„Selbstmitleid“Kölner Richter mit deutlichem Urteil im Fall von totem 15-Jährigen

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Dr. Achim Hengstenberg, Vorsitzender Richter am Kölner Landgericht, verkündete das Urteil im Fall des erstochenen Marlon.

Köln – Er habe keinerlei Empathie für die Familie des Opfers gezeigt, dafür umso mehr Selbstmitleid. Mit scharfen Worten hat der Vorsitzende Richter Achim Hengstenberg den Schausteller Klaus P. (69) im Fall um den erstochenen Marlon vom Takufeld bedacht. Hatte der Richter dem Angeklagten zu Beginn des Verfahrens noch eine milde Strafe und Haftverschonung in Aussicht gestellt, war davon am Mittwochabend keine Rede mehr. Wird das Urteil rechtskräftig, muss P. wieder ins Gefängnis.

Keine Reue, kein Geständnis, daher Gefängnis

Viereinhalb Jahre Haft für eine Körperverletzung mit Todesfolge urteilte Richter Hengstenberg mit seiner Strafkammer aus. Aufgrund der überlangen Verfahrensdauer – die Tat ereignete sich im April 2012 – wurden sechs Monate als bereits vollstreckt angenommen. Da Klaus P. bis Januar 2014 bereits insgesamt 21 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, drohen ihm noch zwei Jahre und drei Monate Haft. Auch bei guter Führung müsste der 69-Jährige noch mindestens neun Monate absitzen.

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Der Angeklagte Klaus P. im Landgericht mit seinen Verteidigern Marco Heymann und Abdou Gabbar (v.r.).

„Wir hatten ja zu Beginn ein großzügiges Angebot gemacht, was Sie nicht angenommen haben“, sagte Hengstenberg in Richtung des Angeklagten. Bei einem Geständnis und ehrlich zum Ausdruck gebrachter Reue hatte das Gericht sich eine Maximalstrafe von vier Jahren vorgestellt. Mit der sogenannten Halbstrafenregelung hätte P. die Strafe dann wohl nicht mehr antreten müssen. Das habe sich aufgrund der fehlenden Übernahme von Verantwortung für die Tat aber nun erledigt.

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Kölner Verteidiger nennt Richter befangen

Diese einleitenden Worte bei der Urteilsverkündung zeigten, „dass die Kammer befangen war und den Angeklagten von Anbeginn verurteilen wollte“, sagt Abdou Gabbar, einer der beiden Verteidiger des Angeklagten. Gabbar und sein Kollege Marco Heyman hatten den vorgeschlagenen Deal abgelehnt, da er nicht der Überzeugung des Mandanten entspreche, der sich unschuldig fühle. Sinngemäß hatte die Verteidigung gesagt, dass der Mandant dann lieber wieder in Haft gehe.

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Für das Gericht stand nach der Beweisaufnahme fest, dass der frühere Schausteller während eines Streits mit seinem Nachbarn – es ging um angebliche Tritte gegen einen Hund – auf dem Takufeld ein Klappmesser gezogen und mit diesem hantiert habe, womöglich, um sich den Weg zu seinem Wohnwagen, in dem er lebte, zu bahnen. Dabei habe er in Kauf genommen, jemanden zu verletzen. Die Klinge traf den Nachbarsjungen Marlon ins Herz, der in unmittelbarer Nähe zum Vater stand.

Kölner Richter nimmt keine Notwehrlage an

Klaus P. habe sicher nicht den Tod des Jungen gewollt, der sich noch unglücklich ein paar Schritte auf den Angeklagten zubewegt habe. Die Tatfolgen müsse sich der 69-Jährige aber zurechnen lassen. Die Verteidigung hingegen hatte auf eine akute Bedrohungslage abgestellt, Marlons Vater sei mit einem Messer auf Klaus P. zugegangen und Marlos Großvater habe mit einem Beil gedroht. Diese Einlassung des Angeklagten sah das Gericht jedoch aufgrund mehrerer Zeugenaussagen als widerlegt an.

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Die Kölner Polizei am Tatort in Ehrenfeld, im April 2012.

„Solche Angelegenheiten regele ich alleine“, hatte Marlons Vater zum Vorwurf eines verabredeten Angriffs auf den Nachbarn gesagt, gegen „den alten Mann“ habe er keine Unterstützung gebraucht. Ein unbeteiligter Zeuge hatte im Verfahren berichtet, dass der Vater sich lediglich drohend vor dem Angeklagten aufgebaut und die Arme ausgebreitet habe. Zudem wäre dieser wohl kaum in Badelatschen zu einer geplanten körperlichen Auseinandersetzung erschienen, so der Richter.

Marlons Mutter ist eine gebrochene Frau

Klaus P. habe sich bereits direkt nach seiner Tat als Opfer gesehen, was ein Notruf-Protokoll dokumentiere. Und das habe sich auch später nicht geändert, sagte Hengstenberg. „Sie haben angegeben, der Vorfall habe Sie aus dem Leben gerissen“, bemerkte der Richter, doch sei dies tatsächlich beim 15-jährigen Marlon der Fall gewesen. Dessen Mutter sei eine gebrochene Frau. So schwer traumatisiert, dass sie im aktuellen Verfahren nicht mehr als Zeugin zur Verfügung stand.

Das Gericht übertraf die Forderung der Staatsanwältin, die drei Jahre Haft beantragt hatte. Mehr als fünf Jahre hätte die Strafkammer ohnehin nicht ausurteilen dürfen. Darauf lautete das erste Urteil aus dem Jahr 2013, das der Bundesgerichtshof wegen Formfehlern aufgehoben hatte; die Staatsanwaltschaft hatte hiergegen keine Revision eingelegt. Der Fall lag danach mehr als sechs Jahre unbearbeitet bei der Kölner Justiz, die eine Überlastung als Grund angegeben hatte.

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