StadtspaziergangGentleman zeigt sein Köln

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Stadtsparziergang mit Reggae-Star Gentleman durch sein Köln.

Stadtsparziergang mit Reggae-Star Gentleman durch sein Köln.

Köln – Wenn er sich die jüngsten Bilder der Geschehnisse vom Tahrir-Platz in Kairo anschaut, kommen Gentleman Erinnerungen an vergangenes Jahr. Da hatte Deutschlands bekanntester Reggae-Sänger in Ägyptens Acht-Millionen-Metropole mit seiner Band ein Konzert gespielt. „Hinterher waren wir auf dem Tahrir-Platz“, erzählt er. „Es war nach der Revolution, aber noch vor der Wahl, ein Ort, an dem gerade Geschichte geschrieben wurde.“ Sie hätten die Stimmen der Nachrichtensprecher vor Ort aufgenommen, damit beginnt nun das Lied „Another Drama“ auf Gentlemans neuem Album „New Day Dawn“. „Diese Stimmung vom Aufbruch war für mich unheimlich inspirierend“, sagt der Sänger. „Umso ernüchternder ist nun die Erkenntnis: Demokratie braucht einfach Zeit.“

Den Gedanken hängt Gentleman nach, als er am Rodenkirchener Strand sitzt. Ein Frachter tuckert stromabwärts vorüber, löst Wellen aus, die sanft über den Kies am Ufer fließen. Das schreckt dennoch die Enten auf, die eben noch geschlafen hatten, sie schnattern. „Guck mal“, bemerkt Gentleman, lacht und schiebt sich die schwarze Schirmmütze aus der Stirn, „jetzt sind sie wach!“

Der Platz am Leinpfad im Süden der Stadt gehört zu seinen liebsten Orten in Köln. „Es gibt mir ein Gefühl von Urlaub, wenn ich hier sitze“, beschreibt er. Mit Ehefrau Tamika und Sohn Samuel kommt er wochenends schon mal mit einer Picknickdecke zum Frühstücken her. „Wenn ich mal mit einem Text nicht weiterweiß, schnappe ich mir mein Fahrrad, setze mich hierhin, und beim Blick auf den Rhein fließen die Ideen wieder; wie der Fluss.“

Vor 38 Jahren war Gentleman nach Köln gezogen. In Osnabrück kam er zur Welt als Tilmann Otto, ein Jahr später erhielt sein Vater eine Pfarrstelle in der selbstständigen evangelisch-lutherischen Kirche an der Ulrepforte. Also zog die Familie her. Gentleman wuchs auf in der Südstadt. Die erste eigene Wohnung hatte er an der Fleischmengergasse, gleich um die Ecke vom Neumarkt. „Das war im Zivildienst“, erinnert er sich. „Eine tolle Zeit. Ich hab’ für die Arbeiterwohlfahrt in Nippes gearbeitet, bin für Omas einkaufen gegangen, hab’ mein erstes eigenes Geld verdient und hatte mittags um eins immer Feierabend.“ Was auf den Zivildienst folgte, war Existenzangst.

„Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte“, beschreibt Gentleman. Er jobbte zwar im Petit Prince Club am Hohenzollernring: „Da hab ich die Aschenbecher ausgeleert, bis ich mich zum Barkeeper hochgearbeitet hatte.“ Aber was sollte er sonst mit seinem Leben anstellen? Vom Kaiserin-Augusta-Gymnasium im Severinsviertel war er geflogen, vom Hansa-Gymnasium am Hansaring auch: „Ich war nicht ganz einfach damals“, sagt er. Das Humboldt-Gymnasium in der Südstadt verließ er von sich aus in der Elften.

Jamaika-Rum und Reissdorf-Kölsch

Immerhin: An den Poller Wiesen hatte er begonnen, sich einen Namen zu machen als DJ. 1992 war das. „Mit Freunden habe ich damals Boxen und einen Generator gemietet, das haben wir in einem VW-Bus zur Südbrücke gekarrt.“ Die Anlage schlossen sie jedes zweite Wochenende an, legten Vinylplatten von jamaikanischen Reggae-Größen dazu auf. Die B-Seiten waren ohne Gesang, „den haben wir uns selbst gemacht“. Es waren Gentlemans erste Auftritte. Die Freunde grillten dazu, tranken Jamaika-Rum und Reissdorf-Kölsch. „Guck mal“, ruft Gentleman plötzlich, grinst und deutet auf ein Fünf-Liter-Fass, das in den Brennnesseln vorm Brückenpfeiler liegt, „hier liegen die Reste von damals!“

Als er mal wieder eigene Texte zu B-Seiten sang, hörte ihn bei einem Auftritt in Stuttgart Ende der 1990er Max Herre. Der Hip-Hopper lud das Kölner Talent ein ins Studio, mit Freundeskreis arbeitete er an „Tabula rasa“, suchte noch die sogenannte Hookline, die Textzeile, die ein Lied zum Ohrwurm macht. Gentleman improvisierte sie, der Song kam auf Platz 13 der Charts, zum Dank nahmen sie ihn mit auf Festivals. Dort fiel Gentleman den Fantastischen Vier auf, sie nahmen ihn unter Vertrag, veröffentlichten 1999 sein erstes Album „Trodin On“.

„Ich hatte wahnsinniges Glück damals“, sagt er. „Ich konnte nicht ahnen, dass ich mal von der Musik leben könnte.“ Heute tourt er rund um die Welt damit – durch Europa, Südamerika, den Nahen Osten, für 2014 plant er Auftritte in Afrika. Im Studio daheim in Hahnwald, spielt er die Musik für neue Songs ein, die Texte dazu nimmt er auf in Jamaika. Er ist längst ein musikalischer Weltenbummler.

Und seine Heimat ist Köln. „Hier ist meine Basis, mit der Stadt bin ich tief verwurzelt“, betont er. „Ich mag die Mentalität der Rheinländer, ich kann mit ihnen lachen, weiß schnell, woran ich bin.“ Klar, dass da Konzerte in Köln etwas Besonderes für ihn seien. Im Basement am Friesenplatz war er 1993 zum ersten Mal mit einer Band aufgetreten, das 20-jährige Bühnenjubiläum feiert er im Dezember im Mülheimer Palladium. Und wenn er am Samstag auf dem Summerjam-Festival am Fühlinger See auftritt, denkt er an die Zeit zurück, als er selbst noch Besucher war auf Europas größtem Reggae-Festival. Damals wartete er auf die Auftritte der jamaikanischen Stars, heute lockt er selbst die Massen.

Aber an diesem Wochenende wird ein Zuschauer im Publikum fehlen: Christopher Otto. Gentlemans vier Jahre älterer Bruder, habe einen privaten Termin, entschuldigt er sich, als sich die Geschwister im Wicleff an der Ehrenfelder Lenaustraße mit einer Umarmung begrüßen. Das Restaurant führt Otto seit 14 Jahren mit Csaba Hajdu. „Fünf, sechs Mal pro Jahr haben wir hier Familientreffen“, erzählt Gentleman. „Das ist der Ort, an dem wir zusammenkommen.“ Und an dem Gentleman dann von Erlebnissen wie denen auf dem Tahrir-Platz erzählt.

www.gentleman-music.com

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