Innerhalb einer Stunde verliebtWeshalb ein junger Iraner (doch) gerne in Köln lebt

Lesezeit 4 Minuten
Alireza Taheri

Alireza Taheri studiert an der Sporthochschule.

  • Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt?
  • Dieser Frage geht Susanne Hengesbach regelmäßig nach. Heute spricht sie mit einem Sportstudenten aus dem Iran.
  • Alireza Taheri wünscht sich auch Freundlichkeit gegenüber Menschen, die man nicht kennt.

Köln – Es habe keine 60 Minuten gedauert, erzählt mir dieser junge Mann. „Innerhalb von einer Stunde war ich verliebt!“ Dies ist ein wahrlich großes an Kompliment an Köln, denn eigentlich mag Alireza Taheri, wie er sagt, „große Städte überhaupt nicht“. Wenn er eine Ansammlung von hohen Gebäuden sieht, macht er praktisch auf dem Absatz kehrt. Deswegen sei Frankfurt für ihn auch nicht in Frage gekommen. Möglicherweise ist dies der erste Kaffee, den ich mit jemandem trinke, der zwei unterschiedliche Alter hat.

Laut deutschem Kalender sei er 28, laut persischem noch 27, weil das neue Jahr in seiner Kultur wesentlich später beginne, erzählt mir der junge Mann im Café Laura. Und schon sind wir mitten im Gespräch über seine alte und seine neue Heimat und über die Vorstellungen, die wir hier in Deutschland über das Leben im Iran haben.

„Die Leute hier denken oft, dass die Frauen bei uns den ganzen Körper verdecken müssen“, stellt Taheri amüsiert fest. „Oder dass bei uns kein Alkohol getrunken wird. Aber was die Regel ist, und was die Praxis, ist etwas anderes“, betont er und fügt lächelnd hinzu: „Es gibt immer einen Umweg.“ In Deutschland beispielsweise sei Marihuana nicht erlaubt. „Aber die Leute rauchen es trotzdem.“

„Das einzig schlechte bei uns ist die Regierung“

Ich verstehe, was er meint, und bin ein wenig gerührt, in welch wunderbarem Deutsch der junge Mann, der erst seit Juli 2019 in Deutschland ist, anschließend von der Schönheit seiner Heimat schwärmt, von den Temperaturgegensätzen und den landschaftlichen Unterschieden. „Ich kenne niemanden, der Urlaub im Iran gemacht und anschließend gesagt hat, es war nicht schön! Das einzig schlechte bei uns ist die Regierung“, fährt er fort. Die Menschen hingegen seien sehr nett und viel herzlicher im Umgang miteinander, als etwa die Leute hier. Er sei zwar kein Party-Typ, aber eine sehr gesellige Person, betont Taheri und drückt damit das aus, was er am meisten vermisst: Kontakt zu anderen Menschen. Gleichwohl könne er sich vorstellen, für immer hier zu bleiben. „Was könnten die Menschen hier von Ihren Landsleuten lernen?“, frage ich. „Dass man auch gegenüber einer Person, die man nicht kennt, sehr nett sein kann.“

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Taheri hat im November 2017 im Iran seinen Visums-Antrag gestellt, nachdem er Bauingenieurwesen studiert und seinen Bachelor gemacht hatte. Danach standen ihm im Grunde nur zwei Möglichkeiten offen, die er jedoch beide nicht wollte: Ein Masterstudium als Bauingenieur oder Militärdienst. Er sei zwar ganz gut in Mathe und Physik, aber damit sein ganzes Leben auszufüllen, diese Vorstellung behagte ihm nicht. Weil er immer ein ganz passabler Fußballspieler war, liebäugelte er schon länger mit einem Sportstudium. „Damit verdiene ich später zwar weniger, dafür beschäftige ich mich mit etwas, was mir Freude macht.“

„Fahrräder gibt es bei uns praktisch nicht“

Seine Entscheidung, „an der besten Sporthochschule Europas“ studieren zu wollen, hatte ihren Preis: Weil er den Militärdienst abgelehnt hatte, darf er drei Jahre lang nicht in seine Heimat zurück. Wie viele andere junge Männer in vergleichbarer Situation hat er sich deswegen vor ein paar Monaten in der Türkei mit seinen Eltern getroffen. Anders wäre ein Wiedersehen zwischendurch nicht möglich gewesen.

Taheri erzählt mir, dass er für sein Sportstudium regelmäßig im Agrippa-Bad Kopfsprung trainiert und ohnehin oft im Schwimmbad ist. Schwimmen und Yoga hält er für „den besten Sport der Welt“. Ich erfahre von ihm, dass die relativ große, körperlich fitte Mittelschicht, wie es sie hierzulande gibt, in seiner Heimat „überhaupt nicht existiert“. Trainiert werde im Grunde nur in der reichen Oberschicht, erklärt mein Gegenüber und nennt den Grund dafür: „Das Benzin ist bei uns so günstig, dass jeder ein Auto hat und auch kürzeste Strecken damit fährt.“ Noch während ich dabei bin, das Wort „Fahrrad“ als Frage zu formulieren, beginnt der junge Mann zu lachen. „Fahrräder gibt es bei uns praktisch gar nicht!“

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