Erzbistum KölnMissbrauchsberichte vor Gericht

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Das Oberlandesgericht am Reichensperger Platz in Köln. In einem brisanten Prozess um Missbrauchsvorwürfe gegen einen Priester will das Gericht nun ein mutmaßliches Opfer als Zeugen hören. (Archivbild)

Das Oberlandesgericht am Reichensperger Platz in Köln. In einem brisanten Prozess um Missbrauchsvorwürfe gegen einen Priester will das Gericht nun ein mutmaßliches Opfer als Zeugen hören. (Archivbild)

In einem brisanten Prozess um Missbrauchsvorwürfe gegen einen von Kardinal Rainer Woelki beförderten Priester will das Oberlandesgericht Köln ein mutmaßliches Opfer als Zeugen hören. 

In einem Presserechtsstreit über die Veröffentlichung von Missbrauchsvorwürfen gegen einen Priester des Erzbistums Köln, den Kardinal Rainer Woelki 2017 in ein leitendes Amt beförderte, befasst sich das Oberlandesgericht (OLG) Köln an diesem Donnerstag mit der Schilderung eines mutmaßlichen Betroffenen. Nach Ansicht von Juristen, die mit dem Verfahren vertraut sind, ist das eine Wende im Prozess.

Der Fall ist nicht zuletzt deshalb brisant, weil auch Kardinal Woelki gegen die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung geklagt hat. Hier geht es im Wesentlichen um Woelkis Kenntnisstand zu den Vorwürfen gegen den Priester und bestimmten Unterlagen hierüber. Woelki hat hierzu eidesstattliche Versicherungen abgegeben sowie vor Gericht unter Eid ausgesagt. Er habe zum Zeitpunkt der Beförderung nur von unbewiesenen Gerüchten gehört und sogar bis 2023 die einschlägigen Dokumente nicht gesehen. Wegen des Verdachts falscher Angaben ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Köln. Woelki beteuert die Stichhaltigkeit seiner Aussagen.

„Bild“-Zeitung hat Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts Köln eingelegt

Die „Bild“-Zeitung hat Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts Köln eingelegt, das im Juni 2022 eine Reihe von Aussagen über den Geistlichen verbot. Unter anderem sollte die Zeitung nicht mehr schreiben dürfen, dass es in der Kaplanszeit des Geistlichen in einer Pfarrgemeinde des Erzbistums Saunabesuche, Alkohol, Masturbationen und das Vorspielen von Pornofilmen im Zusammenhang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegeben haben soll. Vorwürfe, die von dem betroffenen Priester bestritten werden. Für ihre Darstellung bezog sich die „Bild“ auf Unterlagen des Erzbistums.

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Das Landgericht erachtete es in seinem Urteil vom 8. Juni 2022 nicht für notwendig, Zeugen zu hören. Es sei der „Bild“-Zeitung als Beklagter nicht gelungen sei, „ein über bloße Vermutungen und Andeutungen hinausgehendes und dem Beweis zugängliches Geschehen zu präsentieren“, das die Vorwürfe gegen den Priester mit einem „Mindestbestand an Beweistatsachen“ hätten begründen können. Bei einer Zeugenvernehmung, so das Gericht weiter, hätte es sich daher um „bloße Ausforschungsbeweise“ gehandelt.

Gercke-Gutachten erkennt keine Pflichtverletzungen des Erzbistums

Dies sieht das OLG offenkundig anders. Der 15. Zivilsenat will nun den Mann als Zeugen hören, der mit seinen Eltern einen angeblichen Missbrauch im Alter von mutmaßlich 16 oder 17 Jahren bereits in den 1990er Jahren beim Erzbistum gemeldet hatte. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke zum Missbrauchsskandal im Erzbistum. Der Fall des besagten Priesters ist dort als Aktenvorgang 82 geführt. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass den Bistumsverantwortlichen im Umgang mit dem Fall keine oder keine sicher feststellbaren Pflichtverletzungen vorzuwerfen seien.

