500.000 Euro SchuldenPriester greift in Gemeindekasse – Erzbistum Köln hilft aus

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Woelki verkniffen

Kardinal Rainer Woelki

Köln – Wenn es in der Bibel ein Wort gibt, das Rainer Woelki im Umgang mit Menschen verinnerlicht hat, dann ist es Matthäus 12,30: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich.“ Die Konsequenzen dieses Führungsprinzips musste zuletzt derjenige erfahren, der bislang wie kein Zweiter auf der Seite des Kölner Erzbischofs gestanden hatte.

Nämlich Generalvikar Markus Hofmann. Ob Missbrauchsskandal, Bistumsreformen oder Kritik jeglicher Art am Kardinal: Immer war es der 54-Jährige, über die „Priestergesellschaft vom Heiligen Kreuz“ dem „Opus Dei“ verbunden, der für Woelki ins Feuer ging.

Schicksal besiegelt

Doch dann, so erzählen es hochrangige Kirchenleute, traf sich das Domkapitel um das Ende von Woelkis Beurlaubung herum zu einer gemeinsamen Sitzung mit dem Kardinal.* Teilnehmer berichteten anschließend, in dieser Runde habe Hofmann zu Woelki gesagt, es wäre besser, er käme nicht zurück. Hofmann bestreitet, sich so geäußert zu haben. Er sei sich seiner Erinnerung sehr sicher. Auch andere Teilnehmer hätten ihm aus deren eigener Erinnerung bestätigt, „dass ich eine solche Aussage nicht geäußert habe“.  

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Ungeachtet dessen machte der Satz in der Umgebung des Doms die Runde. Und am 1. April zogen all jene, die davon gehört hatten, eine direkte Verbindungslinie zur Nachricht dieses Tages: Fast genau einen Monat nach Wiederaufnahme der Amtsgeschäfte gab Woelki Hofmanns Ablösung zum Sommer bekannt. Einen Nachfolger benannte er zunächst nicht – genau wie er es 2018 bei der abrupten Trennung von Hofmanns Vorgänger Dominik Meiering gehandhabt hatte.

Wie „Die Firma“, Band 2

In gut sieben Jahren unter Woelki haben alle, die näher mit ihm zu tun haben oder an führender Stelle im Erzbistum tätig sind, diese Lektion gelernt: Wer nicht spurt, lebt gefährlich. Angstgesteuert, verbittert oder resigniert – so beschreiben Insider die Stimmung in der Leitungsriege des immer noch mitgliederstärksten deutschen Bistums. Einer wird noch drastischer: „Wir sind in einer verrotteten, verkommenen, kaputtgewirtschafteten Organisation mit Günstlingswirtschaft, in der keiner dem anderen traut. John Grisham könnte daraus einen Roman machen: ‚Die Firma‘ Band 2.“

Mit einer Mischung aus Entgeisterung und Entsetzen führen sie als weiteres prominentes Beispiel für Woelkis Regiment die brüske Entlassung des früheren Mediendirektors Markus Günther im Dezember 2020 an. Auch der war Woelki nach nur knapp zwei Jahren im Amt nicht mehr genehm.

NeuFinanzstroeme-Priester

Beim Stopp eines ersten Missbrauchsgutachtens, dem Bruch mit der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl und der Beauftragung einer Ersatzstudie soll der ehemalige Journalist zum Beispiel nicht so gewollt haben, wie das Drehbuch einer PR-Agentur es Woelki empfahl. Spätestens da seien Woelki und sein Mediendirektor geschiedene Leute gewesen. Und Hofmann, so erinnert sich einer aus der Führungscrew des Erzbistums, hatte als Generalvikar die Trennung zu organisieren, „aber natürlich mit weiterlaufenden Bezügen, bis heute.“

Schuldenberg von einer halben Million Euro

Gar nicht so lange vorher musste Hofmann dem Kardinal noch ein anderes Problem vom Hals schaffen. Ein Priester des Erzbistums, er soll hier Siegfried L. heißen, hatte einen horrenden Schuldenberg in Höhe von fast einer halben Million Euro angehäuft. Mit genau 493.697,82 Euro beziffert ihn das Erzbistum auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Noch in den letzten Amtsjahren von Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner, wandte L. sich hilfesuchend an seinen Erzbischof. Der Mann sei völlig am Boden gewesen, habe nicht mehr ein noch aus gewusst, wissen Insider zu berichten und schildern L. als psychisch schwer angeschlagen.

