NovemberpogromDer „nie vergessene Tag“ – Vor 85 Jahren brannten in Köln Synagogen

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Die Kölner Synagoge in der Roonstraße zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Die Kölner Synagoge in der Roonstraße zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Beim Novemberpogrom 1938 brannten auch in Köln die Synagogen. Deutsche demütigten Juden, misshandelten sie und töteten einige.

Ein 14-jähriges Mädchen, Truusje Roegholt, Kind holländischer Eltern, die in Klettenberg wohnten, hat später niedergeschrieben, was sie am Morgen des 10. November 1938 auf dem Weg zur Schule im Weyertal erlebte: „Von der Straßenbahn aus sah ich allerlei Ungewöhnliches, Leute waren zusammengelaufen und standen vor einem Schuhgeschäft, die große Schaufensterscheibe war kaputt, und es war ein einziges Durcheinander, ein paar Meter weiter Möbel auf der Straße.“ 

„Beim Aussteigen sah ich einen Zahnarztstuhl und viele kaputte Fenster. Viele Leute waren auf der Straße, keiner wusste, was eigentlich los war. Aber es waren jüdische Geschäfte und Häuser, ein Kleidergeschäft, wo man die Türen eingetreten hatte. ‚Die ärme Jüdde‘, rief eine Frau, eine andere hielt ihr den Mund zu. Alle Kinder in der Schule hatten ähnliches gesehen. Was war eigentlich passiert?“

Roegholt war, wie so viele andere auch, Zeugin des Novemberpogroms geworden, das zeitweise unter dem verharmlosenden Namen „Reichskristallnacht“ in die Geschichte eingegangen war (siehe „Ein zynischer Begriff für Mord und Totschlag“).

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Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war Köln das Zentrum des westdeutschen Judentums. Mitglieder der jüdischen Gemeinde nahmen regen Anteil am öffentlichen Leben. Als großartiges Symbol der Integration wurde gewertet, dass Dombaumeister Ernst Zwirner die Synagoge in der Glockengasse entworfen hatte, das bedeutendste jüdische Gotteshaus im Rheinland. Um 1930 zählte die jüdische Gemeinde annähernd 20 000 Seelen, zahlreiche Institutionen wie Schulen und Krankenhäuser, Kultur- und Sportvereine kündeten von der Vielfalt jüdischen Gemeindelebens.


„Reichskristallnacht“: Ein zynischer Begriff für Mord und Totschlag

In der Nacht vom 9. November auf den 10. November 1938 wurden auch in Köln die Synagogen in Brand gesteckt, SA-Männer und Mitläufer demolierten und plünderten jüdische Geschäfte und Wohnungen, Juden wurden vor den Augen ihrer Nachbarn misshandelt, gedemütigt, verhaftet, zu Tode gebracht. Die Nazipropaganda verharmloste die Vorgänge unter dem Begriff „Reichskristallnacht“, ein zynischer Begriff, der Mord, Totschlag und Brandstiftung auf den Versicherungsfall Glasschaden reduzierte. Mit gutem Grund spricht man daher schon lange vom Novemberpogrom.


Schon vor dem 30. Januar 1933, dem Tag von Hitlers „Machtergreifung“, hatte es antisemitische Aktionen in Köln wie die Schändung des Friedhofs am Bonntor gegeben. Die erste staatlich gelenkte Diskriminierung bildete der „Boykotttag“ am 1. April 1933, als die Nazis – in deren Parteiprogramm Antisemitismus und Rassismus die wichtigsten Bestandteile waren – mit Parolen und Plakaten gegen jüdische Geschäftsinhaber, Ärzte und Juristen vorgingen.

Verwüsteter Innenraum der Synagoge an der Glockengasse im November 1938.

Verwüsteter Innenraum der Synagoge an der Glockengasse im November 1938.

Nach Protesten aus dem Ausland wurde die Kampagne gestoppt, die Juden wurden auf weniger spektakuläre Weise, etwa durch Berufsverbote, aus dem öffentlichen und Geschäftsleben gedrängt. Vor allem nichtjüdische Ärzte und Rechtsanwälte hatten ohne eigenes Zutun mehr Patienten und Klienten, weil „Arier“ nur noch von „Ariern“ beraten und behandelt werden durften. In dieser Situation entschieden sich allmählich die ersten Juden, Köln und Deutschland zu verlassen.

Im Herbst 1938 schilderte ein Informant der Exil-SPD die Situation in Köln: „Hier hat man sich während der letzten fünf Jahre durch ganz besonders rigorose Feldzüge gegen die Juden ausgezeichnet, jetzt geht man wieder gegen diejenigen los, die bei Juden einkaufen. Es gibt nämlich noch eine Zahl jüdischer Geschäfte, die gut gehen, weil ein Teil der Bevölkerung schon aus Gegnerschaft gegen die Nazis dort kauft. Damit soll nun aber Schluss gemacht werden.“

Anweisungen der Gestapo an die Kölner Leitstelle: „Aktionen gegen Juden nicht stören“

Das Drehbuch wurde also schon geschrieben, es fehlte nur noch der Anlass. Der bot sich nach dem 7. November, als ein deutscher Botschaftssekretär in Paris von einem polnischen Juden niedergeschossen wurde. Die NS-Presse überbot sich in Hetztiraden, dann gab Propagandaminister Goebbels das Signal zum Losschlagen.

