Karneval zum NachspazierenWo man in Köln auf jecke Geschichte trifft

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Biwak_Rote_Funken

Funkenbiwak auf dem Neumarkt im Jahr 2007

Köln – Der Neumarkt war einst der zentrale Ort in Köln, an dem der Karneval zu Hause war. Der erste „Maskenzug“ – Vorläufer des Rosenmontagszuges – wurde 1823 auf dem großen Festplatz zelebriert. In der Mitte des Platzes fand etliche Jahre die feierliche Thronbesteigung des Helden Carneval statt. Die Zugteilnehmer zogen rund um den Neumarkt. Mit dabei waren damals unter anderem die „Cölnischen Funken“. Sie persiflierten die ehemaligen Stadtsoldaten und trugen wie diese rote Uniformröcke und weiße Hosen.

Daher wurden sie im Volksmund „Rote Funken“ genannt. Die „Kölsche Funke rut-wieß vun 1823“ sind dem Neumarkt treu geblieben. Traditionell schlägt das älteste Traditionskorps am Karnevalssamstag auf dem einstigen „Helden-, Sieges- und Freudenplatz“ sein Funkenbiwak auf. Auch die „KG Alt Köllen von 1883“ stellt für die Volkssitzung ihr Zelt hier auf.

Spuren führen zu Ostermann und Millowitsch

Rund um den Neumarkt gibt es weitere karnevalistische Spuren zu entdecken. Eine führt zu Willi Ostermann. Der Komponist, Texter und Sänger, der sich selber als Humorist und später als Heimatdichter bezeichnete, residierte ab 1928 am Neumarkt. Er kaufte ein Herrschaftshaus aus der Gründerzeit, Hausnummer 33. Vorbesitzerin war Emma Millowitsch, die „kölsche Duse“ aus der Theaterdynastie Millowitsch. Ostermanns Biograf Hans W. Krupp (bekannt als Verfasser der früheren kölschen Mundartkolumne „Schäng“ im „Kölner Stadt-Anzeiger“) vermutet, dass die Prinzipalin aus finanziellen Gründen gezwungen war, sich von der Immobilie zu trennen. In der beginnenden Rezession, die in der Weltwirtschaftskrise 1929 mündete, ging es dem renommierten Volkstheater Millowitsch wie vielen anderen Unterhaltungsbetrieben wirtschaftlich schlecht.

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Heute erinnert eine Tafel an der Fassade des Hauses Neumarkt 33 an den Volkssänger. Gestiftet wurde sie von der Willi-Ostermann-Gesellschaft, die sich um das Andenken und Vermächtnis des Liederdichters kümmert. Dazu zählt auch die Pflege der Grabstätte der Eheleute Willi und Käte Ostermann auf dem Melatenfriedhof. Das Grab ist der Endpunkt des etwa zwölf Kilometer langen Ostermann-Wanderweges. Er beginnt in Mülheim auf der Bergisch Gladbacher Straße 179. Dort stand einst das Geburtshaus des Sängers, heute befindet sich an dem Ort die Feuerwache Mülheim und eine weitere Ostermann-Gedenktafel. Als Willi am 1. Oktober 1876 zur Welt kam, gehörte Mülheim nicht zu Köln. Auch mit dem Umzug nach Deutz 1878 gelang den Ostermanns nicht der Sprung in die Kölner Stadtgesellschaft. Erst mit der Eingemeindung 1888 klappte es. Dem Stadtteil und dem Titel „Et Düxer Schötzefeß“ verdankte Willi seinen ersten großen Erfolg als Liedermacher.

Lachende Arena feierte 1965 Premiere

In Deutz, genauer gesagt in der alten Sporthalle, wurde am 27. Mai 1965 Karnevalsgeschichte geschrieben. Mit über 300 Mitwirkenden feierte die „Lachende Kölner Sporthalle“ Premiere. Sie entwickelte sich zur größten Karnevalsveranstaltung in Deutschland. Erfinder war Otto Hofner. Mit seiner Theater-, Konzert- und Gastspieldirektion betreute er Stars wie Curd Jürgens, Marika Röck, Johannes Heesters, Zarah Leander, Heinz Erhardt, Trude Herr und Willy Millowitsch. Das erfolgreiche Format der „Lachenden“ existiert noch immer. Nach dem Aus der Sporthalle, die 1999 abgerissen wurde, zog sie als „Lachende Kölnarena“ in die 1998 eröffnete Multifunktionshalle um.