Dass der Geistliche unter anderem durch Glücksspiel in finanzielle Schieflage geraten sein soll, wollte das Erzbistum nicht bestätigen. Nachdem es eine Frage zur Art der Verbindlichkeiten zunächst offengelassen und in einem zweiten Schritt eine Stellungnahme „aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes“ abgelehnt hatte, teilte es dazu ergänzend mit, es lägen „keinerlei Erkenntnisse“ vor, dass es sich „um ‚Spielschulden‘ handelt“.

Kopfschütteln bei Beteiligten

Bei Verfahrensbeteiligten löst diese Auskunft Kopfschütteln aus: „Das war aber genau das, was die Bistumsleitung kommuniziert und glauben gemacht hat.“ In allen Diskussionen sei später – vielleicht untechnisch - dieser Begriff verwendet worden: Spielschulden. Überdies sei in Krisensitzungen zur Bewältigung des Problems aber auch noch die Rede von weiteren, mindestens so dubiosen Kanälen gewesen, in denen L. das viele Geld versenkt haben soll.

Für Meisner jedenfalls stand schon 2011/12 fest: Dem Manne muss geholfen werden. Eine Privatinsolvenz als nahe liegender Weg zur Entschuldung kam für den Kardinal – aus welchen Gründen auch immer – bei einem Priester nicht in Frage. Aber auch eine andere Konstruktion wie zum Beispiel ein Darlehnsvertrag, in dem L. sich dem Bistum gegenüber zum Abstottern seiner Schulden verpflichtet hätte, kam damals nicht zustande. Mit gravierenden finanziellen Folgen für das Erzbistum, wie sich Jahre später herausstellen sollte.

Ein reiner Akt der Fürsorge

Die Unterstützung des Priesters L. in einer „völlig außergewöhnlichen persönlichen Notlage“ sei ein reiner Akt der Fürsorge gewesen, betonte Bistumssprecher Jürgen Kleikamp unter anderem in ARD-„Tagesschau“, die den Fall aufgriff. In einer ersten Auskunft an den „Kölner Stadt-Anzeiger“ spricht das Erzbistum indes auch von „Rücksicht auf das Gemeindeleben“, von „Verbindlichkeiten unter anderem gegenüber einer Kirchengemeinde“ und von „Unregelmäßigkeiten“ – ein Wort, das vom Erzbistum in letzter Zeit häufig dann verwendet wird, wenn es um einen fragwürdigen Umgang mit Geld geht.

Bistumssprecher bestätigt Griff in die Gemeindekasse

Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ stellt sich der Fall des Priesters L. so dar, dass der Geistliche an zwei Stellen, an denen er tätig war, in die Gemeindekasse gegriffen und Geld in erheblichem Umfang abgezweigt hatte. Das bestätigt Bistumssprecher Kleikamp ausdrücklich. Auch soll Geld, das Gemeindemitglieder dem Geistlichen für Pilgerfahrten anvertraut hatten, nicht beim Reiseveranstalter angekommen sein. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass Kleikamp auf die Sorge sowohl Meisners als auch seines Nachfolgers um den Gemeindefrieden abhebt.

Für Kardinal Meisner war es ein klarer Fall: Ein Priester, der an die Kirchenkasse geht, Geld unterschlägt, das finanzielle Fundament seiner Gemeinden erschüttert und den Gemeindefrieden gefährdet – das darf erstens nicht sein und zweitens schon gar nicht herauskommen.