Ende 2020 wandte sich der heute 47 Jahre alte Mann – offenbar nach vorausgegangenen Kontakten mit der Interventionsstelle des Erzbistums - schriftlich an die damalige Interventionsbeauftragte und  beschrieb detailliert einen – nach seinen Angaben traumatischen - Vorfall aus den 1990er Jahren, seine damalige Meldung und die Folgen der Geschehnisse bis in die Gegenwart.

Bericht über massive sexuelle Handlungen

Der Priester habe als Kaplan engen Kontakt zu ihm und anderen (ausnahmslos männlichen) Messdienern gesucht. Zu den gemeinsamen Unternehmungen hätten Schwimmbad- und Saunabesuche gehört. Bei einem Ausflug in die Kölner Altstadt seien ihm eines Abends von dem Priester mehrere hochprozentige Cocktails ausgegeben worden. Als er sich auf dem Heimweg übergeben musste, habe der Priester ihn mit zu sich nach Hause genommen, weil er ihn so nicht bei seinen Eltern abliefern wollte. In der Wohnung sollte der Jugendliche weiter trinken, die Eltern seien nicht verständigt worden. Stattdessen habe der Geistliche ihm eine Dusche nahegelegt. Im Bad sei es zu massiven sexuellen Handlungen gekommen. Dagegen habe sich der Jugendliche gewehrt, um dann seine Kleider zu raffen und unvollständig bekleidet zu flüchten. Der Geistliche habe ihm beim Wegrennen auf der Treppe gedroht, falls er irgendetwas erzählen sollte.

Wochen später habe er sich dann zuerst einer Schulfreundin und danach auch seinen Eltern offenbart. Diese hätten dann – zusammen mit ihm - in Köln ein Gespräch bei einem Bistumsvertreter, dem damaligen Personalchef, gehabt. Ihm habe der Jugendliche die Vorfälle laut dem Brief von 2020 „teilweise beschreiben“ können. Die Konsequenz sei eine Versetzung des Geistlichen gewesen. Dies stimmt mit den Angaben aus Bistumsunterlagen und dem Gercke-Gutachten überein. Dieses bezieht sich auch auf die Meldung des mutmaßlichen Missbrauchsfalls durch den Patenonkel des Betroffenen im Jahr 2010. Ob der Betroffene damals auch selbst befragt wurde, lasse sich den Akten nicht entnehmen. In den 1990er Jahren sei er nicht zu einer Gegenüberstellung bereit gewesen.

Betroffener berichtete in einem Brief von seiner Angst vor dem Priester

Dazu schreibt der Betroffene 2010, er habe Angst vor dem Priester gehabt und ihm keinesfalls begegnen wollen, erst recht nicht nach der Entscheidung, ihn zu versetzen. „Danach hatte ich noch mehr Angst vor ihm, weil er immer davon sprach, er wolle Karriere machen.“

In den Akten des Erzbistums sind weitere Schilderungen des Betroffenen enthalten. Hier geht es unter anderem um Vorwürfe wie das gemeinsame Anschauen eines Pornofilms gegen den Willen des Jugendlichen, dem die Bilder „Ekel bereitet“ hätten, um angebliche Berührungen, Küsse und Selbstbefriedigung des Geistlichen in Gegenwart des Jugendlichen.

Der Geistliche hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten, wie auch das Landgericht in seinem Urteil festhält.

Woelki selbst berichtet über den Fall mit vielen Einzelheiten in einem Schreiben aus dem November 2018 an den Präfekten der Glaubenskongregation in Rom, Kardinal Luis Ladaria.

Ein kirchliches Strafverfahren, das Kardinal Woelki 2022 auf Weisung Roms gegen den Priester führen ließ, endete im Dezember des gleichen Jahres mit einem Freispruch durch das Kirchengericht des Erzbistums „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen“. Was die Vorwürfe des Jugendlichen betrifft, so war dieser damals mindestens 16 Jahre alt. Die mutmaßlichen Übergriffe des Priesters wären damit nach den seinerzeit geltenden kirchenrechtlichen Bestimmungen nicht strafbar gewesen.

Trotz des Freispruchs darf der Geistliche seinen Dienst als Priester nur unter Auflagen versehen: Woelki untersagte ihm die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Auch schloss er die Übernahme einer leitenden Position aus.

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