„Eine Showveranstaltung“Scharfe Kritik von Betroffenen an Kölner Missbrauchsgutachten

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Woelki 080321 dpa

Kardinal Rainer Woelki

Köln – „Die Strafverteidiger haben einen tollen Job gemacht: Sie haben für ihren Mandanten einen Freispruch erkämpft.“ So reagierte am Donnerstag Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“, darauf, dass im Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln Kardinal Rainer Woelki keine Pflichtverletzung zur Last gelegt wird.

Kritische Worte fand er auch für den Teil der Präsentation, in dem die Ursachen der Pflichtverletzungen genannt wurden; die Rede etwa von „Überforderung“ der Verantwortlichen habe auf ihn so gewirkt, als ob Strafverteidiger „mildernde Umstände“ für ihre „Mandantschaft“ geltend machen würden. Enttäuscht sei er allerdings nicht von der Studie, denn er habe keine großen Erwartungen gehabt. Die Rechtsanwaltskanzlei habe auftragsgemäß Akten untersucht und versucht, juristische Fragen zu beantworten.

Kritik: Perspektive der Betroffenen fehlt im Kölner Missbrauchsgutachten

Die Frage, ob Woelki kirchenrechtlich seine Pflicht verletzt habe, indem er den Missbrauchsverdacht gegen einen mit ihm befreundeten Priester nicht untersuchen ließ und nicht nach Rom meldete, sieht Katsch nicht „befriedigend“ geklärt. Insgesamt kritisierte er, dass der Aspekt der „moralischen Verantwortung“ und die Perspektive der Betroffenen in den Gutachten keine Rolle spielten.

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Das „Aktenstudium“ sei zwar ein „wichtiges Element", doch „Aufarbeitung sieht anders aus, die kann man nicht von sehr guten Strafverteidigern bekommen“. Für das Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen bekräftigte er die Forderung, der Bundestag müsse zur Aufklärung der kirchlichen Missbrauchstaten eine unabhängige Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission einsetzen.

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Katsch war nicht der einzige, der am Donnerstag auf der Domplatte Stellung zum Gutachten nahm. Dort findet bis Freitag eine Protestkundgebung statt, zu der die kirchenkritische Giordano-Bruno-Stiftung gemeinsam mit dem Aktionsbündnis aufgerufen hat.

„Theologische Fakultäten in Deutschland können ihren Laden dicht machen“

Karl Haucke, ehemaliger Sprecher des Betroffenenbeirats beim Erzbistum Köln, fällte nach seinen Worten ein „hartes Urteil“. Eine „Showveranstaltung“ sei geboten worden. Seiner Ansicht nach „können die theologischen Fakultäten in Deutschland ihren Laden dicht machen“. Die Kirche von heute brauche „keine Moral mehr“, denn auch die „Kirchenfürsten" hätten keine.

Pastoralreferentin Jutta Lehnert von der Betroffenen-Initiative Missbit aus Trier mochte in der Veröffentlichung des Gutachtens mit Namen, Zahlen und Fällen immerhin eine Ermutigung sehen. Im Trierer Bistum mit Stephan Ackermann an der Spitze, der Sonderbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Missbrauch ist, sei man längst nicht so weit. „Ich glaube, dass sich hinter dem Namen Woelki einige Bischöfe bequem verstecken konnten.“

Vertreter der Betroffenen-Initiative Hildesheim richteten ihr besonderes Augenmerk darauf, dass das Gutachten Erzbischof Stefan Heße, der vor seiner Berufung nach Hamburg Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln war, schwer belastet; elf Pflichtverletzungen habe er sich zuschulden kommen lassen. Die Bistümer Hildesheim und Osnabrück sowie das Erzbistum Hamburg sind dabei, eine gemeinsame Kommission zur Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs und einen Betroffenenbeirat ins Leben zu rufen.

Das Ergebnis des Gutachtens bestätige die Haltung gegenüber Heße, sagte Jens Windel von der Hildesheimer Initiative: „Niemand möchte mit ihm zusammenarbeiten.“ Angesichts von „elf roten Karten“ sei kein Vertrauen da, ergänzte Mitstreiterin Nicole Sacha.

Der Option, aus der Kirche auszutreten, setzte Katsch den Appell entgegen: „Bevor Sie die Tür zuschlagen, versuchen Sie, etwas in Ihrem Verein zu ändern." David Farago von der Giordano-Bruno-Stiftung, der kritisiert, „dass private Gutachter die Aufgaben der Ermittlungsbehörden übernehmen“, verlangte dagegen, Austrittsmöglichkeiten zu liberalisieren, weil die Stellen der Amtsgerichte überlastet seien. Dafür hat die Stiftung Austrittsformulare entworfen, die man am Computer ausfüllen und ausdrucken kann. Doch wahrscheinlich würden die Behörden diese Schreiben nicht anerkennen. 

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