Kölner SPD-Fraktionschef im BundestagWarum Rolf Mützenich eine zentrale Rolle zukommt

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Rolf Mützenich

Rolf Mützenich, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag

  • Im September ist der Kölner Politiker Rolf Mützenich für zwei Jahre zum Bundestagsfraktionschef der SPD gewählt worden.
  • Mit Mützenich und dem designierten Parteichef Norbert Walter-Borjans besetzen zwei Kölner die wichtigsten Posten bei den Sozialdemokraten. Ein einiges, kölsches Duo sind sie aber nicht.
  • Im Streit um den künftigen Kurs seiner Partei kommt Mützenich nun eine zentrale Rolle zu.

Köln – Dass ein wichtiger Mann am Tisch Platz genommen hat, interessiert die Jugendlichen in Köln-Lindweiler nicht besonders. Ob er einen Tipp für eine gute Dönerbude in Berlin habe, fragt Enrico, Mitglied des „Jugendrats“ der offenen Jugendeinrichtung Lino-Club.

Rolf Mützenich empfiehlt den Jugendlichen, die einen Besuch in der Hauptstadt planen, das gastronomische Angebot auf der Sonnenallee. So richtig kenne er sich aber gar nicht aus in der Berliner Gastroszene, räumt er ein. Er sei schließlich zum Arbeiten dort.

Rolf Mützenich kommt bei der SPD eine zentrale Rolle zu

Die Jugendlichen haben ein paar weitere Fragen vorbereitet. Es bleibt nicht bei Plaudereien.  „Wie entscheidet man für andere Menschen, was gut ist?“ wollen sie wissen. Er rät den Interessenvertretern des Jugendzentrums, sich  gut zu informieren, die Menschen zu befragen, die sie vertreten sollen, mit ihnen im Gespräch zu bleiben und sich dabei immer der eigenen Verantwortung bewusst zu bleiben.

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Rolf Mützenich spricht mit Jugendlichen der offenen Jugendeinrichtung Lino-Club in Köln-Lindweiler. 

In der aktuellen Gemengelage der deutschen Sozialdemokratie ist es nicht so einfach, diesem Leitgedanken zu folgen. Dem SPD-Fraktionschef im Bundestag kommt im Streit um den zukünftigen Kurs seiner Partei eine zentrale Rolle zu. Von ihm hängt einiges ab.

Rolf Mützenich bekennt sich zum Koalitionsvertrag mit der CDU

Der 60 Jahre alte Mützenich ist bekannt für seine Fähigkeit zu vermitteln und zu integrieren.  Doch bei der Frage, wie es die SPD mit der großen Koalition halten soll, hat er sich früh festgelegt. Er will, dass es weiter geht.

Auch wenn zwischen SPD und CDU/CSU „Welten“ liegen würden, bekenne er sich zum Koalitionsvertrag, in dem viel Gutes stehe.  „Wir haben gut gearbeitet und mehr rausgeholt, als der Vertrag schon hergab“, zieht er im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Bilanz. Es gebe noch eine Reihe weiterer Projekte, die „mit Stärke und Kreativität“ bis zum Ende der Legislaturperiode abgearbeitet werden können. Von der Idee, Nachverhandlungen zu führen, hält er nicht viel. Das sei eher eine Traumvorlage zur Profilierung für die neue CDU-Vorsitzende als eine echte Chance für die SPD.

SPD: Zwei Kölner in den wichtigsten Positionen

Am kommenden Wochenende wird der SPD-Bundesparteitag neben Saskia Esken auch Norbert Walter-Borjans zum Parteichef wählen. Zwei Kölner belegen dann die beiden wichtigsten Posten der deutschen Sozialdemokratie – so etwas gab es noch nie. Für kölsche Einigkeit stehen die beiden jedoch nicht.

Mützenich hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass er im Mitgliederentscheid für Olaf Scholz und nicht für den Kölner Parteigenossen gestimmt hat. Fand er die Aussicht auf ein kölnisches Führungsduo nicht reizvoll genug? Walter-Borjans sei doch gar kein Kölner, sagt Mützenich mit einem Augenzwinkern. Der komme aus Krefeld.

Rolf Mützenich arbeitet lieber im „Maschinenraum der Demokratie“

Es gibt einen weiteren gewichtigen Unterschied: Walter-Borjans hat in mehreren Regierungen mitgearbeitet, war aber nie in einem Parlament. Mützenich hat Regierungsämter, die man ihm angeboten hat, abgelehnt.  Er arbeite lieber „im Maschinenraum der Demokratie“, sagt der leidenschaftliche Parlamentarier. Er schätze die Unabhängigkeit, die sich daraus ergebe, dass er in Köln als Wahlkreiskandidat direkt gewählt worden sei. Von dieser Freiheit hat er  einiges aufgeben müssen, als er sich dafür entschied, nach dem Abgang von Andrea Nahles nicht nur kommissarischer Fraktionschef in Berlin zu sein. Mit 97,7 Prozent wurde er im September für die nächsten zwei Jahre gewählt.

