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1945 - Kriegsende in Köln„Die Stadt liegt wie ausgestorben da“

Lesezeit 5 Minuten

Blick über die zerstörte Kirche St. Kolumba zum Dom: Die Kölner Innenstadt liegt zu 90 Prozent in Schutt und Asche.

Köln – „Einige Minuten vor 6 Uhr stehe ich in der Sakristei von St. Andreas, da krachen gleichzeitig mehrere Bomben, dann heftiger Bordwaffenbeschuss, der in unsere unmittelbare Nähe am Bahnhof zielte.“ Es ist der erste Weihnachtstag des Jahres 1944, als Robert Grosche, Pfarrer von St. Mariä Himmelfahrt und seit Dezember 1943 Stadtdechant, diese Zeilen niederschreibt. „Das beeinträchtigte natürlich den Besuch der Bischofsmesse um 8 Uhr in St. Maria im Kapitol – trotzdem war der Besuch gut. Der Erzbischof war sichtlich erfreut, unter seinen Kölnern zu sein.“

Erzbischof Josef Frings, der seit geraumer Zeit in Bad Honnef residiert, hat es sich nicht nehmen lassen, trotz pausenloser alliierter Fliegerangriffe nach Köln zu kommen – in eine total zerstörte Stadt.

Tagebucheinträge von damals

Robert Grosche hat Anfang 1944 begonnen, Tagebuch zu führen; seine Aufzeichnungen sind besonders für das letzte Kriegshalbjahr eine immens wertvolle Quelle – Grosche ist Augenzeuge der Agonie, in die Köln nach den schweren Luftangriffen im Herbst 1944 verfällt. Am 27. September notiert er mit scheinbarer Distanz: „Gegen halb elf zuerst öffentliche Luftwarnung, dann Fliegeralarm. Wir können gerade noch in den Keller des Pfarrhauses gehen, weil man sogleich die heranbrausenden Maschinen hört und heftiger Flakbeschuss einsetzt. Kaum sind wir im Keller, da setzt der Strom aus, dann hören wir mächtiges Rattern und einen Einschlag, offenbar ein Bombenteppich.“

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262-mal, so oft wie keine andere deutsche Stadt, war Köln Ziel alliierter Bomber. Der erste Angriff wurde am 13. Mai 1940 registriert; am 31. Mai 1942 erlebten die Kölner den sogenannten „1000-Bomberangriff“. Der schlimmste Angriff des Jahres 1943 erfolgte am 29. Juni, am Peter- und Paul-Tag, bei dem mehr als 4000 Menschen ums Leben kamen. Im Herbst 1944 flogen die Amerikaner eine ganze Serie von Angriffen, in deren Verlauf Köln endgültig in eine Trümmerwüste verwandelt wurde. Schätzungsweise 20000 Kölner fanden im Bombenkrieg den Tod. (cd)

Als der Angriff vorbei ist, wagt sich Grosche nach draußen. „Alles ist in Nebel gehüllt. Ich gehe zum Kolpinghaus, ich finde Prälat Hürth auf einer Bank liegend, er ist auf dem Weg zum Luftschutzkeller durch eine einschlagende Tür getötet worden. Schrecklich zugerichtet ist die Apostelnkirche, bei der das nördliche Seitenschiff völlig weggerissen und die Kuppel eingestürzt ist. Die Verwüstungen in der Stadt sind schrecklich, die Straßen völlig unbrauchbar. Auch viele Bahnstrecken sind zum Teil getroffen.“

Im September 1944 haben amerikanische Streitkräfte den Raum Aachen eingenommen, Köln mit seinen Verschiebebahnhöfen wird nun zum bevorzugtem Ziel der 8. US Air Force, der Angriff vom 27. September ist nur der Auftakt zu einer Serie von Luftschlägen, in denen bis Ende Oktober annähernd 4000 Bomber – unter dem Schutz von etwa 2000 Jagdflugzeugen – gegen Köln eingesetzt werden. Am 14. Oktober wird die Mülheimer Brücke durch einen Zufallstreffer zum Einsturz gebracht. „Es ist der bisher schwerste Angriff, in der Messe brannte das Lager für Gefangene ab, und am Abend sahen wir den traurigen Zug der Gefangenen in Holzpantinen, von Polizei mit Karabinern begleitet, zu ihrem neuen Gefängnis in Müngersdorf wandern“, notiert Heinz Pettenberg, Redakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, in sein Tagebuch.

