Kommentar zu Woelkis „Marienweihe“Riten aus dem Museum

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Woelki Bagger 2

Kardinal Rainer Woelki auf einer Baustelle in Köln-Kalk

Köln – Was für ein Brimborium!? Kardinal Rainer Woelki wird solch eine Reaktion keinem verdenken können, der von seiner „Weihe Russlands, der Ukraine und auch des Erzbistums Köln an das Unbefleckte Herz Mariens“ am Freitagnachmittag im Kölner Dom hört.

Die in der katholischen Tradition so oft verkitschte, falsch stilisierte oder gar kirchenpolitisch missbrauchte Gestalt der „Jungfrau und Gottesmutter“ Maria, zusammengenommen mit der sexuell konnotierten bzw. im Dienst einer toxischen Sexualmoral eingesetzten Rede vom „unbefleckten Herzen“ – das muss auf Menschen des 21. Jahrhunderts mindestens skurril und befremdlich, wenn nicht gar abstoßend wirken.

Formen eines „Retrokatholizismus“

Das gilt übrigens nicht nur für Konfessionslose, Säkulare oder Andersgläubige, sondern auch für Mitglieder von Woelkis eigener Kirche. Der Begriff „Retrokatholizismus“, den die Erfurter Dogmatik-Professorin Julia Knop für diese und ähnliche Formen einer überkommenden liturgischen Praxis geprägt hat, trifft den Nagel auf den Kopf.

Und wie sollen zu allem Überfluss Russland, der Aggressor, die von Putins Armee überfallene Ukraine und das lieblich unter blauem Himmel und Frühlingssonne dahinlebende Köln in ein und derselben „Weihe“ zusammenkommen? Auch das erschließt sich spontan selbst dem wohlgesonnenen Betrachter nur schwerlich, zumal das historische Vorbild der ersten Weihe Russlands ans Herz der Muttergottes im Zuge der bolschewistischen Oktoberrevolution von 1917 eine hoch problematische Analogie ist.

Woelki nimmt Vorlage des Papstes auf

Dass Woelki im Kölner Dom einer Gebetsvorlage das Papstes folgt und Franziskus am Freitagnachmittag auf dem Petersplatz in Rom die gleiche Zeremonie vollzieht wie sein Kardinal in Köln (den besonderen Bezug auf das Erzbistum ausgenommen), macht es nicht besser.

Der Papst will nach eigenen Worten in der „dunklen Stunde“ mit der ganzen Kirche Fürsprache beim „Fürsten des Friedens“ (ein uralter Titel für Christus, den Messias und Erlöser) einlegen und „denjenigen beistehen, die die Folgen des Konflikts an ihrem eigenen Leib zu spüren bekommen“. Zugleich will er „der Gottesmutter in besonderer Weise die Nationen anvertrauen, die sich im Konflikt befinden“. 

Einladung an alle Bischöfe

Er hat alle katholischen Bischöfe auf der ganzen Welt eingeladen, sich ihm dabei anzuschließen. „Dies soll ein Akt der Weltkirche sein, die in diesem dramatischen Augenblick durch die Mutter Jesu, die auch unsere Mutter ist, den Schmerzensschrei aller, die leiden und ein Ende der Gewalt herbeisehnen, vor Gott trägt. Zugleich vertraut sie die Zukunft der Menschheit der Königin des Friedens an.“

Das Grundanliegen ist zweifellos richtig und wichtig. In ihm kommt das Mitleiden mit den Opfern von Krieg und Gewalt ebenso zum Ausdruck wie die tiefe Sehnsucht der Menschen nach Frieden. Beides verbindet Christen und Nicht-Christen, Gläubige und Ungläubige.

Der Glaube macht den Unterschied

Aber nur für diejenigen, für die Gott eine Realität in der Welt und in ihrem Leben ist, hat die Orientierung Sinn, die der Papst dem Mitleid und der Friedenssehnsucht gibt. Oder andersherum betrachtet: Nur wer als Christ an Gott glaubt, wird ihm als ihm das eigene Leben, aber auch die Sorgen und Nöte der anderen anzuvertrauen.

