Luisa Neubauer und Pauline Brünger„Das Gerede allein bringt uns nicht weiter“

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Luisa Neubauer ist das Gesicht der Bewegung Fridays for Future. 

Köln – Sie demonstrieren am Freitag nicht nur fürs Klima, sondern auch für das Ende des Krieges und für einen Importstopp von Öl und Gas aus Russland. Die Regierung verweist darauf, dass sie zunächst die Energiesicherheit gewährleisten muss. Akzeptieren Sie die Argumentation? Pauline Brünger: Wir sind nicht von ungefähr in die Situation reingekommen. Deutschlands Abhängigkeit von Russland ist politisch forciert worden. Die Energiewende wird seit Jahren verschlafen und sogar mutwillig blockiert, stattdessen wurde bis vor wenigen Wochen noch die Instandssetzung von Nordstream 2 begrüßt. Es wird an veralteten Technologien festgehalten, obwohl klar ist, dass die keine Zukunft haben. Wenn wir unsere Solidarität mit den Menschen in der Ukraine ernst meinen, müssen wir sie auch in Taten umsetzen und uns unabhängig machen von russischem Öl und Gas. Dabei muss man natürlich die Versorgungssicherheit und auch die Frage sozialer Gerechtigkeit im Blick behalten. Aber es braucht eine informierte Debatte: Was sind die Fakten, was sind Lösungsmöglichkeiten? Wir dürfen jetzt nicht populistischen und reaktionären Forderungen nachgeben, jetzt doch einfach länger in der Atomkraft drinzubleiben, um nur ein Beispiel zu nennen.

Belgien hat gerade angekündigt, seinen Atomausstieg zu verschieben. Wie groß ist Ihre Sorge, dass das auch in Deutschland passiert?

Brünger: Bei der Atomkraft habe ich das Gefühl, dass diese Debatte in Deutschland zu Ende geführt ist. Es löst ja auch unser Problem nicht. Atomkraft ist für Strom, wir haben vor allen Dingen ein Problem mit unserer Wärmeversorgung. Bei Kohle mache ich mir deutlich mehr Sorgen. Es wäre dramatisch, wenn wir hier einen Rückschritt machen. Viele Menschen auf der ganzen Welt leiden schon jetzt darunter, dass sie ihre Lebensgrundlagen oder ihr sogar ihr Leben verlieren. An fossilen Energien festzuhalten ist ein akutes Sicherheitsrisiko. Wenn wir jetzt über Versorgungssicherheit sprechen, müssen wir das unter einer klaren Prämisse machen: Die Emissionen dürfen nicht erhöht werden. Und der Fokus muss darauf liegen, die erneuerbaren Energien auszubauen.

Zu den Personen

Luisa Neubauer (25) und Pauline Brünger (21) sind deutsche Klimaschutzaktivistinnen. Sie zählen zu den Hauptorganisatorinnen der Bewegung „Fridays for future“. Neubauer, die aus Hamburg stammt, ist Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Brünger wuchs in Köln auf und war schon als Kind Mitglied bei Greenpeace.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat eine Energiepartnerschaft mit Katar vereinbart. Ist es die Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn Deutschland jetzt mit einem weiteren Staat ein Bündnis eingeht, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden?

Luisa Neubauer: Wenn wir aus der fossilen Abhängigkeit mit einem Autokraten nur wegkommen, indem wir uns nach Katar wenden, merken wir doch, dass wir vor einer Systemfrage stehen. In dem Augenblick, in dem ein Energieminister ernsthaft nach Katar geht, müssen wir erwarten, dass mit einem noch 1000-mal größeren Elan auch die deutsche und europäische Energiewende vorangetrieben wird.

FDP-Chef Christian Lindner bezeichnet die erneuerbaren Energien als Freiheits-Energien. Wie viel Hoffnung macht es Ihnen, wenn eine Partei wie die FDP jetzt solche Formulierungen wählt, dass der Umbau rascher vonstatten geht?

Neubauer: Die Wissenschaft sagt seit 40 Jahren, dass der Umbau notwendig ist, „Fridays for Future“ seit drei Jahren. Seit offiziell einem Jahr sagt es sogar das Verfassungsgericht. Jetzt hat es auch Christian Lindner verstanden, herzlichen Glückwunsch. Wir sehen gerade, wie sozialer Wandel aussieht. Es ist nicht ein Aha-Moment von Christian Lindner, dem wir verdanken, dass erneuerbare Energien jetzt einen besseren Ruf haben, sondern es ist die unermüdliche Arbeit von den Leuten, die sich seit Jahren nicht scheuen, den Tatsachen in die Augen zu gucken. Aber das Gerede alleine bringt uns nicht weiter. Es löst uns kein Stückchen von Putins Zwängen. Was es braucht, ist eine richtig radikale, gerechte, breite Energiewende in Deutschland, zusammen mit einer Verkehrswende und eine Agrarwende. Und wenn eine Regierung das jetzt nicht begreifen kann, wenn Bomben in der Ukraine fallen und uns die Lebensgrundlagen um die Ohren fliegen, dann können wir der Regierung auch nicht mehr helfen.

Die Bewegung „Fridays for Future“ ist international – was hören Sie von Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus der Ukraine?

Neubauer: Es ist so dramatisch, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Noch vor wenigen Wochen haben wir mit denen gemeinsam die nächsten Klima-Streiks geplant. Jetzt sagen sie von sich selbst: Wir sind Flüchtlinge.

