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„Bahnfahren ohne Fluchtplan im Kopf“Kölnerin stößt Debatte um FLINTA-Schutzräume in Bus und Bahn an

Lesezeit 6 Minuten
An der Haltestelle Neumarkt steigen Fahrgäste in eine einfahrende KVB-Bahn. (Archivbild)

An der Haltestelle Neumarkt in Köln fährt bei Dunkelheit eine Bahn der KVB ein. Mehrere Fahrgäste, darunter auch Frauen, warten am Bahnsteig auf den Einstieg. (Archivbild)

Eine Berliner Petition fordert Schutzräume für FLINTA-Personen im öffentlichen Nahverkehr. Auch in Köln wächst der Wunsch.

Sollte es in Kölner Bussen und Bahnen eigene Schutzräume für FLINTA-Personen geben? Eine Petition aus Berlin fordert genau das. Auch in Köln ist die Debatte mittlerweile angekommen, befeuert durch ein TikTok-Video der Kölnerin Daniela P. (32), in dem sie über sexuelle Belästigung im öffentlichen Nahverkehr spricht.

Die Petition stammt von der Berliner Aktivistin Alex Born und hat bereits über 24.000 (Stand: Juni) Unterschriften gesammelt. Sie fordert sogenannte FLINTA-Abteile – geschützte Bereiche in öffentlichen Verkehrsmitteln, die ausschließlich Frauen, Lesben, inter, nicht-binären, trans und agender Personen vorbehalten sind.

FLINTA-Abteile als Schutzmaßnahme: Petition gewinnt Aufmerksamkeit

Born berichtet in ihrer Petition von jahrelangen Übergriffen – von anzüglichen Blicken bis zur Vergewaltigung. Als Schutzmaßnahme fordert sie nicht nur die Abteile selbst, sondern auch präventive Hinweise im gesamten Fahrzeug. In allen Waggons sollen gut sichtbare Hinweise in lila Schrift auf sexuelle Einwilligung (sexuellen Konsens) angebracht bzw. aufmerksam gemacht werden.

An Haltestellen wie Reichenspergerplatz können Fahrgäste über Sprechkästen einen Notruf absetzen. (Archivbild)

Ein Hinweisschild auf einen Notruf-Kasten in der KVB-Haltestelle Reichenspergerplatz in Köln. (Archivbild)

Auch Daniela P. teilt diese Erfahrungen. Die Kölnerin engagiert sich ehrenamtlich in der Opferhilfe und plädiert für mehr Schutz und Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr. „Ich werde sexuell belästigt, seit ich klein bin“, erzählt sie. Schon als Kind sei Daniela P. in der Gaststätte ihres Großvaters unangenehmen Blicken und Bemerkungen ausgesetzt gewesen – „aber ich habe es damals nicht begriffen“, so die 32-Jährige.

Tik-Tok-Video aus Köln bringt die Debatte in die Domstadt

Der konkrete Auslöser für ihr TikTok-Video ist ein Vorfall in einer Bahn der KVB. Ein Mann beobachtet sie intensiv, öffnet offen pornografische Inhalte auf seinem Handy und fasst sich dabei im Schritt an. „Ich war in Alarmbereitschaft, aber man fragt sich: Habe ich heute die Energie, schon wieder einzugreifen?“

Statt den Notruf zu betätigen oder den Mann zu konfrontieren, wechselt sie den Platz. „Ich habe mich dann einfach ans andere Ende der Bahn gesetzt, wo zufälligerweise nur Frauen saßen, was natürlich dann ganz angenehm war. Aber das ist bei weitem ja nicht das einzige Mal gewesen“, so Daniela P.

