Gaza-KonfliktIsrael bleibt stur

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Israels Ministerpräsident Netanjahu beim Besuch eines Soldaten, der bei Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte verletzt worden war. (Bild: dpa)

Israels Ministerpräsident Netanjahu beim Besuch eines Soldaten, der bei Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte verletzt worden war. (Bild: dpa)

TEL AVIV/BERLIN - Zwei Tage nach dem blutigen Angriff aufdie Gaza-Hilfsflotte hat Israel am Mittwoch alle ausländischenAktivisten wieder freigelassen. Die Gefängnisbehörde teilte mit, 632internationalen Häftlinge seien entlassen worden und auf dem Heimweg.Nach Angaben des Auswärtigen Amts in Berlin konnten auch die letztenfünf festgehaltenen Bundesbürger das Gefängnis im israelischenBeerscheva verlassen. Ein verletzter Deutscher, der im Krankenhausbehandelt worden war, wurde ebenfalls entlassen. IsraelsMinisterpräsident Benjamin Netanjahu verteidigte den Einsatz, bei demam Montag mindestens neun Aktivisten getötet worden waren, und wiesalle Kritik aus dem Ausland als "scheinheilig" zurück.

   Den Organisatoren der Gaza-Solidaritätsflotte sei es in ersterLinie darum gegangen, die Seeblockade vor dem Gazastreifen zubrechen, und nicht Hilfsgüter zu liefern, sagte Netanjahu in einerRede an die Nation. "Wäre die Blockade gebrochen worden, wäreDutzende oder Hunderte weitere Schiffe gekommen und hätten Waffengebracht", sagte er. "Deshalb ist es unser Recht und unsere Pflichtgemäß dem gesunden Menschenverstand und internationalem Recht, solcheWaffenlieferung nach Gaza zu verhindern; sei es zu See, zu Land oderaus der Luft."

Unterdessen reißt die Kritik an dem Einsatz nicht ab: Nachanfänglichem Zögern sprach sich auch US-Präsident Barack Obama ineinem Telefonat mit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip füreine glaubwürdige, unparteiische und transparente Untersuchung aus.Erdogan verlangte eine Aufhebung der israelischen Blockade desGazastreifens. Das türkische Parlament forderte Erdogan auf, diepolitischen, wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu Israelauf den Prüfstand zu stellen und Maßnahmen gegen Israel zu ergreifen.Drei der sechs Schiffe der Hilfsflotte fuhren unter türkischerFlagge, mehrere hundert Türken waren an Bord.

   Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kritisierte das Verhaltender israelischen Behörden. Das Auswärtige Amt und die DeutscheBotschaft in Tel Aviv hätten sich nach den "bestürzenden Ereignissen"intensiv um Zugang zu den festgehaltenen Deutschen bemüht, schrieb eran den Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi. Trotzdem sei mannicht vorgelassen worden. Westerwelle geht davon aus, dass die"dramatischen Ereignisse" auch im Bundestag zur Sprache kommen.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes befanden sich am Mittwochabenddrei der noch sechs in Israel verbliebenen Deutschen auf demFlughafen Ben Gurion bei Tel Aviv. Drei weitere, darunter einverletzter 42-Jähriger aus Nordrhein-Westfalen, seien auf dem Wegdorthin. "Für alle wird eine baldige Ausreise angestrebt", sagte einSprecher.

   Der UN-Menschenrechtsrat will den israelischen Einsatz von eineminternationalen Ermittlungsteam aufklären lassen. 32 der 47Mitgliedsländer des UN-Gremiums in Genf stimmten am Mittwoch für dieEntsendung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Die USA,Norwegen und Italien waren dagegen. Neun Länder, darunter auchweitere EU-Mitglieder, enthielten sich. In der Resolution wird Israelfür sein Vorgehen gegen den Hilfskonvoi verurteilt.

  Israelische Sicherheitskräfte brachten die meisten freigelassenenAusländer am Mittwoch mit Bussen zum Flughafen Ben Gurion. Mehr als100 weitere Aktivisten, vor allem Muslime aus Ländern, mit denenIsrael keine diplomatischen Beziehungen hat, wurden über die Grenzenach Jordanien abgeschoben. Rund 50 Aktivisten hatten Israel schon amMontag freiwillig verlassen. 

   Mit der Freilassung der Aktivisten gelangen auch immer mehrAugenzeugenberichte zu dem blutigen Einsatz an die Öffentlichkeit.Ein an der Aktion beteiligter pakistanischer TV-Journalist erhobschwere Vorwürfe: Demnach sollen die Soldaten bei der Erstürmung dersechs Schiffe Aktivisten teils direkt in den Kopf geschossen haben.Der freigelassene schwedische Krimi-Autor Henning Mankell bezeichneteden Angriff als "Seeräuberei und Kidnapping".

   Der Jüdische Weltkongress bezeichnete die Gaza-Aktivisten dagegenals "Lynchmörder" ("lynch mob"). Sie hätten die israelischen Soldatenmit Eisenstangen und anderen potenziell tödlichen Waffen angegriffenund damit die Konfrontation auf hoher See heraufbeschworen, heißt esin einer am Mittwoch in New York veröffentlichten Erklärung.

Unterdessen hält ein irisches Schiff mit Hilfsgütern weiter Kursauf den Gazastreifen. Die "Rachel Corrie" war wegen technischerProbleme hinter der "Solidaritätsflotte" zurückgeblieben. IrlandsAußenminister Michael Martin forderte die israelische Regierung amMittwoch auf, das Schiff nicht zu blockieren.

Israel begann am Mittwoch damit, die ersten Hilfsgüter derSolidaritätsflotte in den Gazastreifen zu bringen. Ein Armeesprechersagte, dass zehn Lastwagen unter anderem Medikamente, Nahrungsmittel,Rollstühle und Kinderspielzeug zum Grenzübergang Kerem Schalomgebracht hätten. Obama bekräftigte, es müssten bessere Wege für dieLieferung von Hilfsgütern gefunden werden, ohne dass dabei dieSicherheit Israels gefährdet werde. (dpa)

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