„Digitaler Zwilling“Drohnen erspähen Schäden am Kölner Dom, bevor sie da sind

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Drohnen vor dem Kölner Dom.

Köln – Ein 700 Jahre altes Bauwerk steht für Beständigkeit, für Tradition und Geschichte. Innovation und moderne Technik werden in diesem Zusammenhang eher selten genannt. In Bezug auf die Digitalisierung des Kölner Domes sind diese Begriffe jedoch mehr als angebracht. Denn es ist davon auszugehen, dass es sich um die am besten digitalisierte Kirche der Welt handelt.

„Wir haben zumindest niemanden gefunden, der ähnliches in ähnlicher Skalierung und Größe macht. Selbst bei Notre-Dame in Paris liegen keine digitalen Modelldaten vor, die mit unseren zu vergleichen sind“, sagt Patrick Reschke, einer der beiden Geschäftsführer der Firma „Northdocks“.

Wovon Reschke so schwärmt, ist der sogenannte „digitale Zwilling“, ein 3D-Modell des Doms (hier können Sie erstmals öffentlich das Ergebnis sehen). Es ermöglicht eine Begutachtung des gesamten Bauwerkes und von Steinen, die seit 150 Jahren oder länger niemand mehr gesehen hat.

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Kölner Dom: Der „digitale Zwilling“ besteht aus 20.000 Fotos

Seit 2019 erstellen Mitarbeiter von „Northdocks“ Drohnen-Fotos und -Videos des Gebäudes. In Summe ergeben diese 20.000 Einzelbilder der sogenannten „Photogrammetrie“-Methode dann ein maßstabsgetreues, dreidimensionales Modell des Kölner Domes.

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Screenshot vom „Digitalen Zwilling“ des Kölner Domes.

Rund sechs Millionen Menschen besuchen die Kathedrale jeden Tag. Noch mehr tummeln sich um die Kirche herum. Für die Mitarbeitenden der Dombauhütte bedeutet das eine enorme Verantwortung. Daher wird der Dom kontinuierlich begutachtet und zu erwartende Schäden werden notiert.

Aufgrund der Größe und Zugänglichkeit ist dies jedoch nicht an jeder Stelle in gleichem Maße möglich. Anhand des 3D-Plans können die Handwerker nun das gesamte Bauwerk begutachten und Restaurierungsarbeiten planen, bevor überhaupt ein Gerüst aufgebaut oder sich ein Kletterer die Stelle aus der Nähe ansehen muss. Dank der Drohnenaufnahmen können Schäden am Dom also identifiziert werden, wenn sich diese optisch erst andeuten und noch nicht wirklich etwas kaputt ist.

„Wusstet ihr, dass der Dom schief ist?“

Anhand der Daten haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „Northdocks“ sogar einen kleinen Knick in der Mitte des Domes gefunden. Das Bauwerk ist an einer Stelle also schief. Zwischen Chor und dem Langhaus der Kathedrale dreht das Gebäude um 0,49 Grad nach Süden.

„Wir haben dann die Mitarbeiter der Dombauhütte gefragt: Wusstet ihr, dass der Dom schief ist? Und ja, sie wussten es bereits“, erzählt Reschke. Bisher war es aber lediglich eine historische Anekdote. Den gotischen Baumeistern ist bei der Ausrichtung der Westtürme auf den östlichen Teil des Chores ein Fehler unterlaufen. Die preußischen Ingenieure korrigierten das bei der Fertigstellung im 19. Jahrhundert dann zumindest leicht.

„Wir haben die Möglichkeit jedes Staubkorn zu finden“, sagt Reschke. Drohnensysteme, die sich aufgrund technischen Fortschrittes jährlich ändern, werden dazu manuell bis zu zwei Meter nah an den Dom herangeflogen.

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Patrick Reschke mit Drohne im Dom.

Spiegellose Kameras, die an einem Multicopter befestigt sind, schießen dann im Halb-Sekunden-Takt Fotos. So können zum Beispiel Risse in der Bausubstanz erkannt oder Stellen eingesehen werden, die seit 150 Jahren nicht mehr begutachtet wurden. Was früher Menschen in 100 Meter Höhe auf Gerüsten oder an Kletterseilen bewerkstelligten, kann heute bequem vom Schreibtisch aus erledigt werden.

Vor allem zu Corona- und Lockdown-Zeiten eine überaus praktsiche Lösung. Mittels Virtual-Reality-Brille und Tablet konnten trotz Ausgangssperre zum Beispiel Messungen am Bauwerk oder im Inneren des Domes vorgenommen werden. Der Sandstein, aus dem die Kathedrale erbaut wurde, sei dafür ein unheimlich dankbares Baumaterial.