Das ist auch deshalb erschütternd, weil Putins Pläne für viele in der Ukraine ja gar nicht 100% überraschend waren. Aber man hat das jahrelang überhören wollen, auch in der deutschen Politik „Fridays for Future“ gibt es auch in Russland. Welche Nachrichten erreichen Sie von dort?

Neubauer: Für die Aktivisten und Aktivisten dort gibt es gerade nur sehr wenige Orte, an dem sie sicher wirken können. Einige werden jetzt nach Deutschland kommen und ihre Arbeit hier fortsetzen. Es ist erschreckend, die Repressionen im Land zu sehen und auch die Spaltung, die sich gerade durch das Land zieht. Die einen haben Angst vor dem Krieg und die anderen haben Angst vor den Konsequenzen, wenn sie das Wort „Krieg“ aussprechen. Das ist etwas, von dem wir alle nicht geglaubt haben, dass wir das noch einmal erleben werden.

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Die Bundesregierung investiert 100 Milliarden in die Bundeswehr und militärische Ausrüstung. Das Geld bräuchte man dringend auch für den Klimaschutz.

Brünger: Was irritiert, ist, wie schnell das Ganze passiert ist. Bevor eine gesellschaftliche und politische Debatte überhaupt richtig gestartet hat, fällt plötzlich diese Zahl. Dabei hätte man sich Zeit nehmen können: Die Ausgaben helfen ganz akut keiner einzigen Person in der Ukraine. Es bestürzt uns als Klimaaktivistinnen, die wir seit drei Jahren dafür kämpfen, dass etwas passiert: Plötzlich werden riesige Investitionen getätigt, von dene zu befürchten ist, dass sie uns weiter in globale Machtkämpfe verstricken. Gelder für den Schutz unserer sozialen und ökologischen Probleme fehlen weiterhin.

Neubauer: Wir müssen genau aufpassen und hingucken: Wem wird gerade zugehört und wem nicht? Zunächst: Es ist Krieg und logisch dass auch über Miltärausgaben gesprochen wird. Nur sollte das nicht, andere notwendige Diskurse verhindern. Zum Beispiel müssen wir über den klimagerechte Wandel, sprechen, die einzige Möglichkeit echte Unabhängig von fossilen Autorkratien zu schaffen und damit Frieden zu sichern. Das fällt nicht vom Himmel, und uns wird nichts geschenkt, darum gehen wir am Freitag auf die Straße. Eine radikale Energiewende ist gerade so logisch und notwendig wie noch nie.

Wir müssen nicht nur auf erneuerbare Energien umschwenken, sondern auch unseren Energieverbrauch reduzieren. Was fordert „Fridays for Future“?

Neubauer: Wir können uns Energieverschwendung nicht länger leisten. Durch den Krieg in der Ukraine ergibt sich dadurch nochmal eine neue Notwendigkeit, weil wir mit jeder Energieverschwendung Putin einen Gefallen tun. Darum wäre es sinnvoll, dass die Regierung mal eine ernsthafte Ansage macht, eine Stromspar-Strategie für die Priviligiertesten veabschiedet und ein Tempolimit umsetzt. Ich finde es absurd, dass wir selbst in dieser in dieser Kriegs-Situation keine Regierung haben, die sich traut, den priviliegerte Menschen, die sich es leisten können zu sparen eine Ansage zu machen. Damit macht man sich handlungsunfähig. Man nimmt sie dadurch auch nicht ernst. Der Großteil der demokratischen Gesellschaft wäre absolut bereit, etwas zu tun und sich einzubringen.

Ich erlebe gerade, dass einige Auto öfter stehen lassen oder ihre Heizung bereits ausgestellt haben. Ist es am Ende doch der Preis, der über eine Verhaltensänderung entscheidet?

Neubauer: Die Statistiken zeigen leider nicht, dass die Menschen jetzt viel weniger Auto fahren. Im Großen und Ganzen ist der Effekt also nicht da. Und am Ende sollte auch nicht der Preis darüber entscheiden, ob man viel Auto fährt oder nicht.

Die Corona-Pandemie hat große Demonstrationen zwei Jahre praktisch unmöglich gemacht. Erhoffen Sie sich jetzt wieder deutlich mehr Sichtbarkeit für Ihre Bewegung?

Neubauer: Was wir machen, ist ja kein Selbstzweck. Wir gehen auf die Straße, damit in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und in den Medien ernsthaft über die Klimakrise gesprochen wird und Konsequenzen gezogen werden. Wir haben im letzten Jahr einen großen Erfolg vor dem Verfassungsgericht erkämpfen können. Ich mache mir Sorgen, dass wir noch lange notwendig bleiben. Ich mache mir auch Sorgen, dass wir gerade denken, nur weil eine gute und gerechte Klimawende so plausibel ist, wird sie auch kommen. Aber man übersieht schnell die Beharrungskräfte und den fossilen Widerstand derjenigen, die meinen, man könnte einfach so weitermachen mit dem Verfeuern von Gegenwart und Zukunft. Das ist meine große Sorge.

Wir haben Corona, die Klimakrise als Meta-Krise und jetzt auch noch den Ukraine-Krieg. Woher nehmen Sie die Energie für Ihren Aktivismus angesichts der düsteren Weltlage?

Neubauer: Wenn wir jetzt aufgeben, tun wir denjenigen einen Gefallen, die seit Jahren denken, wir könnten mal ein bisschen ruhiger sein mit der ganzen Klima-Gerechtigkeit. Wir werden natürlich weiterkämpfen.

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