Kölner werden „Höhlenbewohnern“

Im Inferno der Bombenangriffe dieser Tage sterben schätzungsweise 3600 Menschen, zugleich setzt eine neue Evakuierungswelle ein, Ende 1944 leben nur noch rund 170.000 Menschen in der Stadt. Diejenigen, die bleiben, kommen nicht mehr aus den Luftschutzkellern heraus. Die Kölner werden zu „Höhlenbewohnern“, ihre Situation wird immer trostloser, das Leben in den Trümmern immer chaotischer. Die Versorgung mit Lebensmitteln wird von Tag zu Tag problematischer, Infrastruktur und öffentliches Leben sind zusammengebrochen. Das Kanalnetz ist defekt, Abwässer versickern im Boden, es besteht Seuchengefahr.

Auf Anordnung der Gauleitung sind bereits am 1. Oktober die Schulen geschlossen worden, auch die Kölner Universität stellt ihren Lehrbetrieb ein. Angesichts der näher rückenden Front haben die Nazis Köln zur „Festungsstadt“ erklärt. Und Reichspropagandaminister Josef Goebbels, der am 4. Oktober 1944 einen Rüstungsbetrieb in Köln besucht, richtet beschwörende Durchhalteappelle an die Arbeiter.

Der Schweizer Konsul Franz-Rudolf von Weiss fährt am Abend des 10. November durch die südwestlichen Kölner Stadtteile, die er als „vollständig ausgebombt“ beschreibt: „Auch hier kann ich kein einziges Haus sehen, dass bewohnbar ist. Von Zeit zu Zeit sehe ich aus einem Kellerloch eine Menschengestalt auftauchen. Ich entdecke eine Metzgerei, die wohl von über 400 Menschen belagert wird, die versuchen, etwas Fleisch zu ergattern. Hier und da beobachte ich einige alte Frauen, die mühsam einen Eimer Wasser nach Hause schleppen. Überall brennen noch Häuser. Während die Stadt wie ausgestorben daliegt, sieht man auf den Ausfallstraßen Tausende Menschen mit Handkoffern und Paketen, die zu Fuß unterwegs sind, um aus dieser Stadt des Grauens zu entfliehen.“ Am 15. November 1944 schreibt Christa Lehmacher aus Klettenberg an ihren Bruder Robert, der in Berlin arbeitet: „Wie es in unserem Köln aussieht, davon kannst Du Dir keinen Begriff machen. Es steht jetzt wirklich gar nichts mehr, es gibt kein Wasser mehr, kein Licht, kein Gas. Köln ist eine tote Stadt.“

Christmetten in zerstörten Kirchen

Weihnachten 1944: Das traurigste Weihnachtsfest, das Köln je erlebt hat. Durch die Ardennenoffensive ist der Krieg im Westen noch einmal hinausgezögert worden. Einige wenige Christmetten werden in den Krypten der zerstörten Kirchen abgehalten, aber keine Glocke läutet über Köln. Selbst am Heiligen Abend fliegen die Amerikaner weitere Luftangriffe.

Robert Grosche, der die verbliebenen Geistlichen im November aufgefordert hat, Köln nicht zu verlassen („die Stadt soll nicht sterben, wir wollen ihr betender Mund sein“), predigt an diesem 24. Dezember vor wenigen Gottesdienstbesuchern zum Thema „Heute sollt Ihr wissen, dass der Herr kommt“: „Das Heute aber wird zum ganzen Weltentag, an dem wir wissen, dass der Herr kommt, uns zu erlösen, an diesem Weltentag voller Angst und Sorge, voller Not und Bedrängnis. Und morgen ist der Tag der Ewigkeit, an dem die Herrlichkeit Gottes aufstrahlt.“ Grosches Eintrag zum Heiligen Abend endet so: „Die Messe konnten wir, zwar etwas unruhig und eilig, doch zu Ende bringen. Aber nachher gab es wieder Alarm und einen heftigen Angriff. Wir hörten eine Menge Bomben fallen.“