Deportation von 75.000 Juden„Nazi-Jägerin“ spricht über Verhaftung von NS-Verbrecher

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Diskussionsrunde mit Beate Klarsfeld im NS-Dokumentationszentrum.

Köln – Als Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Paris war Kurt Lischka einer der Hauptverantwortlichen für die Deportation von rund 75.000 französischen Juden in die Vernichtungslager. Trotzdem blieb er nach dem Krieg ungeschoren, führte in Köln, wo er 1940 Leiter der Gestapo-Zentrale gewesen war, eine unauffällige bürgerliche Existenz – bis ihm doch noch der Prozess gemacht wurde.

Ohne die Initiative der „Nazi-Jäger“ Beate und Serge Klarsfeld wäre es nicht dazu gekommen. Am Sonntag war Beate Klarsfeld auf Einladung des Vereins EL-DE-Haus zu Gast im NS-Dokumenationszentrum, das neben der Synagogen-Gemeinde Köln Mitveranstalter war, und sprach mit WDR-Moderator Georg Restle über ihr Engagement. Auf den Tag genau war es 43 Jahre her, dass am Kölner Landgericht der Prozess gegen Lischka und seine früheren Mitarbeiter Herbert M. Hagen und Ernst Heinrichsohn begonnen hatte.

„Europäische Ikonen der Unbeugsamkeit, der Unbestechlichkeit und der gesellschaftlichen Wahrheit“

Die deutsch-französische Journalistin und ihr Ehemann, ein französischer Rechtsanwalt und Historiker aus jüdischer Familie, seien „europäische Ikonen der Unbeugsamkeit, der Unbestechlichkeit und der gesellschaftlichen Wahrheit“, sagte Bürgermeister Andreas Wolter. Einer breiten Öffentlichkeit wurde Beate Klarsfeld im November 1968 buchstäblich mit einem Schlag bekannt: Auf dem CDU-Parteitag in Berlin gab sie Bundeskanzler Kiesinger wegen dessen Nazi-Vergangenheit eine Ohrfeige.

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Beate Klarsfeld sprach mit Moderator Georg Restle über ihr Engagement.

Noch am selben Tag sei sie zu einem Jahr Haft verurteilt worden, erzählte sie, und die Springer-Presse habe geschäumt. „In Frankreich und Israel war ich sehr angesehen, in Deutschland die Nestbeschmutzerin.“ Später wurde die Strafe verringert und zur Bewährung ausgesetzt. Anfang der 70er Jahre wurden die Klarsfelds auf Lischka aufmerksam, trugen Dokumente zusammen und fanden heraus, dass er in Holweide wohnte.

Lischka wurde von Überleitungsvertrag geschützt

Das Problem: Lischka, 1950 von einem französischen Militärgericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, war vom Überleitungsvertrag geschützt, der festlegte, dass von alliierten Gerichten verurteilte Personen in der BRD nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden durften. Und als deutscher Staatsbürger konnte er nicht an Frankreich ausgeliefert werden; Es hätte gegen das Grundgesetz verstoßen.

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Also versuchten die Klarfelds, Lischka zu entführen. Zwar scheiterte das Vorhaben, doch Beate Klarsfeld informierte die Presse darüber; so war für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Als die Deutsch-Französin wegen des Entführungsversuchs zu zwei Monaten Freiheitsentzug verurteilt wurde, hagelte es Proteste vor allem aus Israel und Frankreich. 1974 verabschiedete der Bundestag ein Zusatzabkommen, das als „Lex Klarsfeld“ bekannt wurde und den Weg zum Prozess freimachte.

Auch Klaus Barbie wurde durch Initiative von Beate und Serge Klarsfeld gefasst

Freilich sollte es noch Jahre dauern, bis die Anklageschrift fertig war. Im Februar 1980 wurden Lischka und seine früheren Mitarbeiter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Zu den weiteren NS-Tätern, die auf Initiative des Ehepaars gefasst wurden, gehört Klaus Barbie, 1987 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. Gebannt hörte das Publikum zu, als Beate Klarsfeld schilderte, wie sie den „Schlächter von Lyon“ in Südamerika aufstöberte.

Ehepaar engagiert sich bis heute gegen Antisemitismus

Bis heute engagieren sich die 83-Jährige und ihr ein Jahr älterer Ehemann für das Wachhalten der Erinnerung an die NS-Verbrechen, gegen Antisemitismus und Extremismus. Ob die Deutschen „zurecht stolz auf die Erinnerungskultur und die Aufarbeitung“ der NS-Zeit seien, wollte Restle von ihr wissen.

„Ich glaube, sie können stolz darauf sein“, antwortete sie und wies unter anderem auf Gedenkstätten und die Arbeit an Schulen hin. Auf das Erstarken des Nationalismus in Europa angesprochen, zeigte sie sich besorgt, dass „viele Leute nicht wählen gehen“. Statt danach die „schlechten Ergebnisse“ zu bedauern, gelte: „Man muss sich engagieren.“

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