Die Berliner Gestapo-Zentrale schickte detaillierte Anweisungen an die lokalen Dependancen, so auch an die Kölner Leitstelle: „Die Aktionen gegen die Juden und deren Synagogen sind nicht zu stören. Vor allem vermögende Juden sind festzunehmen. Fotoaufnahmen sind strengstens verboten.“

Was am Abend des 9. November und in der folgenden Nacht passierte, hat ein SPD-Informant so zusammengefasst: „In Köln haben die Nazis furchtbar gehaust. Wie auf Kommando sind sie in Häuser reicher und armer Juden eingedrungen, haben Schaufenster der Geschäfte zertrümmert und in den Wohnungen alles kurz und klein geschlagen. Man hat nichts und niemanden verschont, scharenweise wurden Juden verhaftet.“

Dann wurde ich zum Polizeipräsidium geschleppt, das Blut ist an meinen Händen und Beinen heruntergelaufen
Sydia Lundner, Zeitzeugin des Pogroms in Köln

Noch erschütternder sind die Berichte der Opfer. Der 2005 verstorbene Architekt Helmut Goldschmidt, der in den 1950er Jahren den Wiederaufbau der Synagoge Roonstraße leitete, erlebte die Ausschreitungen als Volontär: „Von den Ereignissen der Nacht hatte ich nichts mitbekommen und ging am nächsten Morgen zur Arbeit. Im Büro hörten wir dann das Klirren von Schaufenstern. Ich rannte sofort zur brennenden Synagoge in der Glockengasse – es war entsetzlich. Ich habe meine Empfindungen bis heute nicht beschreiben können. Und es war kein Trost, dass viele Kölner den Kopf schüttelten, dass auch viele Nichtjuden weinten.“

Sydia Lundner, die mit ihrer Familie emigrieren konnte, hat vor einigen Jahren „den nie vergessenen Tag“ so geschildert: „Ohne Warnung kamen die Nazis ins Geschäft meines Vaters, erst haben sie die Scherengitter zertrümmert, dann Scheiben eingeschlagen, die Regale von den Wände gerissen. Ich bin schnell in unsere Wohnung gerannt, doch sie folgten mir, sie zerstörten auch die Wohnung. Sie haben mich ohne Grund geschlagen und an den Haaren gerissen. Dann wurde ich zum Polizeipräsidium geschleppt, das Blut ist an meinen Händen und Beinen heruntergelaufen. Leute von gegenüber sind aber mitgekommen und sagten, ich hätte nichts getan - da haben sie mich freigelassen.“

Köln im November 1938: Nazis stecken die  Synagogen in Brand

In den Zeitzeugenberichten werden immer wieder die brennenden Synagogen erwähnt: „Vor der Synagoge in der Roonstraße hatten sich Hunderte von Menschen versammelt, ich sah, wie Kultgegenstände herausgeholt und auf die Straße geworfen wurden, Gebetbücher und Thorarollen, die angezündet wurden und lichterloh brannten.“ Unter den „Ariern“, die an der Roonstraße zusahen, war auch der spätere – 1987 verstorbene – Kölner Oberbürgermeister Theo Burauen.

Er war Zeuge, wie SA-Leute den Davidstern von der zerstörten Synagoge herunterrissen: „,Unten zogen Männer an einem Seil, dann ein Aufschrei! Polternd rutschte das Symbol des Gotteshauses an der Fassade herunter auf die Straße. Ich habe mich nie in meinem Leben so geschämt wie an diesem Tag.“

Auch die Synagogen in der Ottostraße, in der Körnerstraße, in Deutz und Mülheim wurden völlig verwüstet. Unbehelligt blieb lediglich das Krankenhaus in der Ottostraße, das „Israelitische Asyl“, das in Köln einen sehr guten Ruf genoss und im Volksmund „Jüdde-Spidohl“ genannt wurde.

„Nüchterne“ Bilanz des Pogroms: Alle jüdischen Geschäfte wurden demoliert, Tausende jüdischer Existenzen vernichtet, etwa 500 Männer wurden ins KZ Dachau deportiert. Wie viele Kölner Juden Verletzungen erlitten, ist nicht bekannt. Den Friseur Spiro aus Ehrenfeld hatten NS-Schergen so schwer misshandelt, dass er an den Folgen seiner Verletzungen starb.

„Damals glaubten wir, dass dies der Höhepunkt der Verfolgung sei“, so kommentierte ein Überlebender des Holocaust die Vorgänge in jener Nacht, „in Wahrheit war es das letzte Alarmsignal vor der Vernichtung.“

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