Berufe am RheinZoologe Becker untersucht die Wollhandkrabbe im Rhein

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Köln – Die Eroberer kamen aus Ostasien in den 1920er Jahren an den Rhein. Die Chinesische Wollhandkrabbe wird bis zu 30 Zentimeter groß, hat einheimische Arten wie den Europäischen Flusskrebs längst verdrängt und wird für Schäden in Millionenhöhe in Wasserwirtschaft und Fischerei verantwortlich gemacht.

Georg Becker sichtet einen Fangkorb.

Georg Becker sichtet einen Fangkorb.

Die Tiere beschädigen Deiche, indem sie Wohnröhren hineingraben, schneiden mit ihren scharfen Mundwerkzeugen Netze, Angelleinen und Reusen durch und verletzen so manchen Fisch. Dennoch ist Georg Becker, stellvertretender Leiter der Ökologischen Rheinstation, fasziniert von den Tieren. Aber dazu später mehr.

Die Ökologische Rheinstation ist das Bootshaus der Universität Köln, das am Bayenthaler Rheinufer vor Anker liegt. Fünf Wissenschaftler und mehrere Studenten forschen auf dem Bootshaus zur Lebensgemeinschaft des Rheins. Herzstück des 60 Meter langen und elf Meter breiten Bootshauses sind Labors mit Fließwasserrinnen, durch die Rheinwasser geleitet wird. In diesen Rinnen bestehen somit naturnahe Lebensbedingungen für Muscheln, Krebse, Wasserinsekten und andere Wasserorganismen, die man in der Hochschule so nicht nachahmen könnte.

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Becker ist Fließwasser-Experte

Proben können auch aus zwei 3,5 Meter langen Außenrinnen entnommen werden, die sich auf einem Floß hinter dem Bootshaus befinden. Man sieht Becker dort knien und seine Proben begutachten. Zahlreiche Schlickkrebse, Borstenwürmer, Schnecken und eine Quaggamuschel hat er heute aus dem Wasser geholt.

Becker (64), weißer Bart, Brille und kariertes Hemd, erinnert ein wenig an einen versierten Schiffskapitän und kann viel über das Leben am und im Rhein erzählen. Schon als Kind lebte er in der Nähe der Mülheimer Clemenskirche – in einer Wohnung mit Rheinblick. Seitdem hat der Fluss ihn nicht mehr losgelassen. Becker studierte in Köln Zoologie, schrieb seine Diplomarbeit über Stechmücken, kehrte zur Promotion über Köcherfliegen an den Fluss zurück.

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Als Fließwasser-Experte arbeitete er lange am Max-Planck-Institut im hessischen Schlitz, wo er die Tierwelt des Breitenbachs unter die Lupe nahm. Bevor die Max-Planck-Gesellschaft das Institut 2006 schloss, kam Becker zurück nach Köln – an das Bootshaus der Universität. „Die Forschungsbedingungen auf der Ökologischen Rheinstation sind einmalig in Deutschland und Europa, wahrscheinlich sogar weltweit“, sagt er.

Rhein regeneriert sich seit den 70ern

Vermutlich ist das Bootshaus auch einer der schönsten Arbeitsplätze in der Stadt. Ruhig strömt das Rheinwasser am Bootshaus vorbei. Viel Zeit, auf den Fluss zu schauen, hat Wissenschaftler Becker freilich nicht. Weitere Proben müssen entnommen und begutachtet, Ergebnisse dokumentiert werden. Hinzu kommt viel Verwaltungsarbeit, bevor er nachmittags in der Universität weitere Aufgaben erledigt. Und manchmal führt er Schüler und Gästegruppen über die Forschungsstation, die meist genauso gebannt sind von der Tierwelt des Rheins wie er. Denn Becker kann Geschichten erzählen.

Vom Rhein, der bis in die 1970er Jahre immer schmutziger wurde, bis die meisten Tierarten verschwunden waren, der sich heute aber wieder regeneriert hat. Von Lachsen, die Probleme haben, geeignete, sauerstoffreiche Laichplätze in den Nebenflüssen des Rheins zu finden. Von Zuckmücken, die zur Paarungszeit Schwärme von Millionen von Tieren bilden können. Vom Maifisch, der 1930 im Rhein ausgestorben war und langsam wieder angesiedelt wird. Und natürlich von der Wollhandkrabbe, die in Süß- wie Salzwasser zurechtkommt, jahrelang im Rhein heranwächst. Dabei wandert sie viele hundert Kilometer flussaufwärts und zur Fortpflanzung dieselbe Strecke bis in die Nordsee zurück, da sich die Jungkrebse nur im Salzwasser entwickeln können. Im Rhein vertilgen Wollhandkrabben meist Tiere wie Muscheln, Insekten und tote Fische, weil es zu wenige Pflanzen gibt.

Wie die Wollhandkrabbe sind heute 95 Prozent der größeren wirbellosen Fluss-Tiere des Rheins Einwanderer. Sie stammen ursprünglich aus unterschiedlichen Regionen wie dem Schwarzen Meer, Nordamerika oder Ostasien, von wo sie meist per Schiff in den Rhein gelangten. „Die Engländer nennen sie »Aliens«“, sagt Becker – und für manche heimische Art waren die Neuankömmlinge ähnlich vernichtend wie die Weltraummonster. So haben amerikanische Flusskrebse die europäischen Arten zur Strecke gebracht, weil sie eine gefährliche Krankheit, die Krebspest, mitbrachten, gegen die die heimischen Tiere nicht gewappnet waren. Der Große Höckerflohkrebs kommt aus dem Donaudelta und frisst nun kleinere Arten im Rhein weg.

Spezialgebiet Muscheln

Als Ökologe sieht er den Wechsel des Tierbestandes eher pragmatisch. „Ich finde es problematisch, dass einheimische Arten von einwandernden Arten verdrängt werden. Aber es ergeben sich dabei sehr interessante Fragen. Zum Beispiel: Welche Anpassungen machen Einwanderer im Rhein so erfolgreich?“ Zu Beckers Spezialgebieten gehören die Muscheln. 600 Millionen Jahre gibt es die Schalentiere schon auf der Erde, manche von ihnen werden bis zu 120 Jahre alt. Auch die kleine Körbchenmuschel ist ein Einwanderer, der sich im Rhein pudelwohl fühlt und daher zahlreich vorhanden ist. Sie filtert so viele Nährstoffe aus dem Wasser, dass für einheimische Arten kaum etwas übrig bleibt.

Die Arbeit geht Becker und seinem Team auf dem Bootshaus nicht aus. Vieles ist zur rheinischen Flusswelt noch unbekannt und wartet auf Erforschung: Wie wird sich die Klimaerwärmung auf den Fluss auswirken? Welchen Einfluss haben die zahlreichen Plastikpartikel im Rhein auf die Rheinorganismen? Wie verändert sich die Ökologie des Rheins mit der Ankunft weiterer Einwanderer?

Eine gute Nachricht hat der Zoologe Becker aber zum Abschluss: Die Fische im Rhein kann man längst wieder essen. Mit Ausnahme des Aals, der mit Dioxinen belastet ist.

rheinstation.uni-koeln.de

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