Kölner Helferin zu Moria„Eine Revolte kann jederzeit auch auf Samos passieren“

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Daniela Neuendorf

Daniela Neuendorf engagiert sich auf den griechischen Inseln.

  • Die Kölner Helferin Daniela Neuendorf ist schon lange auf den griechischen Inseln aktiv.
  • Überrascht von der mutmaßlichen Revolte auf Lesbos ist sie nicht. Sie hat Sorge vor großem einem Corona-Ausbruch und weiterer Eskalation
  • In der Philharmonie findet am am 22. September eine Veranstaltung mit Neuendorf statt.

Köln – Von der Eskalation im Lager auf Lesbos ist Daniela Neuendorf nicht überrascht. „Seit Monaten machen wir Helfer auf die Gefahr aufmerksam, nun ist es passiert. Ein Corona-Ausbruch, Maßnahmen die völlig unzureichend sind und gleichzeitig die Nachricht, dass rund um das Camp ein meterhoher Zaun gebaut werden soll, der die Menschen am Verlassen des Lagers hindert – all das zusammen mit der Ankündigung der griechischen Regierung, auf Lesbos so etwas wie ein Konzentrationslager zu eröffnen, hat das Fass zum Überlaufen gebracht.“

Neuendorf, die sich hauptberuflich für Bayer um das Thema soziales Engagement kümmert, kennt die Lager auf Lesbos und Samos gut. Seit 2015 ist die Kölnerin in der Flüchtlingshilfe aktiv. „Es begann mit den Bildern des syrischen Jungen Alan Kurdi, der tot an einen Strand gespült wurde. Mit ein paar anderen Menschen aus Köln sind wir schon 2015 nach Lesbos geflogen, um zu helfen. In einer Zeit, als jede Nacht einige Tausend Menschen kamen, haben wir ertrinkende Kinder aus dem Wasser gefischt und Minderjährige versorgt, die von den langen Fluchtstrecken blutige Füße hatten.“ Später gründeten die Ehrenamtler den Kölner Verein Refugees Foundation, der schnell gewachsen ist. 

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Neuendorf kümmert sich hauptberuflich für Bayer um das Thema soziales Engagement.

Neuendorf hat am Mittwochmorgen wenig Zeit – ständig telefoniert sie mit Helferinnen und Helfern vor Ort. „Im Moment versuchen wir, Masken zu organisieren, damit die Covid-Situation nicht außer Kontrolle gerät“, sagt sie. Offiziell ist von 35 Corona-Infizierten die Rede, „die tatsächliche Zahl dürfte um ein Vielfaches höher sein, da schnell aufgehört wurde, zu testen.“ Aktuell sei die Lage auf Lesbos außer Kontrolle, sagt Neuendorf. „Die Geflüchteten sind in die Wälder geflüchtet, dort sollen auch griechische Faschisten unterwegs sein, die die Menschen jagen und verprügeln.“ Abgebrannt ist ihren Informationen nach das gesamte Lager – auch der Container, der als Klinik diente. „Es ist sicher davon auszugehen, dass er Brand von Geflüchteten an verschiedenen Stellen gelegt wurde.“

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Kölner Helferin: „Zustände auf Samos sind noch schlimmer“

Neuendorf konzentriert sich bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit inzwischen eigentlich auf das Lager auf Samos. „In den Medien ist meist von dem Horrorlager Moria auf Lesbos die Rede, ich kann mit Sicherheit sagen, dass die Zustände auf Samos noch schlimmer sind“, sagt sie. „Im Moment gibt es dort unzählige Fälle von offener Tuberkulose, unbehandelte Kriegsverletzungen, viele schlimme Hauterkrankungen und Traumata, unter denen insbesondere die Kinder sehr leiden. Minderjährige prostituieren sich, Kinder haben Selbstmordgedanken und Babys sterben an Unterversorgung. Von den Behörden wird ein Arzt wird für das gesamte Camp halbtags eingesetzt – für mehr als 6000 Menschen, die dort wie in einem Slum zusammen leben. In Europa.“

„Eine Revolte könne „jederzeit auch auf Samos passieren“, sagt sie. „Zumal, wenn die Menschen dort erfahren, dass das Lager auf Samos evakuiert wird und die Menschen aufs Festland gebracht werden.“

Das Camp auf Samos befinde sich wie jenes auf Lesbos aktuell wegen der Corona-Pandemie in einem Lockdown, kaum jemand dürfe hinaus – „angeblich zum eigenen Schutz. Ein paar Kilometer weiter geht der Tourismus normal weiter. Ehrenamtler müssen übrigens für zwei Wochen in Quarantäne – normale Urlauber natürlich nicht“.

Neuendorf war Silvester 2019/20 zuletzt auf Samos, im Herbst möchte sie wieder hin – wenn die Coronaregeln es zulassen. Diesen Monat wird der Verein einen Lkw mit Hilfsgütern beladen und nach Griechenland fahren. „Wir dürfen nicht hinnehmen, dass dort Tausende weiter unter menschenunwürdigen Bedingungen leben“, sagt Neuendorf. Womöglich seien die Brände auf Lesbos endlich ein Weckruf.

Neuendorf kritisiert Abschottungspolitik der EU

Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter hatte schon lange vor der mutmaßlichen Revolte auf Lesbos entschieden, nach einer ausverkauften Veranstaltung in der Philharmonie mit Seawatch-Kapitänin Pia Klemp im vergangenen Jahr erneut auf die dramatische Situation der Geflüchteten in den Lagern auf den griechischen Inseln aufmerksam zu machen.

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„Solange die Verteilung der Geflüchteten innerhalb Europas nicht geklärt ist, solange Arbeit und Wohlstand nicht gerechter verteilt sind und solange Kriege und Klimawandel das Leben in vielen Gebieten der Erde unmöglich machen, werden wir Migrationsbewegungen haben“, sagt Mörtter. „Trotz großer Bedenken wegen Corona haben wir uns zu einer Wiederholung einer großen Veranstaltung entschieden, diese Menschen werden in der Krise mehr denn je vergessen“, sagt Mörtter. Die Stadt hat für den 22. September eine Veranstaltung mit 1000 Menschen in der Philharmonie unter strengen Sicherheitsauflagen genehmigt.

Derweil Seawatch-Kapitänin Klemp die Auswüchse des globalen Kapitalismus und die Abschottungspolitik der EU scharf kritisiert, fordert die Daniela Neuendorf eine „vernünftige Strategie der EU zum menschenwürdigen Umgang mit Migranten und Menschen auf der Flucht. Insbesondere die Prozesse, die eine negative Asylentscheidung betreffen, müssen angepasst werden. Es kann nicht sein, dass Menschen drei Jahre auf eine Entscheidung warten, die unter normalen Umständen nur wenige Wochen braucht. Wir brauchen klare Entscheidungsgrundlagen und Prozesse, die keine falschen Hoffnungen und Missverständnisse in den Herkunftsländern schaffen“.

Am 22. September, 20 Uhr, wird in der Philharmonie neben Daniela Neuendorf der Journalist Dirk Planert sprechen, der regelmäßig die Balkanroute bereist und von dort berichtet. Auftreten werden unter anderen die Oper Köln, die Tanzkompanie Ballet of Difference und die Kölschrock-Band Kasalla. Tickets über die Philharmonie, tel. 0221/280/280 (montags bis freitags, 10 bis 14 Uhr).

www.koelner-philharmonie.de

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