Kölner Corona-ProtokolleKlima-Aktivistin: „Wir sind zu langsam und zu spät"

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Klimaaktivistin Pauline Brünger

Köln – Seit der Bundestagswahl im September ist so viel passiert. Ein paar Tage vor der Wahl gab es ja noch die großen Fridays-for-Future-Demos. Das war wirklich ein wichtiges Zeichen, dass eine halbe Million Menschen in Deutschland für den Klimaschutz auf die Straße gegangen sind – trotz eines Wahlkampfes, der ja vor allem von Angstdebatten geprägt war. Es ging darum, wer den Klimaschutz bezahlen soll und was für wen teurer wird. Aber selten darum, was passiert, wenn wir jetzt nicht mit aller Kraft Emissionen reduzieren. Trotzdem haben so viele mit gemacht und damit zum Ausdruck gebracht, wie zentral für sie konsequenter Klimaschutz ist.

„Es ist das falsche Tempo"

Nach Schließung der Wahllokale saßen wir von Fridays for Future im Klimakamp in Berlin. Als die Balken bei der ersten Hochrechnung aufleuchteten, war da weder Euphorie noch Niedergeschlagenheit, noch große Überraschung. Wir messen unseren Erfolg als Klimabewegung nicht am Wahlergebnis der Grünen. Es war unser historischer Erfolg, dass sich alle demokratischen Parteien zu dem Ziel bekannt haben, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Aber in keinem der Wahlprogramme reichten die Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Das wussten wir vorher. Wir wussten also im Vorhinein, dass die neue Bundesregierung nicht das Nötige tun wird. Das hat dann auch der Koalitionsvertrag bestätigt, den das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie unter die Lupe genommen hat. Ihr Urteil: In keinem der für das Klima relevanten Politikfelder wurden ausreichende Maßnahmen verabschiedet. Viele Schritte gehen in die richtige Richtung, aber es ist eben das falsche Tempo. Man muss sich immer klar machen, dass das die letzte Legislaturperiode ist, in der überhaupt noch möglich ist, genug zu tun, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.

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Pauline Brünger ist Sprecherin von Fridays for Future Deutschland

Dabei gibt es natürlich auch signifikante Verbesserung etwa bezüglich Energiewende und Kohleausstieg. Aber die Maßnahmen sind einfach zu langsam, zu spät, nicht energisch genug. Trotzdem ist wichtig, festzuhalten, dass sich durch das große Engagement der Klimabewegung etwas verbessert hat. Wir kämpfen mit so viel Kraft und Energieaufwand. Darum muss man sich auch daran freuen.

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Mit der neuen Regierungskoalition ändert sich auch unsere Rolle. Es gibt jetzt in Sachen Klimaschutz im Parlament keine Opposition mehr. Union und Linke werden diese Aufgabe nicht übernehmen. Das ist jetzt die neue Verantwortung der Klimabewegung – quasi außerhalb des Parlaments – der Regierung nichts durchgehen zu lassen. Wir dürfen uns nicht ausruhen und müssen kontinuierlich den Druck aufrechterhalten. Gerade haben wir explizite Forderungen für die ersten 100 Tage der neuen Regierung ausgearbeitet wie etwa die Verabschiedung eines 1,5-Grad-konformen CO2-Budgets.

Wenn man sieht, wie der neue FDP-Verkehrsminister am ersten Amtstag direkt als alleiniger Anwalt für die Autofahrer auftritt, kann das schon frustrieren. Aber ich will hoffnungsvoll bleiben. Wenn man schaut, was die große Koalition in ihrem Vertrag stehen hatte vor vier Jahren: Das ist die Hälfte von dem, was hinterher umgesetzt wurde. Einfach, weil der Druck von außen etwa durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil und die demonstrierende Zivilgesellschaft da war. Auch der aktuelle Koalitionsvertrag darf nicht das letzte Wort sein.

„Mein Leben steht seit drei Jahren quasi auf Standby"

Wir haben in diesem Dezember drei Jahre Fridays for Future gefeiert. Diese letzten drei Jahre waren unheimlich anstrengend. Die Vorstellung, das jetzt noch drei Jahre weiter machen zu müssen, ist ebenfalls anstrengend. Die Verantwortung lastet als Sprecherin von Fridays for Future Deutschland schwer auch auf meinen Schultern und es ist wichtig, dass auch viele neue Menschen mit Verantwortung übernehmen und uns unter die Arme greifen. Wir machen das ja alles ehrenamtlich ohne bezahlte Mitarbeiter. Mein Leben steht seit drei Jahren quasi auf Standby.

Bei so viel Aktivismus läuft anderes wie Schule, Abitur, Studium, Familie und Freunde oft wie nebenher und vieles fällt hinten runter. Das ist ein riesiges Opfer, aber die Arbeit gibt mir auch ganz viel. Trotzdem ist es enorm wichtig, zwischendurch aufzutanken – wie etwa jetzt zwischen den Jahren, wo ich nichts mache. Es muss diese Phasen geben, wo ich bewusst Pausen mache oder Sachen, die einfach nur Spaß machen, sonst brennt man aus.

Endlich wieder Präsenzlehre

Bezüglich meines Studiums war es super, im letzten Semester endlich Präsenzlehre gehabt zu haben und endlich nach zwei Semestern am Laptop „richtig“ zu studieren. In einem Hörsaal zu sitzen, auf dem Campus andere Studierende zu treffen – das hat richtig gut getan. Man konnte Freunde treffen und war endlich nicht mehr so allein. Ich bin froh um diese Phase, gerade wo jetzt ja nicht klar ist, wie das angesichts von Omikron weitergehen soll.

Was cool ist, ist, dass sehr viele Dozenten jetzt Hybrid-Lehre anbieten. So kann man auch digital teilnehmen, wenn man mal unterwegs oder krank ist. Gerade mir, die ich sehr viel für Fridays for Future unterwegs bin, kommt das entgegen. Diese Errungenschaft könnte man meinetwegen auch nach der Pandemie beibehalten. Bezogen auf Omikron ist es schon herausfordernd, sich jetzt wieder auf eine neue Situation einzustellen. Der Booster gibt mir aber das gute Gefühl, dass ich für mich selbst und andere für den größtmöglichen Schutz gesorgt habe. Es wird eine Gratwanderung, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Kontaktbeschränkungen werden wieder stärker nötig sein, aber ich wäre nicht noch einmal mental in der Lage, in die völlige Isolation zu gehen. Gleichzeitig beschäftigt mich die verzweifelte Lage in den Krankenhäusern sehr. Hier die Belastungsgrenzen auszutarieren, ist für die Politiker eine schwierige Aufgabe.

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