Lachende Sporthalle

50 Jahre lachende Sporthalle

„Kleiner Gürzenich“ Zurück zum Neumarkt. Anfang der 1950er Jahre fühlten sich die Karnevalisten im „kleinen Gürzenich“ wohl. Hinter dieser Bezeichnung verbarg sich die Kassenhalle der Kreissparkasse Neumarkt. Als viele im Zweiten Weltkrieg zerstörte Veranstaltungsstätten noch nicht zur Verfügung standen, hielten verschiedene KGs ihre Sitzungen im „kleinen Gürzenich“ ab. So feierte das 1925 gegründete Reiterkorps „Jan von Werth“ sein Silber-Jubiläum am 29. Januar 1950 in der wiederhergestellten, aber noch nicht offiziell in Betrieb genommenen Kassenhalle. Heute müssten die Jan-von-Werther nicht weit laufen. Das Reiterkorps hat seinen Stammsitz im Haus Thieboldsgasse 137, zu dem auch die Gaststätte „Zum Jan“ gehört.

Zahlreiche Karnevalsveranstaltungen in der Wolkenburg

Ein paar Straßenzüge entfernt vom Neumarkt erhebt sich am Mauritiussteinweg die historische Wolkenburg. Das Domizil des Kölner Männer-Gesang-Vereins (KMGV) ist nicht nur Vereinshaus, sondern auch Event-Location, in der während der Session zahlreiche Karnevalsveranstaltungen stattfinden. Nicht jedoch die eigene Karnevals-Revue, das Divertissementchen der 1874 gegründeten Cäcilia Wolkenburg, der Bühnenspielgemeinschaft im KMGV. Das „Zillche“ wird traditionell in der Kölner Oper aufgeführt.

Tafel in der Kaygasse weist auf Karnevalslied hin

Nur etwa 60 Meter lang ist die Kaygasse im Agrippaviertel. An dem Eckhaus Kaygasse/Großer Griechenmarkt hängt seit 1953 eine Tafel an der Hausfassade mit der Aufschrift: „He an dem Plätzge stund en steinahl Schull wo gerechnet wohd dreimol Null es Null“ (Schreibweise übernommen). Die Zeilen weisen auf das Karnevalslied „En d’r Kaygass“ hin. Am bekanntesten ist die Interpretation der „Vier Botze“ in der Besetzung Hans Philipp Herrig, Hans Süper (Senior), Richard Engel und Jakob Ernst. Die Ursprungsversion des Kaygass-Liedes stammt von dem „Original Kölschen Gesangs-Trio 3 Laachduve“ mit Hermann Kläser, Heinz Jung und Will Herkenrath. Sie stellten den Titel im Februar 1938 auf einer Sitzung der Karnevalsgesellschaft „Mer blieve zesamme“ in der Wolkenburg erstmals vor. Der in dem Song besungene Lehrer Welsch hat tatsächlich in Köln unterrichtet. Allerdings nicht in der ehemaligen Elementar-Freischule für Knaben (später Hilfsschule) Kaygasse, sondern in einer Hilfsschule im rechtsrheinischen Kalk.

Williamsbau war Zentrum des Kölner Gesellschaftslebens

Mitunter gelingt es, Versunkenes aus der Karnevalsgeschichte wieder sichtbar zu machen. Ein gelungenes Beispiel ist der Williamsbau, der ursprünglich auf der Wiese gegenüber dem Aachener Weihers stand. Mit dem Abriss 1956 verschwand nicht nur der Bau, sondern auch die Erinnerung daran. Dank der Initiative der Brauchtumsexperten Reinold Louis und Wolfgang Oelsner ist das „Zentrum Kölner Populärkultur der Nachkriegszeit“ ins Stadtbild zurückgekehrt. Dort, wo einst der Williamsbau stand, gibt es seit Mai 2018 eine Stele mit einer Bronzeplakette.

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Zudem trägt das Areal um den ehemaligen Zirkusstandort den Namen „Carola-Williams-Park“. Carola und Harry Williams errichteten 1946/1947 an der Aachener Straße einen halbfesten Bau als Winterquartier für ihren Zirkus. Der Williamsbau fasste etwa 2500 Zuschauer und wurde ab 1947 zum Zentrum des Gesellschaftslebens in der Stadt. Neben den Zirkusvorstellungen wurde die Mehrzweckhalle für Sport- und Politikveranstaltungen, Operetten, Märchenspiele, Jazzkonzerte und natürlich Karnevalssitzungen genutzt. Alle Kölner Dreigestirne jener Zeit wurden hier festlich proklamiert.

Zirkusdirektorin Carola Williams überreichte am 13. Februar 1950 auf einer Karnevalssitzung Hennes Weisweiler, dem Trainer des neu gegründeten 1. FC Köln, einen jungen Geißbock. Das Tier wurde Hennes getauft und stieg zum Wappentier des Vereins auf.

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