Als gläubiger Christ kann er im Grunde dann auch nicht anders. Diese Grundausrichtung des Glaubens auf Gott hin hat in der Zuwendung zu Maria und hier besonders im frömmigkeitsgeschichtlich und künstlerisch hoch bedeutsamen Motiv der „Schutzmantelmadonna“ einen eigenen, man könnte sagen „menschelnden“ Ausdruck gefunden.

Älteste Gebetstraditionen

„Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir… “, so beten Christinnen und Christen mit den Worten des ältesten erhaltenen Mariengebets schon seit mehr als 1700 Jahren. Wohl wissend, dass es nicht eigentlich Maria ist, an die sie sich halten, sondern der Gott, der sich in Maria der ganzen Menschheit zugewandt hat. Das kann man lächerlich finden oder eben als Brimborium abtun. Aber die Kraft, der Trost und der Überlebenswille, den ungezählte Menschen aus ihrem Gottvertrauen gezogen haben, sollten auch für die größten Skeptiker und schneidendsten Sarkasten unübersehbar sein.

Zumal dann, wenn Christinnen und Christen es nicht nur beim Beten belassen, sondern wenn ihre Hinwendung zu Gott einhergeht mit der Zuwendung zu den Menschen, die der Stärkung und des Trostes bedürfen. „Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen“ bestehe die christliche Existenz der Zukunft, hat der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer mitten im Zweiten Weltkrieg geschrieben.

Wie aus einem Museum

Doch während Bonhoeffer dies auch aus der Intuition schrieb, dass die herkömmliche Gestalt der Kirche, ihre Praxis und auch ihre Sprache „kraftlos und stumm geworden“ sind, setzen der Papst und Woelki in seinem Gefolge auf genau dies: Riten, Zeichenhandlungen und Formeln aus verflossenen Epochen, einer längst untergegangenen Kultur, oft unendlich weit entfernt von den Glaubens-, Erfahrungs- und Lebenswelten der Menschen heute.

Es ist, als holte man aus dem Textilmuseum einen Jahrhunderte alten Gehrock samt Kniehosen, Weste, Rüschenhemd und Dreispitz oder eine Brokatrobe mit weiten Schößen und eine opulente Perücke, um damit ein junges Paar von heute für den Kirchgang auszustaffieren.

Not christlichen Lebens Leute

Es ist die vielleicht größte Not christlichen Lebens heute, dass für Teile der Kirche irgendwann in den letzten 200 Jahren die Zeit stehen geblieben ist – nicht nur in ihrer Verfassung, ihren Strukturen und theologischen Überzeugungen, sondern auch in ihrer Praxis.

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Deswegen wirken dann Rituale wie diese vom Papst propagierte und von Woelki adaptierte „Weihe“ so lebensfremd, so museal und auch – so hilflos angesichts politischer, gesellschaftlicher und auch geistlicher Herausforderungen wie der eines Krieges im Jahr 2022 mitten in Europa. Als ob die Kirche in heutiger Sprache und heutigen Formen nichts Hilfreiches, Tröstendes, Orientierendes beizutragen hätte.

Ritualisiert, formelhaft, weltenthoben

Und wenn sich dann in Woelkis Fall beim einen oder anderen aufmerksamen Beobachter zusätzlich das Gefühl von faulem Zauber einstellt, liegt das gewiss nicht an einer verqueren Empfindung der Betreffenden. Ritualisiert, formelhaft, weltenthoben ist eben nicht nur die Zelebration am Freitagnachmittag im Dom, sondern auch das Auftreten des Zelebranten. Es wirkt, als agierte auch Woelki nach dem Ende seiner Beurlaubung jenseits von Zeit und Raum.

Woelki Bagger

Kardinal Woelki steuert einen Bagger beim Spatenstich des Erzbischöflichen Bildungscampus. (Archivbild)

PR-Bilder vom Bischof hoch oben auf dem Bagger – wo er doch ein leises, zurückhaltendes Auftreten versprochen hatte; ein ungerührtes, unbeirrtes „Weiter so“, das Mitarbeitenden in der Bistumszentrale die Haare zu Berge stehen oder ein Schaudern den Rücken hinunterfahren lässt. All das ist nicht eben dazu angetan, Liturgien wie die am Freitag im Dom als „Zeichen der Nähe Gottes“ zu verstehen. Eher sind es Signale der Ferne von den Menschen.

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