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Nun ist er kein Übergangskandidat mehr, nicht mehr derjenige, der pflichtbewusst bereitsteht, wenn Not am Mann ist und im Hintergrund höchst unaufgeregt und effektiv Weichen stellt, eingebunden in ritualisierte Prozesse, feste Strukturen, Fraktions- und Koalitionsdisziplin. Wie soll man sich da seine Unabhängigkeit erhalten können? Mützenich zögert. „Natürlich bewege ich mich in einem Gefüge, wo Sie immer versuchen müssen, den Laden zusammenzuhalten.“

Rolf Mützenich: „Natürlich gibt es solche Punkte, wo man zweifelt“

Um aus dem Dilemma herauszukommen, hat der Sohn einer Kalker Arbeiterfamilie für sich den Begriff der „inneren Unabhängigkeit“ gefunden. Damit verbindet sich die Selbstverpflichtung, sich und seine Entscheidungen immer wieder zu überprüfen, die Taten an den eigenen Werten zu messen. War er schon mal an einer Grenze, die er eigentlich nicht überschreiten will? „Natürlich gibt es solche Punkte, wo man zweifelt“, sagt er.

Als Beispiel nennt er die Verabredungen während der Koalitionsverhandlungen zum Thema Rüstungsexporte. Da habe er strenge Vorgaben mitausgehandelt, die dann aber auf Druck der Industrie vom Koalitionspartner wieder aufgeweicht worden seien.

SPD: Franz Müntefering lobt Rolf Mützenich

Mützenich ist ein ungewöhnlicher Politiker – nicht nur weil er auch in Berlin zum Leidwesen der Bundestags-Fahrer fast alle Wege mit dem Fahrrad zurücklegt. Einer seiner Vorgänger,  Franz Müntefering, lobt ihn bei einer Veranstaltung der Kölner Diakonie Michaelshoven über den grünen Klee: Mützenich sei bescheiden, fleißig, unaufgeregt, einer, der sich nicht in den Vordergrund spielt – „so, wie man die Kölner kennt und schätzt.“ Das kundige Publikum lacht, weil es weiß, dass in der Regel weder Kölner noch Politiker etwas mit solchen Zuschreibungen zu tun haben.

Mützenich kann damit leben, solange nicht der Eindruck entstehe, dass mit solchen Attributen Durchsetzungsschwäche verbunden wird. Man muss nicht als „Zuchtmeister“ wie mancher seiner Vorgänger an der Fraktionsspitze wirken, um ein starker Chef zu sein. Tatsächlich hat er sich seinen Respekt anders erworben – als kompetenter Außenpolitiker, als einer, der zuhört, bevor er urteilt, als Vermittler mit klarer Haltung.

Rolf Mützenich und seine Fehleinschätzung zum Arabischen Frühling

Als der Arabische Frühling Hoffnung machte, berichtete er begeistert bei einem Wohnzimmersalonabend in Neuehrenfeld von vorbildlichen demokratischen Prozessen in Nordafrika. Nachdem alles anders kam als erhofft, nahm er eine zweite Einladung zur Diskussion im kleinen Kreis an.

Nun sprach er über seine  Enttäuschung, die eigenen Grenzen und die der deutschen Außenpolitik. Mit seiner optimistischen Einschätzung hatte er falsch gelegen. Das einzugestehen, war für ihn kein Problem. Eine friedlichere Welt, in der versucht werde, gerecht zu regieren und ein Ausgleich zwischen Arm und Reich zu schaffen, bleibe trotzdem sein zentraler Antrieb.

Rolf Mützenich ging zur Hauptschule

Auf die Frage, wie er in die Politik gefunden habe, berichtet er von seinem Elternhaus und seinen Erlebnissen mit der Jugendorganisation der „Falken“. Er sei Schülersprecher in der Hauptschule gewesen, bevor er die Schule wechselte, um Abitur machen und ein Politik-Studium abschließen zu können. Promoviert hat er über „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“. Zufälle hätten ihm geholfen, eine engagierte Lehrerin und die Aufstiegschancen, die ihm sozialdemokratische Bildungspolitik ermöglicht habe. Dafür sei er sehr dankbar.

Die eigene Biografie steht als Beispiel für das, was er mit der nach wie vor „historischen Mission der SPD“ verbindet. Die Themen Chancengleichheit und Emanzipation in einer Gesellschaft, die sich nicht weiter aufspalten darf, seien lange noch nicht erledigt – „im Gegenteil“. Auch deshalb plädiert er fürs Mitregieren. 

Christiane Jäger: „Es ist eine Bereicherung, Rolf Mützenich zu hören“

So ärgert er sich darüber, dass es der SPD nicht gelingt, das Erreichte besser zu vermitteln.  Die Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit sei nicht sein Job. „Ich bin nicht angetreten, um Begeisterungswellen auszulösen“, sagt er. Seine Stärke ist eine andere. „Rolf Mützenich schafft es, die Menschen im Raum nachdenklich zu machen. Es ist eine Bereicherung, ihn zu hören“, sagt Kölns SPD-Chefin Christiane Jäger nach einem Treffen mit der unzufriedenen Parteibasis in Ehrenfeld, das sich an seinen Besuch bei den Jugendlichen anschloss.

Der Tag im Kölner Wahlkreis endet mit einem spontanen Gespräch mit Klimaaktivisten, die der SPD vorwerfen, zu wenig zu tun. Mützenich hört zu – mit dem Fahrradhelm unterm Arm. Eine halbe Stunde Heimweg durch die Nacht ist auf dem Rad noch zurückzulegen.

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