Hühnerfüße, Saris und SamosasWie sich Little India in Köln entwickelt und vergrößert

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Amita Muthreja verkauft Saris.

Köln – Die eigene kleine Welt von Kölns Litte India befindet sich seit Jahrzehnten am Neumarkt. In der Fleischmengergasse und in der Bayardsgasse reihen sich kleine Lebensmittel- und Kleidungsgeschäfte. Doch in letzter Zeit sind einige neue Attraktionen hinzugekommen. Litte India wird moderner.

„Ich habe mir gedacht: Jetzt machen wir es mal ein bisschen deutsch. Wir leben schon so lange hier“, sagt Sukhjinder Singh und lächelt. Sein Supermarkt direkt am Neumarkt ist nun quasi der moderne Außenposten von Kölns Little India im Griechenmarktviertel.

„Typisch für indische Läden ist ja eigentlich, dass sie winzig sind und bis zur Decke mit Ware vollgestopft werden.“ Doch „Singh’s Mart“ (Achtung: klingt ein bisschen wie „think smart“, den Namen hat sich der 44-Jährige patentieren lassen) ist groß, hat breite Gänge und über den Regalen steht, was darin zu finden ist. „Mein deutscher Freund hat mir zum Beispiel zu den Wandtapeten mit Reisfeldern geraten.“

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Mehr Laufpublikum am Neumarkt

Hier gibt es alles von tiefgefrorenen Hühnerfüßen über getrocknete Rosenblüten, Maniokblätter, Hunderte von Gewürzmischungen , Süßkartoffeln und Kochbananen bis zu herrlich bedruckten 20-Kilo-Säcken Reis.

Singh, dessen Familie schon lange einen kleinen Supermarkt in der Fleischmengergasse führt, hatte sich zum Umzug an den Neumarkt entschlossen, weil es hier viel mehr Laufpublikum gibt. Hier kaufen Menschen aus Pakistan, Afghanistan und dem Iran. Und auch viele Afrikaner – nicht zuletzt wegen der gemeinsamen britischen Kolonialvergangenheit. „Die kennen uns Inder aus vielen Ländern als gute Geschäftsleute.“ Dazu kommen immer mehr Deutsche, die exotische Zutaten fürs Kochen brauchen. „Hier geht keiner ohne etwas heraus.“

Veränderung in der Fleischmengergasse

Singh kam im Alter von zwölf Jahren mit seiner Familie aus dem nordindischen Punjab. An seinem Turban, seinem Bart und seinem Nachnamen ist zu erkennen, dass er Sikh ist. Brüder und Neffen arbeiten im Laden mit. „Wir Inder sind risikofreudig und wollen gerne selbstständig sein.“ Er erzählt – ohne Groll, aber deutlich – dass er früher wegen seines Turbans Schwierigkeiten hatte, eine Anstellung zu finden.

Um die Ecke in der Fleischmengergasse hat er vor kurzem dann auch noch das kleine Restaurant „Chai & Coffee“ eröffnet, wo indische Snacks wie Samosas und Bread Pakora serviert werden – Sandwiches mit einer würzigen Kartoffel-Gemüse-Mischung gefüllt. In die alten Räume seines früheren Supermarktes ein paar Schritte weiter ist unterdessen das sehr schicke – aber alkoholfreie –Restaurant „Ginti & More“ eingezogen. Die Betreiber Ajay Gawdi und seine Frau Ginti bieten indische Spezialitäten, aber auch australisches Wagyu-Rindfleisch in feinstem Industriestyle-Ambiente.

Indische Geschäfte traditionell nah beieinander

Singh findet die Neuansiedlung gut. „Das zieht Leute ins Viertel.“ Angst vor Konkurrenz hat er nicht. „Was uns zusteht, kann uns niemand wegnehmen.“ Das ist hier überhaupt die Philosophie. In Indien sei es üblich, dass Geschäfte mit relativ ähnlichen Produkten dicht gedrängt in einer Straße seien. „Was der eine nicht hat, hat vielleicht der Nachbar. So müssen die Kunden nicht durch die ganze Stadt fahren.“

Einer der ersten in Little India war der Shalimar Store in der Fleischmengergasse 6. „Da habe ich mir früher mit meinen Brüdern immer indische VHS-Kassetten gekauft“, sagt Singh. Im Geschäft ist die Zeit stehengeblieben. Der Klassiker: winzig und jeder Zentimeter mit Ware bedeckt. Hier steht Babu Lal Arenja hinter der Verkaufstheke. „Mich nennen hier alle »Onkel«. Ich habe den Laden vor 30 Jahren übernommen. Hier gibt es 6000 Artikel, allein 180 Sorten Reis. Einen Computer habe ich nicht, ich habe das alles im Kopf.“ Der Chef ist wie so manch anderer Ladenbetreiber hier gar kein Inder, sondern Afghane. „Die Esskultur ist sehr ähnlich“, sagt der Hindu, der vom Morgengebet noch einen gelblichen Farbfleck auf der Stirn hat.

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Ein älterer indischer Kunde schwärmt: „Wenn wir eine große Feier haben, kaufen wir alles hier: Reis, Trockenfrüchte, Gemüse.“ Er habe in all der Zeit nie Urlaub gemacht, sagt Babu Lal Arenja. Ein junger Kunde kommt herein und kauft für einen Centbetrag ein rotes Gebetsbändchen. Es wird auf Farsi geplaudert und zwischendurch rutscht dem Chef dann mal auf deutsch raus: „Alles sch..., alles teurer geworden.“ Aber: „Die Arbeit macht mir Spaß“, sagt er. Seine Frau hat schräg gegenüber einen Kiosk. Ihre Heimat haben die beiden in all den Jahrzehnten nie wieder besucht.

Saris für den Kölner Karneval

Ein paar Hausnummern weiter leuchten Saris im Schaufenster des „Indian Center“. Amita Muthreja führt das Geschäft seit 2003 mit ihrem Mann – auch sie kommen aus Afghanistan. Hier gibt es alles, was für große indische und muslimische Feiern gebraucht wird: prächtige Saris, mit bunten Steinen besetzte Schuhen, glitzerndem Schmuck, Geschirr.

„Wir fahren jeder Jahr nach Indien und bestellen dort.“ Zu kaufen gibt es auch Meditationszubehör und – für 290 Euro – einen beleuchteten Schrein mit der populären indischen Göttin Durga. Der Laden ist ein Wunderland, das den Besucher in ferne Gefilde entführt.

Für das Ehepaar Muthreja ist es Alltag. Auch, dass in der Session regelmäßig viele Deutsche hier die farbenfrohen Saris als Karnevalskostüm kaufen. Ob es sie stört, dass die traditionellen Kleidungsstücke derart umfunktioniert werden? Amita Muthreja lächelt und zuckt mit den Schultern: „Ach, das ist Business.“ Business in Kölns Little India.

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