Nur wenige Tage später: Der nächste Vorfall. Ein Mann beobachtet sie an einer Haltestelle der KVB, stellt sich beim Abfahren der Bahn direkt vor sie und beginnt, anzüglich zu gestikulieren. Daniela P. konfrontiert ihn, bekommt aber keine Reaktion. „Diese Erlebnisse bleiben. Sie sind keine Ausnahme, sie sind Alltag und ich kenne keine Frau in meinem Umfeld, die noch nie sexuell belästigt wurde. Ich will einfach mal Bahn fahren, ohne Fluchtplan im Kopf“, so die 32-Jährige.

Sexuelle Belästigung im Kölner ÖPNV – Polizeistatistik zeigt Anstieg

Wenn Daniela P. in Köln in die Bahn oder in den Bus steigen würde, scanne sie zuerst automatisch den Innenraum. Wo sitzen andere Frauen? Wo könnte sie sich im Notfall hinsetzen, wo sind die Notfallknöpfe? Diese Vorsichtsmaßnahmen seien für sie Routine, seit Jahren. 

Ein Blick in die Kölner Polizeistatistik zeigt: Die Zahl der Anzeigen wegen sexueller Belästigung im ÖPNV in Köln ist deutlich gestiegen – von 68 Fällen im Jahr 2022 auf 111 im Jahr 2024. Die Polizei spricht von einer „hohen Dunkelziffer“ und betont, dass „Sexualdelikte hauptsächlich in stark frequentierten Zonen der Innenstadt“ vorkommen. Zeitliche Schwerpunkte gebe es hingegen keine. Die Polizei erklärt: „Es ist davon auszugehen, dass nicht alle betroffenen Personen Anzeige erstatten, etwa aus Scham, Unsicherheit oder dem Gefühl, dass eine Anzeige keinen Erfolg bringt.“

NRW-Zahlen belegen: Immer mehr Übergriffe in Bussen und Bahnen

Auch Landesweit ist die Entwicklung von Sexueller Belästigung gestiegen: In NRW stieg die Zahl der registrierten Straftaten im ÖPNV von 59.679 (2018) auf 95.887 Übergriffe im Jahr 2024 – ein Plus von fast zwei Dritteln. Die Zahl der Sexualdelikte verdoppelte sich von 239 Fällen im Jahr 2022 auf 634 im Jahr 2024.

Dies ist einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage aus dem Düsseldorfer Landtag zu entnehmen. Die Zahl der registrierten Straftaten im ÖPNV-Umfeld, also im Bahnhof oder an Haltestellen, hat sich ebenso in den vergangenen sieben Jahren von 20.556 (2018) auf 42.096 (2025) verdoppelt. Einen drastischen Anstieg hat es den Angaben zufolge in den vergangenen Jahren auch bei den polizeilich festgestellten „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ gegeben.

Nach einem medizinischen Notfall an der Florastraße mussten zahlreiche Fahrgäste die Bahn verlassen. (Archivbild)

Eine größere Menschenmenge steht an der U-Bahnstation Florastraße in Köln-Nippes. (Archivbild)

KVB sieht FLINTA-Abteile kritisch und setzt auf bestehende Maßnahmen

Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) sehen den Vorschlag für FLINTA-Abteile kritisch. Auf Anfrage teilen sie mit, dass sie das Berliner Projekt verfolgt hätten, aber wenig davon halten würden: „Wir haben die Beförderungspflicht für alle Fahrgäste. „Würden wir Bereiche in Bussen und Stadtbahnen für einzelne Gruppen sperren, käme das einem Ausschluss gleich – vor allem bei vollen Fahrzeugen, wenn in den weiteren Bereichen eben kein Platz mehr für weitere Fahrgäste frei wäre. Die Idee, bestimmte Plätze für Männer zu sperren, könne zudem als Provokation verstanden werden“, so ein Sprecher der KVB.

Statt räumlicher Trennung setze die KVB auf bestehende Sicherheitsmaßnahmen: Servicepersonal vor Ort, enge Zusammenarbeit mit der Polizei, die Empfehlung, in Fahrernähe zu sitzen. „Hierdurch allein werden potenzielle Belästiger oft abgehalten“, heißt es. Auch das zivilgesellschaftliche Klima sei wichtig: „Kölnerinnen und Kölner lassen meist niemanden allein“, heißt es weiter.