„Brüder im Nebel“

„Erinnert Sie das an etwas?“, fragt ein Insider, macht eine Kunstpause und fügt hinzu: „Brüder im Nebel.“ Das ist der Name der Geheimakte, in der Meisner Unterlagen zu Missbrauchstätern im Klerus aufbewahrte. Meisner habe auf den Fall des verschuldeten Priesters L. dieselbe Maxime angewandt, mit der er auch sexuellen Missbrauch durch Priester gehandhabt habe: verschweigen, verdecken, vertuschen.

Die Schuldentilgung erfolgte dann in der Verantwortung seines Nachfolgers Rainer Woelki. Zwischen Juli 2015 und Juni 2016 beglich das Erzbistum nach eigenen Angaben L.s Schuld in fünf Tranchen – „weitgehend durch eine mit der Schuldenverwaltung beauftragte Stelle eines Sozialverbands“, erklärt das Bistum. Dahinter verbirgt sich nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ die kirchliche Schuldnerberatung, wie Caritas und SkM sie vorhalten.

Sonderfonds zur Verfügung des Erzbischofs

Das Geld wurde dem sogenannten BB-Fonds „für besondere Bedürfnisse“ entnommen, einem Sondervermögen zur alleinigen Verfügung des Erzbischofs. Dieser Fonds, ab 1952 unter Kardinal Josef Frings vor allem aus Pflichtabgaben des Klerus gebildet und über die Jahre auf weit mehr als 20 Millionen Euro gewachsen, soll bis in die 2010er Jahre praktisch nicht angetastet worden sein. Im Gegenteil: Jahr für Jahr flossen dem Fonds Zinserträge zu und mehrten so das Anlagevermögen.

Dann aber wurde eben dieser Fonds für die Entschädigung von Missbrauchsopfern ausersehen. So konnte das Erzbistum die Zusage einlösen, dafür kein Geld aus Kirchensteuern zu verwenden. Einmal geöffnet, bot sich der Topf in den Folgejahren auch zur Finanzierung weiterer Vorhaben des Erzbischofs an – mit dem Ergebnis, dass das Volumen allein im Jahr 2020 von 26,3 Millionen auf 16,8 Millionen schwand. Ein Umstand, der die Aufsichtsgremien des Bistums dann doch in Unruhe versetzte. Es gab kritische Nachfragen.

Schwund von fast zehn Millionen Euro

Wofür genau Woelki 2020 die insgesamt fast zehn Millionen verwendete, ist unklar. Und ob die Ausgaben mit Zustimmung der Aufsichts- und Kontrollgremien hätten erfolgen müssen, ist derzeit in mindestens einigen Fällen fraglich. Im Fall der Schuldentilgung für Priester L. bestreitet das Erzbistum eine Verletzung rechtlicher Bestimmungen, ohne dies nach außen zu erläutern. Das universale Kirchenrecht und ergänzende Partikularnormen der Deutschen Bischofskonferenz verlangen unmissverständlich, dass eine Übernahme fremder Verbindlichkeiten zu genehmigen ist. Ein Widerspruch, dem die Fachleute des Erzbistums allein mit dem Hinweis zu begegnen wissen: „Unsere Rechtsauffassung halten wir für gut begründet und valide.“

Hektische Betriebsamkeit

Mit den 500.000 Euro war es für das Erzbistum allerdings längst noch nicht getan. Um das Ende der 2010er Jahre herum fiel auf, dass die Zuwendung an L. hätte als Lohn behandelt und versteuert werden müssen. Das löste bei führenden Funktionären des Erzbistums – unter ihnen Generalvikar Hofmann und Finanzdirektor Gordon Sobbeck – hektische Betriebsamkeit aus. Man kam mit Wissen des Kardinals überein, Selbstanzeige beim Finanzamt zu erstatten.

