband? Ein Geniekult, der den Künstler von gewöhnlichen Menschen abhob. Picassos politische Seite passte da nicht ins Bild. Sie rückte erst nach 1968 in den Blick.

Das Museum Ludwig ist mit einer riesigen Picasso-Sammlung gesegnet. Weniger bekannt ist wohl, dass Peter Ludwig auch viele Picasso-Werke in die DDR ausgeliehen hat. Wie kam es dazu? Peter Ludwig war einer der ersten westdeutschen Unternehmer, die unter dem sogenannten Gestattungsvertrag in der DDR produzierten. Da ging es um ein Kakaogetränk namens Trinkfix. Er hat die geschäftlichen Beziehungen genutzt, um Kontakte zum staatlichen Kunsthandel der DDR zu knüpfen. Teile seiner Sammlung wollte er in der DDR zeigen und im Gegenzug Werke von DDR-Künstlern erwerben. Das ging dann sehr schnell: 1977 lieh er Werke an die Nationalgalerie aus, unter anderem Picassos große graphische Zyklen, die heute zu unserer Sammlung gehören. In den 80er Jahren tourte diese Auswahl durch mehrere Städte Ostdeutschlands. Die DDR, muss man dazu sagen, besaß kaum eigene Picasso-Arbeiten, das war ein wesentlicher Unterschied zum Westen.

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Ganz unumstritten war Picasso auch im Westen nicht. Sie zeigen ein Bild, das in den frühen 50er Jahren in einer Kölner Ausstellung beschädigt wurde. Was war der Grund dafür? Wir haben dazu Leserbriefe ausgewertet. In denen geht es weniger um Picassos Politik. Man sagt, das sei doch keine Kunst, auch der Begriff „entartet“ fällt. Außerdem wird die Verschwendung von Steuergeld beklagt und dass bei der Anschaffung von Kunstwerken der Wille des Volkes ignoriert wird. Aber es gab auch positive Stimmen.

Wann schlägt das in Zustimmung um? Im Jahr 1955 gab es in Köln eine riesige Picasso-Retrospektive, in der auch „Guernica“ zu sehen war. Die war ein großer Publikumserfolg, und man hat dann schnell verstanden, dass man mit Picasso die Werte des Westens propagieren und popularisieren kann. Picasso wurde zur Marke.

Julia Friedrich, Kuratorin am Kölner Museum Ludwig

Julia Friedrich, Kuratorin am Kölner Museum Ludwig

War sich Picasso bewusst, dass er von beiden Systemen für deren Zwecke eingespannt wurde? Das war ihm wohl ebenso bewusst wie allen anderen Beteiligten. Man sieht, dass Picasso seine politischen Arbeiten sehr gerne gemacht hat und er sich in den Dienst einer Sache stellen wollte, von der er überzeugt war. Aber er hat im Westen gelebt und hat sicherlich gewusst, was seine Arbeit in der westlichen Hemisphäre bedeutet. Er war, wie er selbst sagte, ein politisches Wesen und hat dies nicht von seiner Kunst getrennt. Damit verstieß er gegen die weit verbreitete westliche Kunstauffassung, nach der politische Kunst keine gute Kunst sein kann. 

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