Bagger bringen ErinnerungenAnwohner bauten auf dem Kalkberg selbst einen Bunker

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Die 15-jährige Helene Degen in Kalk (r.).

Die 15-jährige Helene Degen in Kalk (r.).

Buchforst – Der „schwarze Samstag“ war ein Tag mit besonders heftigen Angriffen englischer Fliegerbomber auf Köln. Die Erinnerung an den 28. Oktober 1944 ist bei Zeitzeugin Helene Degen nie verblasst. Noch heute hält sich die inzwischen 90-Jährige bei den jaulenden Tönen des monatlichen Sirenentests die Ohren zu. Damals, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs, war Degen 15 Jahre alt.

Mit ihren Eltern und der Schwester wohnte sie an der Kalk-Mülheimer Straße, ganz in der Nähe der versiegelten Abfalldeponie, die heute unter dem Namen „Kalkberg“ bekannt ist. Als Degen in der Zeitung las, dass eine Baufirma bei Arbeiten für eine Stützwand Anfang Juli den Eingang zu einem Hohlraum in der Hangböschung des Kalkbergs freigelegt hatte, kehrten die Bilder von Leid, Tod und Zerstörung in ihr Bewusstsein zurück.

Denn der jüngst freigelegte Schacht führt ihrer Erinnerung nach in einen Schutz-Unterstand, den Kalker und Buchforster Bürger im Frühjahr 1944 in Eigeninitiative angelegt hatten. „Der große, offizielle Schutzbunker befand sich damals an der Remscheider Straße“, sagt Degen. „Der Weg dorthin war vielen zu weit, vor allem Alten und Frauen mit Kindern. Denn wenn die Bomber kamen, musste man sich in kürzester Zeit in Sicherheit bringen.“ Die Luftangriffe nahmen gegen Ende des Krieges immer mehr zu, bis ein Ingenieur aus der Nachbarschaft schließlich die Planung für den Schutzraum in die Hand genommen habe. Rund 40 freiwillige Helfer hätten sich gemeldet, um einen Stollen in den „Säureberg“ zu treiben, sagt Degen. Das war einer der Spitznamen der Anwohner für die Deponie, die seit der Ansiedlung mehrerer großer Chemiefirmen dort – darunter die Chemische Fabrik Kalk – durch Werksabfälle stetig wuchs. „Später nannten wir den Hügel darum »Kalker Alpen«“, sagt Degen.

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Grausigen Funde haben sich tief eingeprägt

Den selbst errichteten Bunker hat die Zeitzeugin zwar nie betreten, weil ihr Vater skeptisch war. „Mit selbst ausgehobenen Schutzgruben und Chemikalien hatte er im Ersten Weltkrieg schlechte Erfahrung gemacht“, sagt die 90-Jährige. Dass im Bombenhagel im Oktober 1944 mindestens zwei Menschen am Kalkberg ihr Leben verloren, werde sie nie vergessen, sagt Degen. Als junges Mädchen hätten sich ihr die grausigen Funde damals tief eingeprägt. Der Schutzraum selbst sei nicht zerstört worden, die beiden getöteten Männer hätten sich einfach zu früh oder aus Neugier vor die schwere Eisentür gewagt.

„Zwei Eingänge, rund 20 Meter voneinander entfernt, führten in das Innere des U-förmig angelegten Schutzraums im Kalkberg. Platz war darin für etwa 100 Personen und es gab Sitzmöglichkeiten auf Holzbänken“, beschreibt ein Artikel in der Festschrift der Buchforster Geschichtswerkstatt die jetzt freigelegte Anlage. Zu den Autoren gehört Peter Renck, der in den vergangenen Jahren Informationen von mehreren Kölner Zeitzeugen zusammengetragen hat. Übereinstimmend berichteten sie von weiteren Opfern durch explodierende Luftminen.

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Bis zur Eingangstür musste man ein paar Stufen hinabsteigen, um in den Stollen zu gelangen. Diese Bereiche seien noch gemauert, der Rest dann lediglich geebnetes Erdreich gewesen. Oben auf dem Ringwall des Kalkbergs hätte sich eine Flakstellung befunden, die während des Einsatzes aufgrund des instabilen Untergrunds verrutscht sei, so Renck. Außerdem habe es eine Be- und Entlüftungsanlage für den Schutzraum gegeben, „die ist nach dem Krieg aber von Unbekannten abgebaut und und im Schrotthandel zu Geld gemacht worden.“ Seitdem war es ruhig geworden um den Stollen im Kalkberg, seine Funktion und Existenz gerieten in Vergessenheit.

In den nächsten Tagen soll „flüssige Betonmischung“ in den Hohlraum geleitet werden, um den ehemaligen Schutzraum zu versiegeln. „Eine Freilegung ist nicht geplant, aber die Denkmalpflege will das Gewölbe zuvor noch untersuchen“, sagt Stadtsprecherin Inge Schürmann auf Anfrage.

So bleibe ihr nur die Erinnerung an eine bewegte Zeit der Kölner Geschichte, wie Helene Degen es rückblickend formuliert.

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