Die Behörde setzte die Nachzahlung auf 650.000 Euro an, bestehend aus der Steuerschuld selbst nebst Säumniszuschlägen und – wie Verfahrensbeteiligte berichten – einer Strafzahlung von 100.000 Euro, mit der das Erzbistum ein Steuerverfahren vermieden haben soll. Das Erzbistum nahm zu diesem Punkt nicht Stellung. Die Steuerschuld, so stellt es die Pressestelle dar, sei „aus dem laufenden Etat des Erzbistums beglichen“ worden. Das heißt vor allem eines: Hierfür wurden Kirchensteuermittel verwendet.

Kennern verschlägt es die Sprache

Und wieder verschlägt es Kennern des Vorgangs für einen Moment lang die Sprache. Doch dann gehen sie ins Detail: Der Personalhaushalt des Erzbistums sei – unter anderem wegen des fortschreitenden Priestermangels – notorisch überplant. Das heißt: Es sind Mittel für unbesetzte Priesterstellen budgetiert, die ein ums andere Jahr nicht abgerufen werden. Deshalb ließen sich selbst Riesentransaktionen wie die 650.000 Euro Steuerschulden ans Finanzamt erst einmal ohne größeres Aufsehen abwickeln. Ob das vorbei an den Gremien rechtens war, darüber lässt sich wiederum trefflich streiten. Es hätte „mindestens eine moralische Informationspflicht“ gegeben, davon ist ein Experte aus dem Erzbistum überzeugt. „Wenn ich Mitglied im Vermögensrat wäre, käme ich mir komplett veräppelt vor.“

Ein Mitglied der engeren Kirchenleitung versichert seinerseits, dass in keiner einzigen Sitzung des Erzbischöflichen Rats oder der Personalkonferenz auch nur ein Sterbenswörtchen über den Fehlbetrag gefallen sei, der sich für das Erzbistum summa summarum auf 1,15 Millionen Euro beläuft.

Windungsreiche Wege der Verbuchung

Als besonders windungsreich erwiesen sich dann die weiteren Wege, wie die Steuerschuld intern behandelt wurde. Nach der Zahlung an das Finanzamt verbuchte man die Summe im Etat für das Seelsorge-Personal zunächst bei einem „Mandanten BB-Fonds“ und nicht etwa beim Priester L. als Verursacher. Damit wurde also erst einmal der BB-Fonds mit der Summe belastet.

Bei der Erstellung des Jahresabschlusses sei dann aber eine „korrigierende Umbuchung“ erfolgt, teilte das Erzbistum am Montag auf Anfrage mit, und zwar zulasten des Personaletats für die „pastoralen Dienste“. Es sei „ausgeschlossen, dass der BB-Fonds letztlich den Steuer- und Zinsaufwand getragen hat“. Dem Sondervermögen seien ausschließlich die Mittel zur Schuldentilgung belastet worden. Vorgänge dieser Art, so Kenner der Materie, bedürfen sämtlich der Zustimmung von ganz oben. Insbesondere müsse die Erstbuchung auf den BB-Fonds nach den strengen Regularien der Verwaltung mit Wissen von Generalvikar und Finanzdirektor erfolgt sein.

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Dass dann am Ende ein und derselbe Vorgang – nämlich die Aufwendungen für Priester L. – mal aus dem Sondertopf des Erzbischofs, mal aus Kirchensteuern bezahlt wurden, wirkt mindestens merkwürdig.

Von den 1,15 Millionen Euro für Priester L. sei „kein Cent“ verwendet worden, „der für die Zahlung von Leistungen an Betroffene von sexualisierter Gewalt vorgesehen war und ist“. Das sei „wichtig festzuhalten“, so das Erzbistum. Und es betont, die für die Entschädigungen gebildeten Rückstellungen im BB-Fonds existierten „weiterhin in voller Höhe“. Angegeben werden sie vom Bistum mit sechs Millionen Euro. Ausgegeben davon war bis Ende 2021 die Gesamtsumme von 1,5 Millionen.

*Dieser und der folgende Absatz wurden gegenüber der Ursprungsfassung verändert.

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