Glas würde beispielsweise spiegeln, Metall reflektieren. Für die Kameralinse ein Problem. Das gilt auch für die Lichtverhältnisse insgesamt. „Ideales Wetter ist für uns kein strahlender Sonnenschein, sondern eine hoch hängende, relativ dünne Wolkendecke“, sagt Reschke.

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Blick auf die Fernbedienung der Drohne.

Die Drohnen können markierte Punkte autark immer wieder anfliegen und Stellen aufzeichnen, der digitale Zwilling wird so fortlaufend aktualisiert. Die Arbeiten, zumindest die manuellen Befliegungen, sollen noch bis mindestens 2025 andauern. Im Anschluss soll die Erfassung in autonome Arbeitsprozesse übergehen. Gekostet hat das Projekt bisher rund 30.000 Euro, finanziert wurde es vom Zentral-Dombau-Verein.

Darüber hinaus werden auch Arbeiten in anderen Bereichen des Doms digitalisiert. So erleichtern Apps die tägliche Organisation der Dombauhütte und QR-Codes halten Informationen für Besucherinnen und Besucher bereit.

Dombauhütte: Digitale Arbeitsprozesse ermöglichen 1:1-Kopien

Auch in der alltäglichen Restaurierungsarbeit der Dombauhütte konnten Prozesse mithilfe der Digitalisierung vereinfacht werden. Dank elektronischer Pläne haben die Mitarbeiter beispielsweise frühzeitig einen Überblick der zu erwartenden Arbeiten. Des Weiteren können 1-zu-1-Kopien von Figuren, die sich am oder im Dom befinden, anhand digitaler Skizzen mit einem 3-D-Drucker erstellt werden. Diese dienen dann als Vorlage für die Arbeit am Naturstein.

Darüber hinaus kann die Vorarbeit präzisiert werden. So mussten zum Beispiel zwei Engelsfiguren, die sich in 100 Metern Höhe am Nordturm befinden, aufgrund starker Witterungsschäden ersetzt werden. Dazu wurden sie anhand eines 3-D-Scanners erfasst und die Daten an einen französischen Steinbruch geschickt.

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Patrick Reschke im Inneren des Domes.

Dieser konnte dann die Kalksteinblöcke bis auf fünf Zentimeter genau vorfräsen. Für die Bildhauer in Köln eine enorme Arbeitserleichterung. Sie sparen sich so das aufwendige und anstrengende Abspitzen der Rohblöcke und können das Gestein direkt weiterverarbeiten.

Inzwischen ist auch die gesamte Logistik der Baustelle digital erfasst. So kann via App zum Beispiel der Weg eines Steins verfolgt, Wartungstermine der Maschinen genau geplant und der Materialbestand eingesehen werden.

Kölner dom: Augmented-Reality-Führung im Chor

Anlässlich des 700. Geburtstages der Weihe des Domchores haben sich Mitarbeitende des Dom-Forums ebenfalls etwas Besonderes einfallen lassen: Augmented-Reality-Führungen durch das Innere des Kölner Domes. Ein Tablet dient dabei als Tor in die mittelalterliche Kathedrale.

Wird dieses zum Beispiel in Richtung eines Kirchenfensters gehalten, sehen Besucherinnen und Besucher die Stelle im Dom so, wie diese vor mehr als 700 Jahren ausgesehen hat. So kann das Gebäude zeitgleich im Hier und Heute und im Mittelalter erkundet werden.

Viele Details, die auf dem Tablet zu sehen sind, wurden über Skizzen oder Berichte übermittelt. Dabei wird deutlich, wie bunt das Mittelalter im Gestalten des Kirchenbaus war.

Aus musealen Gründen ist der Dom auf dem Tablet menschenleer. Im Mittelalter war der Bau jedoch Anlaufpunkt für die gesamte Bevölkerung. Vor allem der Altar war wohl meist menschenumringt.

Social Media und QR-Codes

Darüber hinaus ist das Weltkulturerbe Kölner Dom mit Facebook, Instagram und Youtube auf gängigen Social-Media-Plattformen vertreten. In Zeiten der Corona-Pandemie konnten Gläubige außerdem über die Homepage ein Gebet per Nachricht mitteilen und eine Kerze von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Kirche anzünden lassen. Über die Website können außerdem die aktuelle Temperatur im Inneren und die Windverhältnisse am Bauwerk eingesehen werden.

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Beim Besuch des Kölner Domes können Informationen über QR-Codes auf dem Smartphone gelesen werden. Seit August 2020 kann sogar via EC- oder Kreditkarte für den Unterhalt der Kathedrale gespendet werden. Der Kontoauszug gilt hier als Spendenquittung für das Finanzamt. Den klassischen Klingelbeutel gibt es aber auch noch.

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