„Wann ist es ein Notfall?“ – Kritik an Schutzkonzepten in Bus und Bahn

Aussagen zu Schutzmaßnahmen begegnet Daniela P. skeptisch: „Ich weiß, dass an bestimmten Haltestellen oder auch in den Bahnen ab und an mal Sicherheitspersonal rumläuft, aber das ist relativ selten. Ich habe da noch nie hohes Polizeiaufgebot gesehen.“ Meist beobachte sie Kontrolleure, die nach Alkohol suchen – nicht nach Täterverhalten. Auch Notfallknöpfe seien problematisch: „Ich bin zum Beispiel sehr gehemmt, diese zu drücken. Weil die Frage ist, ab wann ist es denn ein Notfall? Also das finde ich nicht klar geregelt“.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) betonen, dass ihr Ziel die größtmögliche Sicherheit für alle Fahrgäste sei, unabhängig von Geschlecht oder Identität. Statt auf räumliche Trennung setze man auf Prävention und Technik: „Täglich sind rund 250 Sicherheitskräfte im Einsatz, 6.700 Kameras überwachen die Bahnhöfe, viele weitere die Fahrzeuge“, so eine Sprecherin der BVG. Notrufsäulen und Alarmtasten sollen schnelle Hilfe ermöglichen. Zudem bietet die BVG in Bussen und auf Nachtlinien am Stadtrand einen sicheren „Ausstieg auf Wunsch“ zwischen Haltestellen an.

An der KVB-Haltestelle Reichenspergerplatz in Köln können Fahrgäste an den roten Sprechkästen der U-Bahn auf Knopfdruck einen Notruf absetzen. (Archivbild)

Ein Notruf-Kasten an der KVB-Haltestelle Reichenspergerplatz in Köln. An den roten Sprechkästen können Fahrgäste der U-Bahn auf Knopfdruck einen Notruf bzw. SOS absetzen. (Archivbild)

Grüne in Berlin wollen Konzept auf den Weg bringen

Daniela P. hat all diese Maßnahmen längst verinnerlicht. Sie weiß, wo sie sitzt, wo die Notfallknöpfe sind, wie sie notfalls fliehen kann. Was sie sich wünscht, geht darüber hinaus: Sichtbarkeit, Schutzräume, Anerkennung des Problems. „Ich glaube nicht, dass FLINTA-Waggons das Problem allein lösen können“, sagt sie. „Aber es könnte ein Ort sein, an dem wir wenigstens nicht ständig auf der Hut sein müssen.“

Antje Kapek (Grüne), Berliner Verkehrspolitikerin, plant einen parlamentarischen Antrag und möchte den Senat auffordern, gemeinsam mit der BVG ein Konzept zur Einführung von FLINTA-Abteilen auf den Weg zu bringen. Bereits im November hatte die Berliner Grünen-Sprecherin im Abgeordnetenhaus, Extra-Abteile für Frauen in U-Bahnen gefordert.

Sicherheit im ÖPNV: KVB und Politik unter Druck

Für Daniela P. ist klar: „Man sollte über den Vorschlag auch in Köln diskutieren. Denn ihrer Meinung nach, müssen die öffentlichen Verkehrsmittel, Verantwortung dafür tragen, dass die Sicherheit aller Menschen Bestand habe, und im Moment habe sie nicht das Gefühl, dass das ausreichend stattfinden würde.

Ob die KVB oder die Politik den Vorschlag für FLINTA-Abteile tatsächlich aufgreifen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Das Bedürfnis nach mehr Schutz und Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr ist real. Die Petition, die Erfahrungen von Betroffenen wie Daniela P. und der politische Vorstoß in Berlin zeigen, dass viele FLINTA-Personen sich nicht ausreichend geschützt fühlen.