Sexualstrafprozess in KölnHochrangige Vertreter des Erzbistums als Zeugen geladen

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Landgericht Köln

Das Kölner Landgericht

Köln – Im Sexualstrafprozess gegen den früheren Wuppertaler Pfarrer Hans Ue., der am 23. November vor dem Landgericht Köln beginnt, sollen auch hochrangige kirchliche Funktionsträger aus dem Erzbistum Köln als Zeugen gehört werden. Der Geistliche ist angeklagt, von 1993 bis 1999 in Gummersbach seine damals sieben bis 13 Jahre alten Nichten zigfach missbraucht zu haben. Die Tatvorwürfe wiegen schwer. Im Fall einer Verurteilung hat Ue. eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren zu erwarten.

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, ist der frühere Personalchef und Generalvikar der Kardinäle Joachim Meisner und Rainer Woelki, Stefan Heße (heute Erzbischof von Hamburg), für den 14. Januar 2022 geladen. Ebenfalls auf der Liste der insgesamt 38 Zeugen stehen nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger der frühere Offizial (oberster Kirchenrichter) des Erzbistums, Günter Assenmacher (Ladung für den 13. Januar), und die frühere Justiziarin des Erzbistums, die unter Heße mit dem Fall Ue. betraut waren.

Anhörung von Kardinal Woelki nicht vorgesehen

Die Juristin klagt derzeit vor dem Arbeitsgericht Köln gegen ihre fristlose Kündigung durch das Erzbistum. Offizieller Kündigungsgrund ist der Vorwurf, die ehemalige hochrangige Mitarbeiterin habe im ersten Corona-Lockdown 2020 einen rückenschonenden, eigens für ihre Bedürfnisse gefertigten Bürostuhl unerlaubterweise mit ins Homeoffice genommen.

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

Eine Anhörung des derzeit beurlaubten Erzbischofs, Kardinal Rainer Woelki, zum Fall Ue. durch das Gericht ist nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nach gegenwärtigem Stand ebenso wenig vorgesehen wie die des früheren Generalvikars Dominik Schwaderlapp, der Heßes Chef war und heute Weihbischof in Köln ist.

Woelki wiederum war als Weihbischof seit 2006 für den Pastoralbezirk Nord mit den Großstädten Wuppertal und Düsseldorf zuständig.

Die 2. große Strafkammer des Landgerichts unter Leitung des Vorsitzenden Richters Christoph Kaufmann hat für den Fall Ue. 20 Verhandlungstermine angesetzt. Die Urteilsverkündung ist für den 31. Januar terminiert (Az. 102 KLs 17/20).

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Der Fall Ue. ist im Bereich des Erzbistums Köln momentan der einzige, in dem der Tatverdächtige unter Anklage steht. Alle anderen im Rechtsgutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke aufgeführten Taten sind entweder verjährt oder fallen nicht unter das weltliche Strafrecht.

Anklage im vergangenen Jahr erhoben

Gegen Ue., der seit 2019 nicht mehr im Dienst des Erzbistums ist, erhob die Staatsanwaltschaft erst 2020 Anklage, obwohl ihr und dem Erzbistum die Missbrauchsvorwürfe bereits 2010 bekannt geworden waren. In drei von insgesamt 31 angeklagten Vergehen soll es zu „beischlafähnlichen Handlungen“ gekommen sein. Am häufigsten stehen laut Landgericht Berührungen und Manipulationen der Mädchen an der Brust, am Po und im Genitalbereich als Vorwürfe im Raum.

2010 hatten die Opfer die Anzeige gegen ihren Onkel – dem Vernehmen nach auf Druck der Familie – nach wenigen Monaten zurückgezogen und sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Es soll auch Geld vom mutmaßlichen Täter an die Mutter geflossen sein.

2018 ging dann der frühere Interventionsbeauftragte des Erzbistums auf die Anwältin einer der Betroffenen zu und informierte auch die Justiz. Dadurch kam das Verfahren erneut in Gang, in dem inzwischen alle drei Betroffenen ausgesagt haben.

Besondere Brisanz hat es auch wegen der Beurteilung der Rolle, die Würdenträger des Erzbistums in dem Fall gespielt haben. So befindet sich in den Bistumsakten ein handschriftlicher Vermerk über ein Gespräch zwischen der Ex-Justiziarin und Heßes Sekretärin zu einer kircheninternen Vernehmung von Ue. am 3. November 2010. Er habe im Generalvikariat „alles erzählt“, heißt es in der Notiz.

Darüber wurde aber laut Vermerk kein formelles Protokoll angefertigt, um eine etwaige Beschlagnahmung durch die Staatsanwaltschaft zu verhindern. „Aus diesem Grund sollten nur handschriftliche Notizen existieren, die notfalls vernichtet werden könnten.“ Prälat Heße habe dazu „sein Einverständnis“ gegeben. Die Notiz ist mit Heßes Kürzel versehen.

Gutachten attestiert Heße, sich nicht strafbar verhalten zu haben

Heße hat sich zu diesem Sachverhalt ausweichend geäußert. Der „Bild“-Zeitung gegenüber schloss er es aus, „einem Vorgehen zugestimmt zu haben, bei dem in Fällen sexuellen Missbrauchs von Gesprächsinhalten kein Protokoll angelegt oder gar Protokolle, Akten oder Gesprächsnotizen im Zweifel vernichtet werden sollen“. Dies hätte „zutiefst“ seinen Überzeugungen wie auch seinem Umgang mit Missbrauchsfällen widersprochen. So stellte er es laut Gercke-Gutachten auch in den Befragungen durch die Gutachter dar.

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ging es seinerzeit um die Frage, ob sich Ue. angesichts der gegen ihn laufenden staatlichen Ermittlungen überhaupt gegenüber seinem Dienstherrn äußern würde. Auf anwaltliches Anraten soll Ue. nur unter der Voraussetzung zu einem Gespräch bereit gewesen sein, dass es darüber keine schriftlichen Aufzeichnungen gäbe.

Das Gercke-Gutachten attestiert Heße, sich nicht strafbar verhalten und sich keiner Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht zu haben, wirft ihm aber eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht vor. Papst Franziskus kam auf Basis des Gutachtens und des Berichts zweier nach Köln entsandter Visitatoren im September zu dem Ergebnis, Heße habe nicht absichtlich vertuschen wollen. Das Rücktrittsgesuch des Hamburger Erzbischofs lehnte der Papst ab.

Beim früheren Offizial Assenmacher sieht das Gutachten im Fall Ue. eine falsche Rechtsauskunft für gegeben an. Assenmacher wurde im März von Woelki zunächst beurlaubt. Inzwischen ist er als Offizial abgelöst, fungiert aber weiter als Domkapitular.

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